TV-Schauspieler auf der Boulevardbühne:Im Abklingbecken der Popularität

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Theater der großen Geste: Grit Boettcher und Tochter Nicole Belstler-Boettcher in "Omma Superstar". (Foto: dpa)

Die Zeiten für Fernsehschauspieler sind hart: Es gibt immer weniger Rollen. Wer auf dem Bildschirm nicht gefragt ist, kommt in Boulevardtheatern unter. Mit Erfolg, denn "was die da machen, soll lustig sein". Aus dem Randgebiet der Aufmerksamkeit.

Von David Denk

Grit Boettcher begrüßt ihre Gäste. So viel Zeit muss sein - auch während einer laufenden Vorstellung. Gerade hat sie die Bühne der Komödie im Bayerischen Hof betreten, aber, anstatt gleich loszuspielen, hält sie kurz inne, schaut in den Saal und nimmt den Applaus der Münchner entgegen. Man erwartet eine Verbeugung, doch immerhin die verkneift Boettcher sich. Auch so ist klar: Dieser Abend gehört der 75-Jährigen, die vor nichts zurückschreckt, nicht mal vor einem Auftritt im Tutu; Boettcher spielt vor lauter Fans, die ihretwegen die Spitzenbluse und den Trachtenjanker aus dem Schrank geholt haben. Öffentlich-rechtlicher kann ein Publikum kaum aussehen.

Es muss ein schönes Gefühl sein für Boettcher, ein tröstliches: Hier erinnern sich alle noch an ihre Erfolge, an Ein verrücktes Paar, Hotel Paradies und Immer wieder Sonntag, hier sind die Achtziger- und Neunzigerjahre nicht graue Vorzeit. Wer vom Fernsehen längst vergessen wurde, kann immer noch auf die Treue des Boulevardtheaterpublikums bauen. Bühnen wie die Komödie im Bayerischen Hof sind Abklingbecken für die Restpopularität früherer Fernsehstars.

Zwischen 100 und 700 Euro - je nach Prominenz - liegen die Abendgagen. 50 Vorstellungen sind keine Seltenheit. Wird eine Inszenierung von einem anderen der gut zehn einschlägigen Häuser in Deutschland übernommen oder geht auf Tournee, summiert sich das schnell. "Wenn wir jemandem eine Rolle geben und das wird ein Erfolg, dann hat der zwei Jahre zu tun", sagt René Heinersdorff. In Zeiten des Spardiktats bei den ehemals so spendablen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern sind es längst nicht mehr nur die Ausgemusterten, die im Boulevardtheater einen Zufluchtsort finden - nicht zuletzt dank Heinersdorff.

"50 Lacher am Abend sind besser als fünf", das ist das Motto an diesen Theatern

Der 50-Jährige ist der Pate der deutschen Boulevardtheaterszene - ein Pate mit Spitznamen "Robby". "Ich gucke gern in glückliche Gesichter", sagt er über sich. Er konnte Grit Boettcher ihren Wunsch nicht abschlagen, den Schwank Omma Superstar zu inszenieren. Richtig glücklich wirkt er mit dem Ergebnis nicht. Er nennt es "meine Hommage an die große Zeit der Grit Boettcher". Der Subtext: Modernes Boulevardtheater sieht anders aus. Und der Entstaubung des Boulevardtheaters hat er sich ja eigentlich verschrieben - als Regisseur, Autor, Schauspieler und Theaterleiter. Man muss Heinersdorff versprechen, sich bei nächster Gelegenheit auch noch eine seiner anderen Inszenierungen anzuschauen, wohl um keinen falschen Eindruck von ihm zu kriegen.

Nahtlos abgelöst wurden Boettcher und Omma Superstar im Bayerischen Hof von Jutta Speidel ( Alle meine Töchter, Um Himmels Willen) und Verliebt, verlobt, verschwunden - konsequenterweise ein Ein-Personen-Stück. Denn im Boulevardtheater heißt die entscheidende Währung: Prominenz. "Es geht um die Faszination, die oder den aus dem Fernsehen da live zu sehen, nur wenige Meter entfernt", sagt Heinersdorff. "Die Leute kommen nicht aus kulturellem Pflichtbewusstsein, sondern weil sie gehört haben: Was die da machen, soll lustig sein." Auch wenn das Publikum vor allem wegen der Namen kommt, weiß er aus Erfahrung, dass der Promibonus keine miese Inszenierung aufwiegt.

