Tatort in der ARD: Eigenwilliges Konzept:27 "Tatort"-Kommissare in einem Zweiteiler

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Ein Berg, viele Tote und mehr als 20 Kommissare: In der ARD wurde eine ganz und gar unmögliche "Tatort"-Idee diskutiert.

Christopher Keil

Ein Berg in Bayern, schlechtes Wetter im Tal. Die Gondel bricht durch die Wolkendecke, eine Idylle breitet sich aus: türkisfarbener See, herbstliche Wiesen, ein paar kleine Hütten. Mittendrin ein ehemaliges, prächtiges Sanatorium, inzwischen ziemlich heruntergekommen.

Viele Kommissare für ein bisschen Wirbel? In der ARD wurde eine eigenwillige Idee diskutiert. (Foto: ddp)

So beginnt für 27 Tatort-Kommissare ein Fortbildungswochenende, auf das sich die wenigsten freuen. Der Seminarleiter liegt bereits tiefgefroren im Kühlraum, wird aber erst später entdeckt. Zunächst gibt es eine Bettensituation. Der rustikale Charme, offener Kamin und Herd mit Holzbefeuerung, ist schnell verbraucht. Zweimal fünf Kommissare müssen sich zwei Räume teilen. Die weibliche Abteilung hat für sich eine Doppelzimmerlösung durchgeboxt. Die Gockel sind auf der Zinne. Es geht zu wie unter Teenagern auf Klassenfahrt. Am nächsten Morgen sind die meisten mit Feldbetten, kalter Dusche und dem Ausfall des Mobilfunknetzes trotzdem beinahe versöhnt - nur Kommissar Rot war offenbar tiefer betroffen und ist besoffen im Speisesaal eingepennt.

Wenn es nur so wäre. Rot ist tot. Er wurde niedergestreckt und mit Dutzenden Nikotinpflastern vergiftet. Weil nun auch Gondelbetrieb und Strom unterbrochen sind, wird die Lage brenzlig. Am Ende fliegt die morsche Bude in die Luft. Bis dahin müssen noch ein paar Superbullen sterben (Weiß, Grau) - einer (Grau) taucht im Kegelkeller wieder auf, allerdings kopfüber und eingeklemmt zwischen den Holzpins.

Das ist schon sehr angelegt wie in dem 1976 entstandenen Kinofilm Eine Leiche zum Dessert. Die fünf berühmtesten Detektive der Welt, darunter Hercule Poirot, Miss Marple und Sam Spade, müssen auf einem Schloss einen Mord klären. Es geht darum, wer der Beste von ihnen ist.

Der deutsche Alpen- Tatort-Stoff, der schon im Februar bei einer Sitzung der Fernsehfilm-Koordination während der Berlinale geprüft wurde und den seltsamerweise die Schauspielerin Elena Uhlig (u.a. Alles auf Zucker, Das Beste aus meinem Leben) eingebracht hatte, wäre vielleicht ein Beitrag zum Tatort-Jubiläum gewesen.

Ende November gibt es die erfolgreichste deutsche TV-Krimi-Reihe 40Jahre. Der von Harald Göckeritz und Gerlinde Wolf geschriebene Entwurf einer Komödie (Arbeitstitel: "Gondel zum Schafott"; die Kommissare wurden nach Farben benannt, weil die Besetzung nicht feststand) wollte den Jubeltag mit einem Lächeln würdigen, wollte Mord und Totschlag einmal nicht so ernst nehmen.

Doch die Fiktion fand bei der Fernsehfilm-Koordination keine Befürworter. "Alle Fernsehfilm-Chefs haben sich mit dem Projekt intensiv befasst", schrieb WDR-Fernsehspielchef Gebhard Henke. "Wir sind zu dem einmütigen Ergebnis gekommen, dass uns die Geschichte, in der (fast) alle Tatort-Kommissare mitspielen sollten, inhaltlich nicht überzeugt. Den für einen Zweiteiler veranschlagten hohen Aufwand halten wir für nicht angemessen."

Wenn sich allerdings Sonntag für Sonntag zwischen sechs und zehn Millionen Menschen für eine Tatort-Kommissarin oder zwei Tatort-Kommissare entscheiden, wären es bei 27 Kommissaren weniger? Zumal ARD und ZDF ihre Programme nach wie vor überwiegend auf Grundlage von Quoten messen. Gerade wieder bei Im Angesicht des Verbrechens, der inhaltlich überzeugenden Mafiaserie Dominik Grafs. Sie wird an diesem Freitag vorzeitig beendet, die letzten drei Folgen werden nacheinander ausgestrahlt. Von kommender Woche an sollen wieder Tatort-Wiederholungen Millionen Menschen mehr einsammeln.

Der Ansatz, die meisten Kommissare in einer Story auf- und abtreten zu lassen, ist einerseits natürlich irre. Andererseits steckt darin Komisches. Individualisten - so werden die Kommissare ja sonntags immer präsentiert - einem gruppendynamischen Prozess auszusetzen, ist ein Klassiker.

Mit Komödie allerdings haben konservative Systeme von jeher Schwierigkeiten. Die ARD beschenkt sich zu 40 Jahre Tatort mit einem Tatort-Quiz. Das ist eine sichere, typische Variante.

Die Choreographie von mehr als 20 Tatort-Ermittlern wäre eine Versuchsanordnung mit Risiko gewesen - einer Nähe zur Peinlichkeit zum Beispiel. Matthias Esche, einer der Geschäftsführer des ARD-Ablegers Bavaria Film ( Die Manns, Buddenbrooks), hatte "Gondel zum Schafott" im frühen Stadium mit circa 10000 Euro gefördert. Für die Regie war Vivian Naefe ( Die wilden Hühner) vorgesehen. Außerdem lagen schon Einverständniserklärungen von mindestens 15 aktuellen und ehemaligen Tatort-Kommissaren und -Kommissarinnen vor, darunter die populären Kölner Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär), der Kieler Borowski (Axel Milberg), der Münsteraner Thiel (Axel Prahl) und Lena Odenthal aus Ludwigshafen (Ulrike Folkerts).

"Fairerweise", sagt Bavaria-Manager Esche, müsse man auf die strukturellen und inhaltlichen Hürden hinweisen. 20 bis 27 Tatort-Hauptdarsteller auf einen Drehtermin zu verpflichten, sei sehr kompliziert, und dann müsse auch "die Geschichte" richtig gut sein. Bei Esche klingen Zweifel an, dass Göckeritz und Wolf so eine "Geschichte" richtig gut hinbekommen hätten. Jedenfalls hält er das Urteil der Fernsehspielchefs offenbar für angemessen.

"Gondel zum Schafott" hätte trotzdem ein Straßenfeger werden können, etwas, das es wie die Edgar-Wallace-Verfilmungen in den 60er Jahren noch gab. So steht das unkonventionelle, früh gescheiterte Projekt auch für eine Haltung im gebührenfinanzierten Rundfunk, kaum etwas zu unternehmen und mit Gebührengeld zu entwickeln, das mit den angeblichen Sehgewohnheiten bricht - völlig unabhängig davon, ob die eingereichte Vorlage dramaturgische Schwächen hatte. Drehbücher werden immer entwickelt, selbst die besten.

Der Tatort allerdings ist für die ARD der Heilige Gral. Er wird streng bewacht, vier Jahrzehnte inzwischen, und Ironie ist für die Gralshüter kein Mittel der Verteidigung.

© SZ vom 17.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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