Sieben Fakten über Conchita Wurst:Phoenix mit Vollbart

Lesezeit: 4 Min.

Wer ist der junge Mann hinter der Kunstfigur "Conchita Wurst"? Ist der Bart echt? Und welche Botschaft hat die Österreicherin an Wladimir Putin? Sieben Fakten über die ESC-Gewinnerin 2014.

1) Conchita

Schon der Name steckt voller Widersprüche: Das klangvolle Conchita, schon an der a-Endung als weiblich erkennbar, ist im Spanischen eine Verniedlichung des Frauennamens Concha. Der bedeutet einerseits ganz neutral "Muschel", kann sich andererseits aber auch auf die unbefleckte Empfängnis (concepción) Marias beziehen. Irgendwo dazwischen angesiedelt ist eine weitere umgangssprachliche Bedeutung: Concha ist auch ein vulgärer Ausdruck für das weibliche Geschlechtsteil.

Darüber, wie Tom Neuwirth, so heißt der Mann hinter der Kunstfigur, auf den Vornamen kam, gibt es unterschiedliche Legenden. Mal ist die Rede davon, dass Conchita einfach das Synonym für "heiße Latina" sei. Mal heißt es, eine lateinamerikanische Freundin des Künstlers habe ihn liebevoll Conchita genannt.

2) Wurst

Neuwirth selbst lässt das Publikum wohl ganz bewusst im Ungewissen, seine Kunstfigur lebt vom Kontrast zwischen Offensichtlichem und Hintergründigem. Das gilt auch für seinen fiktiven Nachnamen: "Am Ende des Tages ist es einfach wurst, wie man aussieht und woher man kommt, weil einzig und allein der Mensch zählt", sagte er dem österreichischen Kurier. Mancher sieht neben der sprachlichen auch eine symbolisch-männliche Bedeutung in Neuwirths Komposition: "Ein Kunstname, der verschiedenste Assoziationen ermöglicht, auch jene, dass sich zwei Geschlechter in einem Menschen verstecken können", heißt es in einem Artikel auf News.at.

3) Geboren in Gmunden und im kolumbianischen Hochland

So extravagant Tom Neuwirth heute lebt, so kleinbürgerlich ist seine Herkunft: Geboren wird er am 6. November 1988 im oberösterreichischen Gmunden, idyllisch am Nordufer des Traunsees gelegen. Seine Kindheit verbringt er im 3000-Einwohner-Ort Bad Mitterndorf in der Steiermark. Biographische Eckpunkte, die viel, vielleicht alles mit der Geburt von Neuwirths Kunstfigur zu tun haben: "Conchita verdankt ihre Geburt dem Umstand, dass Tom Zeit seines Lebens mit Diskriminierung zu kämpfen hatte. Also schuf er eine Frau mit Bart", heißt es auf Wursts Webseite, die am Sonntag wegen der großen Nachfrage nur sporadisch erreichbar ist. "Als Katalysator für Diskussionen über Begriffe wie 'anders' oder 'normal'. Als Ventil, mit dem er seine Botschaft unübersehbar und unüberhörbar in alle Welt tragen will."

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Auf den ersten Blick überraschend verortet Neuwirth seine Kunstfigur dann aber nicht in einer Metropole dieser Welt - wo die Grenzen der Toleranz im Allgemeinen weiter gesteckt sind. Conchita ist vielmehr "im kolumbianischen Hochland" geboren, und damit wiederum all jenen jungen Menschen nahe, die wie damals Neuwirth im dörflichen Umfeld anecken. An sie richtet sich die Botschaft von Künstler und Kunstfigur: "Rise Like a Phoenix" - "Erhebe dich wie ein Phoenix", wie der Titel des ESC-Siegersongs lautet.

4) Echt unecht

Auf früheren Bildern von Tom Neuwirth ist von Bart keine Spur. Der tiefschwarze, akkurat gestutzte Bart von Conchita ist nur zum Teil naturgegeben. Angeblich hat sich die 25-Jährige an Halloween zum letzten Mal rasiert - der Rest wird mit Lidschatten dazu gepinselt. Auch die langen schwarzen Locken sind nicht echt, sondern eine Perücke.

Auf die Frage, wie lange sie zum Schminken brauche, sagte Conchita dem Kurier: "Wenn mir jemand sagt, du musst in einer halben Stunde fertig sein, schaffe ich es in 40 Minuten." Und notfalls geht sie einfach zum Nachhübschen auf die Toilette. Die für Damen, selbstverständlich: "Ich (...) frage erstmal: 'Mädels, wer hat Lipgloss?'" Die Überbetonung weiblicher Klischees könnte Wurst angreifbar machen, wäre da nicht ein Augenzwinkern aus solchen Statements herauszulesen. Eindeutig ist bei ihr gar nichts.