Heinersdorff, der aus einer Düsseldorfer Konzertagentenfamilie stammt, brennt fürs Theater, allen voran für den Boulevard, seit er mit zwölf den Klassiker Charleys Tante gesehen hat. Heute betreibt er zwei Bühnen, eine geerbte in Köln und eine selbst gegründete in seiner Heimatstadt. Das "Theater an der Kö" wird in diesem Jahr 20. Für die eigentliche Jubiläumsinszenierung sucht er noch nach einem prominenten Zugpferd. Ein Knaller soll es werden - ein Selbstläufer. "Als dramaturgisch denkender Mensch könnte man das für unlauter halten", sagt Heinersdorff, "doch als Boulevardtheatermann darf man keine Angst davor haben, dem Affen Zucker zu geben."

René Heinersdorff ist ein Typ, dem Berührungsängste eher fremd sind: Obwohl im Boulevardtheater sozialisiert, geht er gern und regelmäßig in hochseriöse Stadttheaterinszenierungen und ist mit der lange am Bayerischen Staatsschauspiel engagierten Tanja Schleiff liiert. Dass er mittlerweile sogar an kleineren städtischen Bühnen inszenieren darf - "das wäre vor 20 Jahren noch komplett undenkbar gewesen" - hat jedoch weniger mit ihm zu tun als mit einem Umdenken in der Branche. Dünkel kann man sich an vielen Häusern schlicht nicht mehr leisten. Dort rennt Heinersdorff, dessen Theater ohne Subventionen auskommen müssen, mit seinem Anspruch mittlerweile offene Türen ein: die Hütte vollzukriegen und die Leute nicht zu langweilen. "50 Lacher am Abend sind besser als fünf", sagt er.

Damit erntet Heinersdorff immer weniger Widerspruch - zumindest kaum lauten.

"Die Grenzen sind aufgeweicht", sagt er und meint damit etwa, dass längst auch Schauspieler aus dem - wie man früher sagte - seriösen Fach in Rosamunde-Pilcher-Filmen auftauchen. Erlaubt ist, was die Miete zahlt. Wirtschaftliche Zwänge schlagen künstlerische Vorbehalte. Für die Filme und damit auch den Zuschauer ist das sicher ein Gewinn - für Schauspieler nicht unbedingt, weil sie damit rechnen müssen, in der Pilcher-Schublade stecken zu bleiben. Ein Tatort-Auftritt wird damit recht unwahrscheinlich. Die Grenzen mögen aufgeweicht sein, verschwunden sind sie nicht. Wer sich Dünkel noch leisten kann, tut das auch.

Mit Ausgerechnet Hamlet über den Winter

"Wenn Rollenangebote ausbleiben, darf man das bloß nicht persönlich nehmen", sagt Jenny Jürgens, "auch wenn's schwerfällt." Seit Juli steht sie als neue Hauptdarstellerin der Telenovela Rote Rosen vor der Kamera, aber davor hatte die 47-Jährige "zwei eher magere Jahre", wie sie freimütig erzählt. Auch darin äußert sich die Krise ihrer Branche: Es ist kein Makel mehr, als Schauspieler keine Rollenangebote zu bekommen, kein Einzelschicksal, sondern ein strukturelles Problem - zu großes Angebot bei zu geringer Nachfrage. Die Öffentlich-Rechtlichen streichen ihre Etats mehr und mehr zusammen, die Privatsender lassen ohnehin kaum noch Serien und Fernsehfilme produzieren.

Jürgens sagt, sie habe Heinersdorff "sehr viel zu verdanken". Seit gut 20 Jahren bietet er ihr ein zweites Standbein. In Ausgerechnet Hamlet, der Eröffnungsinszenierung des Theaters an der Kö, war sie dabei und seitdem in insgesamt acht Stücken. "Diese Arbeiten haben mich über so manchen Winter gebracht", sagt sie. "Robby hat mir immer das Gefühl gegeben, an mich als Schauspielerin zu glauben."

