TV-Kritik: Rock statt Rente:Highway to Health - wenn Alte AC/DC singen

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Das TV-Spiel "Rock statt Rente: Das Beste kommt zum Schluss" zeigt einen Rentner-Chor beim Singen von "Highway to Hell". Der Privatsender Sat 1 hofft auf gute Geschäfte.

Julia Mähner

Der Klang von E-Gitarren füllt den Saal. Der Rhythmus des Schlagzeugs treibt die Hörer an, Hi-Hat und Snaredrum geben zischend den Takt vor. Es ist das altbekannte Riff der Band AC/DC bei ihrem Superhit Highway to Hell. Kurz darauf hört man auch Bon Scotts kreischende Stimme.

Das Beste kommt zum Schluss: Chorleiter Carsten Gerlitz und seine Rock-'n'-Roll-Rentner. (Foto: Sat 1/Richard Hübner)

Nein, es ist nicht das legendäre Konzert der australischen Rocker in der Arena des Circus Krone in München 2003. Man schreibt das Jahr 2010, die Szene spielt in einem kleinen Saal in Berlin. Das Publikum sind keine hartgesottenen Rocker, sondern Rentner.

Auf Sat 1 läuft seit dem 4. August eine neue Doku-Soap namens Rock statt Rente - Das Beste kommt zum Schluss. Dieses Format zeigt den Chorleiter Carsten Gerlitz und seine Sangesgruppe aus 25 Rentnern, die einen dreimonatigen Workshop hinter sich bringen - um schlussendlich mit der Band Pur in der Arena auf Schalke ein Konzert zum Besten geben. Die sechsteilige Reihe begleitet die Pensionäre von den Anfängen im Chorsaal bis zu Aufnahmen im Studio und für einen Videoclip. Ein Album wird groß angekündigt.

Als Hans-Dieter sich Doris nähert

Über Aushänge in Altenheimen fand sich der Chor zusammen. Die rüstigen Sängerinnen und Sänger kannten sich nicht und stellen sich erst einmal vor. Für die Zuschauer zu Hause vor dem Bildschirm geschieht das in kleinen Filmen.

Die Aufnahmen sind traurig. Zu sehen sind kleine, faltige Menschen in ihren Wohnungen. Die Kameramänner stehen weit weg und arbeiten mit Weitwinkelobjektiven. Dies lässt die Räume größer erscheinen als sie sind, die Rentner kleiner und verletzlicher. Alle haben schon schwere Schicksalsschläge erleiden müssen. Man verwendet nur Standbilder, denn Bewegung im Bild würde Bewegung im Leben der älteren Herrschaften symbolisieren. Zusätzlich wird die Farbsättigung verringert, alles erscheint grau, gar düster.

Im Kontrast dazu dann die Szenen im Proberaum: Auf einmal leuchten die Farben, man geht näher an die Menschen ran, die Kameraführung ist dynamisch. Die Rentner stehen groß und singen ihren Mitstreitern vor. Alle lachen und freuen sich. Und AC/DC kommt an. Man klatscht und wippt im Takt. Einer der Herren, Hans-Dieter, springt sogar auf und tanzt. Dabei übernimmt er sich etwas und purzelt seiner Sitznachbarin auf den Schoß. Hans-Dieter ist dies furchtbar peinlich, doch Doris winkt kichernd ab.

Highway to Hell ist das erste Lied, welches der Chor lernt. Zunächst üben sie auch nur den Refrain, denn die Sprache ist schon das erste Hindernis. Die meisten können einfach kein Englisch. Doch man boxt sich durch und hat an den Proben so viel Freude, dass alle nach Ende der zwei Stunden länger bleiben.

Das Konzept der Sendung ist offensichtlich: Sat 1 hat mit der Band Pur und Carsten Gerlitz insgesamt 25 einsame Rentner aus der Misere geholt und haucht ihnen wieder Leben ein. Endlich hat man ein Ziel, endlich passiert wieder etwas. Quoten für den Sender, Publicity für Chorleiter Gerlitz und die Altpopper von Pur - und Spaß für die Altrocker vom Chor.