5) Tingeltour durchs TV

Die mondänen Roben, mit denen Conchita ihre weibliche Seite betont, kommen nicht von ungefähr: Der junge Mann hinter der Kunstfigur hat die Modeschule in Graz abgeschlossen. Seine wahre Berufung jedoch ist die Bühne, bevorzugt die von Talentshows im Fernsehen. Gerade volljährig, nimmt Neuwirth 2006 an der dritten Staffel von Starmania teil. Der Gesangswettbewerb beschert dem ORF Rekordquoten, der 18-Jährige belegt den zweiten Platz und wird in Österreich bekannt. Er wird Mitglied der Boyband "Jetzt anders!", die sich jedoch nach kurzer Zeit wieder auflöst.

2011 nimmt Neuwirth abermals an einer Talentshow im TV teil: Die große Chance (ORF) heißt das Format - und Neuwirth nun "Conchita Wurst". Diesmal reicht es nur für den sechsten Platz, doch Wurst qualifiziert sich für weitere Fernseh-Engagements. Sie versucht sich für Die härtesten Jobs Österreichs (ORF) als Fischverarbeiterin und lässt sich für die umstrittene Sendung Wild Girls (2013, RTL) mit anderen D-Promis in die Wüste Namibias schicken.

6) Europa ruft

Auch der Erfolg dürfte die Kritiker nicht verstummen lassen: Conchita Wurst mit der ESC-Trophäe. (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

Bereits 2012 bewirbt sich Conchita Wurst als Abgesandte ihres Heimatlandes Österreich für den Eurovision Song Contest (ESC). Sie unterliegt jedoch beim Publikumsvoting dem Hip-Hop-Duo "Trackshittaz". 2014 entscheidet der ORF selbst. Die Berufung der Travestie-Künstlerin ohne Zuschauer-Einbindung sorgt für Kontroversen. "Wenn jemand nicht weiß, ob er ein Manderl oder Weiberl ist, dann gehört er eher zum Psychotherapeuten als zum Song Contest", wettert der österreichische Musiker und Kabarettist Alf Poier. Der Chef der rechtsgerichteten FPÖ, Heinz-Christian Strache, nennt die Nummer "lächerlich". Und die Facebook-Gruppe "Nein zu Conchita Wurst beim Song Contest" sammelt innerhalb weniger Tage Zehntausende Unterstützer.

Die Betreiber wenden sich nach eigener Aussage vor allem gegen die Art und Weise der Entsendung. Doch die Kommentare auf der Seite sind teilweise homophob und menschenverachtend. Neuwirth, der offen zu seiner Homosexualität steht, reagiert auf seiner eigenen Facebookseite mit einem Toleranz-Plädoyer, das mit dem Gruß endet: "XOXO Conchy oh und... love you all". "Küsschen, liebe Schwulenhasser", titelt Spiegel online dazu passenderweise.

7) Gruß an Putin

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Eurovision Song Contest
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Von Antonie Rietzschel

Auch international erregt die in kein Klischee passende ESC-Kandidatin Widerstand. Massive Kritik an ihrer Berufung kommt aus Russland. Konservative Politiker und Kirchenkreise wettern, eine Übertragung des ESC mit dem Transvestiten bedeute "eine eindeutige Propaganda für Homosexualität und geistliche Verderbnis". Ein Sankt Petersburger Lokalpolitiker fordert gar ein Auftrittsverbot für Wurst. Die Künstlerin selbst richtet sich vor ihrem Auftritt an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der die Homophobie in seinem Land mit einer schwulenfeindlichen Gesetzgebung vorantreibt: "Ich weiß nicht, ob er zuguckt. Aber falls ja, sage ich ganz klar: Wir sind unaufhaltbar." Damit begründet Conchita Wurst einen neuen Solidaritäts-Hashtag (#unstoppable) - und am Ende gibt es immerhin fünf Punkte aus Russland für Österreich. Die Männer an der Macht haben nicht unendlich Macht über ihr Volk.

Anm. d. Redaktion: Nach Leserhinweisen haben wir die Ausführungen zum spanischen Frauenname Conchita erweitert, um alle möglichen Bedeutungen abzudecken.

© SZ.de/AFP/dpa/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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