TV-Einschaltquoten:Eine Währung veraltet

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Mediatheken und Video-Portale wachsen. Doch die TV-Quotenmessung ignoriert das Internet. Je stärker sich die Sehgewohnheiten ändern, desto weniger ist die traditionelle Quote wert. Eine Weiterentwicklung der Messtechnik gilt als überfällig.

Simon Feldmer

Wenn Fernsehmacher die Bedeutung der Einschaltquote zu erklären versuchen, dann bezeichnen sie diese oft als eine Währung - die Währung ihrer Branche. Im herkömmlichen Fernsehen läuft es so: Instrumente wie Quote, Marktanteile und Reichweiten regeln die Bezahlung. Die Kosten für einen Werbespot hängen, vereinfacht gesagt, davon ab, wie viele Zuschauer das jeweilige Programm ansehen. Aber die Gefahr wächst, dass die Fernsehwährung immer weniger wert wird.

Denn viel mehr Menschen als früher nutzen das Internet, um Soaps, Vorabendkrimis und Serien zu schauen - und nicht mehr unbedingt allein die klassischen Verbreitungswege wie Kabel oder Satellit. Dieses Webfernsehen ist vor allem für private, werbefinanzierte TV-Unternehmen ein Problem. Denn noch immer bringen den Sendern ihre schönen Steigerungsraten im Online- und Abruffernsehen finanziell ziemlich wenig.

Was Zuschauer über das Internet konsumieren, fließt bislang nicht in die Quotenmessung ein, die Marktforscher des Unternehmens GfK im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) durchführen. Auch die ständige Weiterentwicklung der Technik - von immer ausgereifteren Settop-Boxen bis zu Smart-TV-Geräten, bei denen Internet und Fernsehen fusionieren - lassen die Quotenmessung an Grenzen stoßen. Und dabei ist die Entwicklung ganz klar: Mediatheken, Video-Portale, Catch-up-TV - all das wird immer häufiger genutzt, während die Marktanteile im klassischen TV bröckeln.

"Aus proprietären Verbreitungstechniken resultierende Messlücken"

Seit knapp einem Jahr gelingt es immerhin teilweise, das zeitversetzte Fernsehen in der Quote zu berücksichtigen, Aufzeichnungen auf Festplattenrecordern etwa.Ein größerer Schritt steht zum 1. August an: Mit einer zusätzlichen Messtechnik namens "Audiomatching" kann die Verbreitungstechnik IPTV (Internet Protocol Television) abgebildet werden. "Wir schließen aus proprietären Verbreitungstechniken resultierende Messlücken", sagt Martin Berthoud, Vorstandsvorsitzender der AGF. Das heißt: Man will nicht nur die Hauptstraßen sondern auch die neuen Nebenwege der Programmverbreitung erfassen.

Wer die Tagesschau auf dem Computer aus der Mediathek abruft, wird dabei erstmal nicht berücksichtigt. IPTV bringt Programme über Breitband auf herkömmliche TV-Geräte. Kunden des Telekom-Angebots Entertain zählen dazu. In der AGF rechnet man damit, dass derzeit 3,1 Prozent der Haushalte IPTV nutzen. An große Verschiebungen bei den Zahlen glaubt deshalb niemand. "IPTV-Kunden sind vielleicht etwas technikaffiner, schauen aber deshalb keine anderen Formate als Zuschauer über andere Verbreitungswege", sagt die stellvertretende AGF-Vorsitzende Katrin Hollerbach-Zenz.

Seit Jahren arbeiten die Experten im Kreis der AGF daran, ihre Verfahren weiterzuentwickeln. "Wir betreiben einen immensen finanziellen und fachlichen Aufwand", betont AGF-Vorstand Berthoud, der im seinem eigentlichen Job Hauptabteilungsleiter Programmplanung beim ZDF ist. Ein zweistelliger Millionenbetrag wurde zuletzt erneut in die Optimierung der Messtechnik investiert.

Allerdings geht es nur schleppend voran. Für viele im Markt ist das ärgerlich. Je stärker sich die Sehgewohnheiten wandeln, desto schwächer wird die Akzeptanz der Quote auf Seite der Agenturen und Unternehmen, die Spots schalten.

Zumindest ihre Rhetorik haben TV-Macher schon der neuen Wirklichkeit angepasst. RTL-Chefin Anke Schäferkordt sagte kürzlich in einem Interview: "Früher haben wir 'nur' Fernsehen gemacht, heute arbeiten wir jeden Tag daran, Deutschlands erfolgreichster Bewegtbildanbieter zu sein - egal auf welcher Plattform." Egal? In der Praxis wohl kaum. Wenn es so wäre, müsste auch die Quote auf allen Plattformen gemessen werden, nur das brächte die verschiedenen Kanäle auf eine Höhe. Die aktuelle Weiterentwicklung der Messtechnik ist aus RTL-Sicht "überfällig".

Die Fernsehforscher hängen dem Fortschritt hinterher

Bei einer AGF-Vorstandssitzung Anfang Juli wurde nun über die nächste Ausweitung der Messung diskutiert. Es geht darum, endlich die Mediatheken-Nutzung mit den GfK-Zahlen zu verrechnen Allein eine Tatort-Folge wird nach Angaben der Programmdirektion des Ersten im Schnitt 200 000 bis 500 000 mal innerhalb einer Woche im Netz abgerufen. Anfang 2013 will die AGF technisch soweit sein, auch diese Nutzung in die Quotenangaben zu packen. Sogar ein neues GfK-Panel soll dafür aufgebaut werden, also eine bestimmte Zahl an repräsentativen Haushalten, in denen die Nutzung gemessen wird. Mobiles Fernsehen über Smartphones könnte dann bald ebenso abgebildet werden.

Trotzdem hängen die Fernsehforscher dem Fortschritt hinterher. In der AGF erklärt man, dass andere Länder nicht viel weiter seien. "Wir sind sogar Vorreiter, weil wir beim Streaming wie im Fernsehen die Nutzungszeit exakt messen und damit über die verschiedenen Verbreitungswege voll vergleichbare Nutzungswerte erheben", sagt Berthoud. Bei der Rettung der Fernsehwährung herrscht zumindest deutsche Genauigkeit.

© SZ vom 07.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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