Ganz neu ist diese Idee allerdings nicht. Bereits vor drei Jahren wurde in Großbritannien ein Rentner-Chor, The Zimmers, gegründet. Ihre Coverversion der The-Who-Hymne My Generation schlug auf Youtube ein. Man ging ins Studio und auf Tournee, kam sogar bis nach Australien, das Heimatland von AC/DC, und erreichte so was wie Kultstatus. Der Unterschied: Es wurde keine Doku-Soap fürs Fernsehen daraus gemacht.

Der Berliner Chor dagegen wird auch außerhalb der Proben mit der Kamera verfolgt. Sat 1 will diese Leben für die eigenen Choreograhie ausbeuten, will mit den Mitteln der scripted reality Spannung erzeugen. Was sich so nicht von alleine zugetragen hätte, kommt durch die TV-Leute zustande.

Zwei der älteren Herren, Alois und Wilhelm, wollen abends Kreuzberg unsicher machen. Im Trinkteufel lernen sie dann auch echte Rocker kennen - mit Tattoos und langen Haaren. Einer von ihnen hat AC/DC auf seinem Rücken tätowiert und eine Gitarre dabei. Man spielt gemeinsam Highway to Hell - das einzige Rocklied, zu dem Alois und Wilhelm den Text kennen. Die Kneipenbesucher sind begeistert von den beiden: "Da kommen zwei Opas rein und spielen die Lieder unserer alten Coverband. Also irgendwie war das so ein kleiner, heiliger Moment. Ich möchte auch so alt werden."

In solchen Momenten vergisst man, dass die Recken von AC/DC selbst fast Opas sind, und die Matadoren von Rolling Stones und The Who schon längst im Rentenalter angekommen sind. Konsequent also, dass Rentner die Songs von Rentnern singen. Oldies like Oldies.

Nächste Probe, nächste Herausforderung. Der Chor wird nach Singstimmen aufgeteilt - Bass, Tenor, Alt und Sopran. Viele haben die drei Wörter, die sie gelernt haben, schon wieder vergessen und manch einer singt statt Highway to Hell lieber "Highway to Health" (Autobahn zur Gesundheit). Rollstuhlfahrer Gerhard meint, das sei doch das Lied "mit der Straße, die zur Hölle läuft". Da hat er ja auch recht.

Magda und Doris im Verbrauchermarkt

Am Schluss der Proben kriegt jeder der Teilnehmer eine CD mit dem Lied in seiner Tonlage zum Üben. Das verursacht das nächste Problem: Eine Teilnehmerin, Magda, hat gar keine Anlage, mit der sie die Scheibe abspielen könnte. Also geht Doris mit ihr zu Media Markt. Bis sie sich schlussendlich von einem Angestellten beraten lassen. Am Ende albern sie ausgelassen vor der Kamera herum.

Die Botschaft der Doku-Soap ist klar. Renter haben was auf dem Kasten, man muss sie nur lassen. Und das spricht an, denn jeder fühlt sich davon betroffen. Im Prinzip beschäftigt sich Sat 1 nur mit dem Thema, über das keiner so gerne reden möchte, dem Älterwerden. Sehen wollten es offenbar auch nicht viele: Die erste Folge erreichte einen Marktanteil von 5,4 Prozent insgesamt. In der werberelevanten Zielgruppe zwischen 14 und 49 lief es mit 6,6 Prozent nicht wesentlich besser.

Im Prinzip tut Sat 1 mit diesem Projekt ja auch etwas Gutes. Die Rentner blühen auf, sie entfliehen der Einsamkeit. Man fragt sich allerdings, ob die Teilnehmer nach den drei Fernsehmonaten wieder in das Loch fallen, in dem sie gesteckt haben. Bis dahin zählt die Parole des Rentnerrockers Wilhelm: "Wir leben noch!"

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