Voreiliges Buch "Der Pott ist dahoam":Museum der latenten Dinge

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Zu früh gefreut: Ein Buch über den Champions-League-Sieg des FC Bayern 2012 taucht bei Online-Buchhändlern als Vorbestellung auf. In den Kellern von Sportvereinen, in den Giftschränken unterlegener Parteien lagern gewiss noch mehr solche Artefakte des voreiligen Jubels. Man könnte wohl ein ganzes Museum damit füllen.

Andreas Bernard

Jeder Triumph im Sport oder in der Politik ist inzwischen mit Souvenirs verbunden, die schon im Vorfeld des Ereignisses hergestellt worden sind. Nach dem Schlusspfiff in Finalspielen gehört es zu den gängigen Jubelbildern, dass die Betreuer vorbereitete T-Shirts aufs Feld werfen, die von der Mannschaft übergestreift werden: "Deutscher Pokalsieger 2012 Borussia Dortmund" ist darauf zu lesen oder "Espana, World Champion 2010" - so, als hätten die Manager der Mannschaften den Ausgang schon vorher gewusst.

Bis Freitagmittag war die Hoffnung am Leben. Bei diversen Online-Buchhändlern gab es "Der Pott ist dahoam" zu bestellen. Das voreilige Werk ist nur eines von vielen, die ein Museum der latenten Dinge füllen könnten. (Foto: Screenshot)

Die Gedanken richten sich dann immer auch auf die Verlierer, die ja die gleichen T-Shirts ins Stadion mitbringen, sie im Falle einer Führung kurz vor Schluss vielleicht schon neben der Trainerbank zurechtlegen. Und während das eine Team mit den leuchtenden Andenken auf dem Leib in der Fankurve feiert, trägt der Zeugwart des anderen Ensembles so diskret wie möglich einen nutzlosen Haufen in die Kabine zurück. Das ist ein Moment, der so wohl noch nie von einer Fernsehkamera erfasst wurde.

Denn gewöhnlich tauchen diese vorschnell produzierten, von der Wirklichkeit überholten Dinge nirgendwo auf. Sie bleiben ein gehütetes Geheimnis. Jener angenommene Kellerwinkel, in dem ein großer Klub seine Voreiligkeiten stapelt, ist das Gegenstück zur Pokalsammlung im Foyer, eine Art AntiVitrine.

Nur ganz selten passiert es, dass ein solches Dokument doch durch ein Versehen an die Öffentlichkeit gerät. Im letzten Rennen der Formel-Eins-Saison 1997 etwa verteilte Ferrari schon Baseballmützen, die Michael Schumacher als Weltmeister feierten; der Deutsche wurde aber kurz vor Schluss disqualifiziert und verlor den sicher geglaubten Titel.

Auch der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber beging 2002 den Fehler, seine Siegesrede zu früh zu halten, und auf der im TV zugeschalteten Wahlparty der CDU sah man orangefarbene Kappen mit dem Slogan "Der Wechsel ist da". Wer weiß, wie viele der Mützen an diesem Abend noch in der Spree landeten.

Jetzt ist wieder etwas Ähnliches geschehen: Bei den Online-Versandhäusern Amazon oder Buch24 konnte man nach der verheerenden Niederlage des FC Bayern im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea bis zu diesem Donnerstagabend, teils Freitagmittag ein Buch des Sportjournalisten Thomas Roth mit dem Titel Der Pott ist dahoam bestellen. Im Begleittext hieß es: "Der FC Bayern München ist Champions-League-Sieger 2012 und hat ,dahoam' im eigenen Stadion die wichtigste internationale Trophäe für Vereinsmannschaften gewonnen."

Im Internet, dem Medium, das digitale Parallelwelten erschaffen hat, war die Schadenfreude groß; das Cover des Buches, das bei Amazon dank der Vorbestellungen unter den 1500 bestverkauften Titeln rangierte, ist in dieser Woche etliche Male gepostet und mit hämischen Kommentaren versehen worden.

Das unpassende Werk ist kein bizarrer Einzelfall: Man könnte sich eine ganze Galerie solcher Gegenstände denken, die es eigentlich nicht geben dürfte, ein Museum der latenten Dinge.

Verworfene Reden, nutzloses Merchandise

In ihm wären die hingekritzelten Reden der Oscar-Nominierten zu sehen, die dann nicht gewonnen haben; das Manuskript einer staatstragenden Ansprache, vorgesehen für das Scheitern einer politischen Mission (der ehemalige US-Präsident Nixon hat 1969 eine solche Rede vorbereitet für den Fall, dass die Astronauten von Apollo 11 nicht vom Mond zurückkehren würden); ebenso eine Fülle harmloser Merchandising-Artikel für Kandidaten von Castingshows, die im Finale unterlagen.

Die meisten Exponate würden wohl aus dem Bereich des Sports stammen, der wie keine andere Sphäre von knappen Entscheidungen lebt: die Gedenkmünze "Deutscher Meister Werder Bremen 1986", in Auftrag gegeben vor Kutzops verschossenem Elfmeter gegen die Bayern am vorletzten Spieltag der Saison; das Poster "Uefa-Cup-Sieger Inter Mailand 1996", das gedruckt wurde, weil der italienische Verein den Gegner Schalke 04 nicht ernst nahm; oder jene ganzseitigen Glückwunschannoncen der FC-Bayern-Sponsoren, die an diesem Montag nach dem Drama gegen Chelsea in den Tageszeitungen hätten stehen sollen.

Diese überflüssig gewordenen Annoncen sind der Öffentlichkeit verborgen geblieben, anders als die Anzeige des Hauptsponsors der Basketball-Mannschaft Miami Heat im Juni 2011. Am Tag, nachdem die Dallas Mavericks, das Team um Dirk Nowitzki, den entscheidenden vierten Sieg im NBA-Finale errungen hatten, druckte die Tageszeitung Miami Herold versehentlich die Jubel-Annonce, die für den Fall des Miami-Sieges geschaltet werden sollte.

Das Titelbild von Der Pott ist dahoam hat einen prominenten Platz in einer solchen Sammlung. Es erinnert uns daran, dass unterhalb der Oberfläche realer Ereignisse ein unsichtbarer Strom von Dingen fließt, berechnet für Fälle, die nicht eingetreten sind.

© SZ vom 26.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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