Medienkolumne Abspann: 30 Jahre "Superillu":Händchenhalten mit dem West-Mann

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Aus der Superillu konnte man 1990 lernen, dass nicht alles so funkelt, wie es in Prospekten dargestellt wird. (Foto: Super Illu)

Die erste Ausgabe der Ost-Zeitung verblüfft auch nach 30 Jahren noch einmal ganz neu als Prospekt einer kommenden Befindlichkeit.

Von Cornelius Pollmer

Man erkennt dieses Land kaum wieder, wenn man sich noch einmal in seine damalige Gegenwart blättert. Zum 30-jährigen Bestehen hat die seinerzeit speziell für den Osten entwickelte Superillu ihre Erstausgabe hochgeladen - 47 Seiten print, online at last. Als Bürger der bald ehemaligen DDR musste man schon 1990 lernen, dass das Leben selten so sehr funkelt, wie es in Prospekten dargestellt wird. Die Superillu leistete in ihrer ersten Nummer einerseits Aufklärung ("Betrug - so durchschauen Sie die Tricks der Gebrauchtwagenhändler"), sie wurde andererseits aber auch Teil des Problems. "40 Berufe mit Zukunft", versprach sie auf dem Titel - innen waren dann aber erst einmal nur 15 gelistet.

Mit ihrem Titel lag die Superillu zwar weit über der legendären ersten Schlag-, nein, Schreizeile der ebenfalls bei Burda entwickelten Bild-Kopierkatze Super!, die ein paar Monate später aufmachte mit "Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen ... Ganz Bernau ist glücklich, daß er tot ist". Im Verlauf des ersten Heftes ging es immer mehr zur Sache. Während die Superillu heute eine Art kuschelige Übergangsjacke für den Osten ist (bisschen aus der Mode gekommen, aber liebgewonnen und passgenau), war sie damals irgendwas zwischen Strumpfband und Kunstnerz.

Im großen "Lexikon der Erotik" massierte sie "zum Ausschneiden und Sammeln" von der "Bajadere" (die Tänzerin, nicht die Operette von Kálmán) bis zur "Brusterotik" das B durch, und gab schon mal einen "Nächste Woche"-Ausblick auf "Callgirls, Chines, Glocken (machen Asiatinnen glücklich)". Man kann und will sich einiges aus dieser Zeit heute nicht mehr erklären. Zur Vollständigkeit aber gehört, dass die leicht angegeilte Doofheit in keiner Weise vor den eigenen Leuten haltmachte. Im Grunde kann man in der ersten Superillu sogar den Beginn einer Selbstherabsetzung des Ostens erkennen, mit deren Folgen er teils heute noch laboriert. Besonders hervorzuheben ist in diesem Sinne die Doppelseite 16/17, auf welcher "der West-Mann" von ehemaligen Arbeiterinnen und Bäuerinnen geheiligt wurde. Der West-Mann "... trinkt weniger ... hält Händchen ... tanzt mit mir", kurz, wie es die zweifach geschiedene Telefonistin Gabi aus Berlin auf den Punkt brachte, er habe "mehr Schwung". Man erkennt, wie gesagt, das Land kaum wieder - und das ist durchaus eine der besseren Nachrichten kurz vor dem Jubiläumsherbst 2020.

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