Heinersdorff selbst sieht sich "auch ein bisschen als Sozialarbeiter" - schon aus Eigeninteresse: "Wie 'ne offene Hose benehmen können sich nur Intendanten von Stadttheatern, die kein unternehmerisches Risiko tragen." Er empfinde es als Kompliment, dass er seit Jahren mit den gleichen Mitarbeitern und Schauspielern zusammenarbeite. Dass er selbst vom Fach ist, trägt sicher zur Verständigung bei. Sofern möglich, versuche er etwa, kurzfristige TV-Angebote zu ermöglichen.

Thomas Fritsch spielt lieber in solchen Stücken als im Fernsehen "den zweiten Opa von links"

Es ist fast ein bisschen unheimlich: Jeder, den man anruft, plaudert gern und ausgiebig über Heinersdorff. Auch Hugo Egon Balder und Thomas Fritsch. Was die beiden verbindet: Das Fernsehen, in dem sie große Erfolge gefeiert haben, der eine als Moderator ( Genial daneben) und Produzent ( RTL Samstag Nacht), der andere als Schauspieler ( Rivalen der Rennbahn), ist ihnen fremd geworden.

Andersrum stimmt's sicher auch. Am wohlsten fühlen sie sich mittlerweile auf der Bühne. Ein "unfassbar schönes Arbeiten" sei das, "ein großes Vergnügen", sagt der nicht als notorischer Schwärmer bekannte Balder, "weil man bei Robby mit Könnern zusammenarbeitet." Enttäuscht sei er nicht vom Fernsehen, aber mit bald 65 einfach aus dem Alter raus, endlose Meetings zu erdulden und weiter gegen die Mutlosigkeit des Unterhaltungsfernsehens anzukämpfen. Da drehe er lieber oder spiele Theater. Zu sehen ist er etwa in einem Stück mit dem zu Gehässigkeiten verleitenden Titel Aufguss, von, mit und inszeniert von Heinersdorff. Bei dem arbeite man wie früher bei RTL, "nach dem Prinzip: Wir machen nur, worüber wir auch selbst lachen können."

Fritsch wiederum hat "die goldene Zeit des Boulevardtheaters" in bester Erinnerung, als man etwa für die Komödie am Kurfürstendamm nie Karten bekommen habe, "weil alles ausabonniert war". Der 70-Jährige mit der begehrten Synchron- und Erzählerstimme kann über die besonderen Anforderungen des Boulevards philosophieren wie kaum ein Schauspieler, ist er doch seit mehr als 50 Jahren in diesem häufig belächelten Geschäft. Gelernt hat er sein Handwerk bei der Berliner Regie- und Schauspielerlegende Wolfgang Spier.

Boulevardtheater ist für Fritsch kein Notnagel, sondern Berufung. "Ich bin ganz froh, dass ich nicht mehr lässig in Sportwagen reinspringen muss", sagt er mit Blick auf sein früheres TV-Rollenfach, aber - "Was ist denn das für eine Frage?!" - klar hätte er gern mal wieder einen großen Fernsehauftritt. "Die Angebote häufen sich nur nicht gerade." Da er allerdings unbedingt arbeiten wolle, spiele er lieber am Boulevardtheater die Hauptrolle "als den zweiten Opa von links." Derzeit laufen an Heinersdorffs Kölner Bühne die Proben für die Adaption von Ziemlich beste Freunde - Hauptrolle: Thomas Fritsch.

"Die große Aufgabe des Boulevards ist es, junge Leute für diese Art von Theater zu begeistern", sagt Routinier Fritsch. Im Bemühen um neue Zuschauer ist der Rückgriff auf Kinoerfolge sicher nicht die originellste Idee, aber auch nicht die dümmste.

Dieses Nachwuchsproblem kommt einem merkwürdig bekannt vor. Bekannt aus Funk und Fernsehen.

© SZ vom 08.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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