Sachsen:Lauschrausch

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Bei Ermittlungen im Umfeld des Fußballvereins BSG Chemie Leipzig wurden auch Gespräche mit Journalisten, Ärzten und Rechtsanwälten abgehört und gespeichert. Langsam zeigt sich jetzt: Der Lauschskandal in Sachsen ist viel umfangreicher als gedacht.

Von Cornelius Pollmer

Zu der Gruppe, die sich hinter dem schönen deutschen Wort "Berufsgeheimnisträger" verbirgt, zählen neben beispielsweise Ärzten und Rechtsanwälten auch Journalisten. Diese Gruppe gehörte zu den explizit Betroffenen jener sächsischen Sachverhalte, die im Sommer dieses Jahres durch Recherchen des NDR öffentlich wurden. Die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen hatte gegen 14 Personen aus dem von der Polizei als politisch links verorteten Umfeld des Fußballvereins BSG Chemie Leipzig wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.

Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens waren Gespräche von mindestens drei Journalisten abgehört und jahrelang gespeichert worden. In mindestens einem Fall waren Gesprächsinhalte noch immer gespeichert, in den anderen Fällen waren die Daten erst kurz vor Ende der Ermittlungen im September 2016 gelöscht worden. Trotz schwerwiegender Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis und trotz der direkten Betroffenheit von Berufsgeheimnisträgern wurden die Daten nicht umgehend gelöscht. Auch hätten die Journalisten nach Einstellung des Verfahrens über die Abhörmaßnahmen von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden informiert werden müssen. Die drei Betroffenen versicherten im Sommer, dass dies in keinem der Fälle geschehen sei. Und darin bestand nur ein Aspekt eines auch in Gänze bemerkenswert umfangreichen Verfahrens. Neben den Beschuldigten waren mehr als 200 Personen abgehört worden, die Protokolle Zehntausender Gespräche füllten am Ende 80 Aktenordner. Trotz dieses enormen Aufwandes wurden die Ermittlungen im Oktober 2016 wieder eingestellt - aus Mangel an Beweisen.

In der vergangenen Woche ist nun durch den Grünen-Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann herausgekommen, dass entgegen vorheriger Mitteilungen der Generalstaatsanwaltschaft "mindestens neun Journalisten, zehn Rechtsanwälte und drei Ärzte als Dritte von den Überwachungsmaßnahmen" betroffen gewesen sind. Insgesamt sind demnach mehr als 360 Anrufe und SMS mit Berufsgeheimnisträgern von den Behörden abgehört und protokolliert worden, ein Journalist der Leipziger Volkszeitung wurde allein 130 Mal belauscht, als er mit Vertretern von Chemie Leipzig telefonierte. Lippmann kritisierte angesichts dieser neuen Erkenntnisse die "Salamitaktik" von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU). Es stelle sich zudem die Frage nach Prioritäten der Sicherheitsbehörden. So habe es enorme Ressourcen gegeben, die linke Szene auszukundschaften, obwohl Sachsen bekanntlich ganz andere Probleme habe.

© SZ vom 19.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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