Soziale Medien:Hinter der Ziellinie

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Ein absurder, monatelanger Zweikampf um die Youtube-Spitze ist vorerst entschieden. Ein angeblicher Einzelkämpfer unterliegt einem indischen Konzern.

Von Caspar von Au

Auf Youtube gibt es nach einem erbitterten Kampf um die meisten Abonnenten eine neue Nummer eins. T-Series heißt der Account, hinter dem ein indisches Musiklabel steht. Und dass gerade er jetzt der neue Spitzenreiter auf der Videoplattform ist, erzählt eine Menge über das Internet von morgen. Aber von vorn.

T-Series ist das größte Musiklabel in Indien. Sein Youtube-Kanal ist voll von Musikvideos aus Bollywood-Filmen und -Serien, eine Handvoll neue kommen jeden Tag hinzu. Die meisten Lieder sind indische Popschnulzen, in den Videos geht es um Liebe, Schmerz und natürlich ums Tanzen. Und die Konkurrenz? Seit Mitte August 2013 war Felix Kjellberg alias PewDiePie, 29, fast sechs Jahre lang "der König der Youtuber". Bekannt geworden ist er ursprünglich durch seine Let's-play-Videos, also Clips, die ihn beim Computerspielen zeigen. Mittlerweile beschränkt sich Kjellberg vorrangig darauf, Memes und andere Internetfundstücke, die ihm seine Fans zuschicken, vor der Kamera zu kommentieren. Er ist für seine anstößigen Späße und gelegentliche Grenzüberschreitungen bekannt. Und natürlich bei vielen genau deshalb beliebt.

Es ging auch darum, wie sich ein angeblicher Einzelkämpfer gegen einen indischen Konzern schlägt

Nach Videoaufrufen - der für Werbegelder eigentlich relevanten Zahl - liegt T-Series schon seit Anfang 2017 vor PewDiePie, ist also bereits mit deutlichem Vorsprung der meistgesehene Kanal der Welt. An der Zahl der Abonnenten hingegen lässt sich vor allem das Prestige eines Kanals bemessen. Seit Donnerstagmorgen hat das Musiklabel T-Series mehr Abonnenten als der schwedische Provokateur Kjellberg.

Beide Kanäle haben aktuell etwa 91,3 Millionen Fans. In den vergangenen Jahren war Kjellberg mehrmals öffentlich kritisiert worden, zum Beispiel, als er zwei indische junge Männer dazu brachte, ein Schild in die Kamera zu halten, auf dem "Tod allen Juden" zu lesen war. In der massiven Kritik, die in der Folge auf ihn niederging, sah PewDiePie eine Medienkampagne. Die Aktion habe Tabubrüche thematisieren wollen, hielt Kjellberg dagegen. Seine Fans haben derartige Entgleisungen nie gestört. PewDiePie gilt ihnen als Verteidiger einer "bedingungslosen Meinungsfreiheit im Netz", was ihm auch immer wieder Applaus von rechts eingebracht hat. Zuletzt wurde das bei dem Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch deutlich: Der rechtsextreme Attentäter, der 50 Muslime tötete und sich dabei selbst filmte, fand in seinem Livestream noch Zeit, die Zeilen "Abonniert PewDiePie" darin unterzubringen. Kjellberg twitterte daraufhin: "Es widert mich an, dass diese Person meinen Namen in den Mund nimmt", und zog sich einige Tage aus allen sozialen Kanälen zurück. Ein signifikanter Anstieg an Abozahlen war nach dem Anschlag nicht festzustellen.

Dass er nun vom Youtube-Thron gestoßen wurde, ist interessant, weil Kjellberg immer auch für das ursprüngliche Motto der Videoplattform stand: "Broadcast yourself". Er wurde von seinen Unterstützern immer als Einzelkämpfer wahrgenommen - auch wenn er mit seinen Videos laut Forbes allein 2018 rund 15,5 Millionen US-Dollar verdient haben soll. T-Series hingegen gilt ihnen als Kommerz und steht stellvertretend für Großkonzerne, die "kleinen" Youtubern das freie Netz streitig machen. Gleichzeitig repräsentiert T-Series aber auch Indiens Vormarsch im Internet. Mehr als 560 Millionen Inder und Inderinnen sind online, das Land hat die zweithöchste Nutzerzahl nach China (dort ist Youtube aufgrund der staatlichen Zensur allerdings nicht zugänglich). Dementsprechend richtet sich die Unterhaltungsindustrie gerade neu aus - und das zeigt auch das Rennen zwischen T-Series und PewDiePie.

Manipulierte Drucker und Elon Musk als Moderator: Im knappen Rennen war jedes Mittel recht

Dass es sich so lange hingezogen hat, liegt auch an einigen wahnwitzigen und teils illegalen Aktionen von Kjellbergs Unterstützern: Ende November manipulierte ein Hacker 50 000 Drucker und ließ sie Werbeflyer für PewDiePie drucken. Youtuber MrBeast warb während des Superbowls in den USA vor einem Millionenpublikum für PewDiePie, er und seine Freunde hatten Fan-Shirts drucken lassen und Plätze direkt hinter den Torstangen ergattert. Tesla-Chef Elon Musk moderierte in einem Video von Kjellberg, um seine Unterstützung zu signalisieren. Der jüngste und kurioseste Fall: Am Dienstag berichteten Medien von zwei digitalen Erpressungsversuchen, bei denen Hacker diesmal nicht Bitcoin, sondern ein PewDiePie-Abo von ihren Opfern forderten.

Von dem absurden Zweikampf, der nach mehr als einem halben Jahr entschieden ist, haben nicht nur die beiden Youtuber profitiert. Auf Dutzenden Kanälen konnte und kann man rund um die Uhr live verfolgen, wie das Rennen lief. Die Betreiber schalteten Werbung oder kassierten Spenden von anderen Nutzern. Nun müssen sie alle sich wohl ein neues Geschäftsmodell überlegen.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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