Regisseur:Zweite Liebe

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Von viel nackter Haut, vielfältigem Drogenkonsum, existenziellen Ängsten, den Untiefen L.A.s und einer drohenden Alien-Apokalypse erzählt „Now Apocalypse“ mit Avan Jogia (links) und Beau Mirchoff. (Foto: Starzplay)

Gregg Araki ist ein Wegbereiter des New Queer Cinemas, aber auch ihn hat die Lust zur Serie überwältigt. Herausgekommen ist "Now Apocalypse".

Von Patrick Heidmann

Der heiße Kerl, den ich dank der Dating-App kennengelernt habe, ist er womöglich mein Seelenverwandter? Verkünden die grellen Visionen beim gemeinsamen Orgasmus tatsächlich den bevorstehenden Weltuntergang? Oder habe ich vielleicht doch nur einen Joint zu viel geraucht? Solche Fragen beschäftigen den jungen Ulysses, während er sich etwas planlos durch seinen Alltag in Los Angeles treiben lässt, und dass man ihm dabei in der Serie Now Apocalypse zusehen kann, ist letztlich niemand anderem zu verdanken als dem Regisseur David Lynch.

Beinah erscheint die Serie wie ein Best-Of seiner Leinwandarbeiten, aber mit großem Spaß an Trash

"Als kurz nach meinem Filmstudium Twin Peaks anlief, hat mich das umgehauen. Dass man so etwas im Fernsehen zeigen kann und damit in den Wohnzimmern der ganzen Nation landet, fand ich unglaublich. So etwas wollte ich auch machen." In Los Angeles ist es noch früher Vormittag, als Filmemacher Gregg Araki, 59, bestens gelaunt am Telefon erzählt, wie er zum Showrunner dieser Serie wurde. Für die Drehbücher zu Now Apocalypse hat sich Araki mit der Autorin und Sex-Kolumnistin Karley Sciortino zusammengetan und als Regisseur alle zehn halbstündigen Folgen verantwortet. Sein Fazit: "Das Kino ist meine erste große Liebe, aber das Konzept einer Fernsehserie hat mich immer fasziniert. Denn das Verhältnis des Publikums zur Geschichte und den Figuren ist viel intimer, wenn sie von Woche zu Woche Teil des eigenen Lebens werden."

Dass es letztlich 30 Jahre dauerte, bis Araki seinen Traum von einer eigenen Serie verwirklichte, liegt nicht nur daran, dass das heute so oft beschriebene goldene Zeitalter des Fernsehens in den Neunzigern trotz Twin Peaks noch lange auf sich warten ließ. Vor allem war der in L. A. geborene Sohn japanischstämmiger Eltern erst einmal im Begriff, zu einer der prägendsten Stimmen des damals aufkommenden New Queer Cinema zu werden, jener vorwiegend amerikanischen Independent-Filme über lesbisches, schwules, bisexuelles und queeres Leben.

Mit kleinen Budgets, aber viel kreativer Energie drehte er Filme wie Totally Fucked Up, The Doom Generation und Nowhere, die zwar bei etablierten Großkritikern meist auf Unverständnis stießen, aber schnell Kultstatus erreichten. An seinen Markenzeichen - junge, attraktive Protagonisten, coole Musik, halluzinatorisch-knallige Farben, schriller Humor und viel (oft homo- oder bisexueller) Sex - hielt Araki selbst dann fest, als er sich in der Romanverfilmung Mysterious Skin das Thema Kindesmissbrauch vornahm.

Anders als Todd Haynes oder Gus van Sant, die ebenfalls zu den Wegbereitern des New Queer Cinema gehörten, machte sich Araki nie daran, mit neuen Themenschwerpunkten und prominenten Schauspielern im Mainstream Fuß zu fassen. Stattdessen ließ er sich, nachdem ein erstes Fernseh-Experiment bei MTV nie über eine ungesendete Pilotfolge hinauskam und der Markt des US-Independent-Kinos zu schrumpfen begann, als Auftragsregisseur für Serien anheuern. In den vergangenen drei Jahren inszenierte er auch Episoden von Riverdale, Tote Mädchen lügen nicht, American Crime oder Red Oaks.

Auch jenseits einer ungewohnten ökonomischen Sicherheit konnte Araki der neuen Rolle als vergleichsweise kleines Rädchen im großen Serienbetrieb nur Positives abgewinnen: "Für mich war das, als würde ich eine Art Fernsehschule besuchen. Die kreative Kontrolle liegt bei einer Serie zwar beim Showrunner, aber der Druck eben auch. Als Regisseur konnte ich mich einfach ausprobieren - und vor allem ziemlich viel über die Produktionsbedingungen lernen." Und mit Blick auf Now Apocalypse fügt er hinzu: "Wir hatten nicht viel Geld und noch weniger Zeit zur Verfügung. Hätte ich nicht vorher schon ein bisschen üben können, wäre das kaum zu wuppen gewesen."

Dass Arakis Serie letztlich ohne größere Schwierigkeiten beim US-Kabelsender Starz (der hierzulande den Amazon-Channel Starz Play betreibt) ein Zuhause fand, ist auch der Unterstützung von Executive Producer Steven Soderbergh zu verdanken - selbst ein Kind des Independent-Kino-Booms der Achtziger- und Neunzigerjahre. Wo Soderbergh bei seinen vielen Serien- und Streaming-Unternehmungen von The Knick über Mosaic bis aktuell High Flying Bird allerdings stets um größtmögliche Abwechslung bemüht ist, bleibt Gregg Araki, dessen letzter Kinofilm fünf Jahre zurückliegt, bei Now Apocalypse vor allem sich selbst treu.

Beinahe erscheint die Serie wie ein Best-of von Arakis Leinwandarbeiten, die Handlung folgt nicht nur den Liebeskonflikten und Lebenskrisen von Ulysses (Avan Jogia), sondern auch seiner fetischinteressierten besten Freundin (Kelli Berglund), dem naiv-netten Mitbewohner (Beau Mirchoff) und dessen polygamer Partnerin (Roxane Mesquida). "Man kann sicherlich nicht bestreiten, dass sich ein roter Faden durch mein Werk zieht", gibt Araki zu. "Now Apocalypse ist für mich letztlich die Kulmination aller meiner Filme, inklusive derjenigen, die ich nie gedreht habe. Ich wollte zu hundert Prozent das zeigen, was mich als Künstler ausmacht und interessiert."

Von viel nackter, junger Haut und vielfältigem Drogenkonsum über existenzielle Ängste und esoterischen Gedanken bis hin zur drohenden Apokalypse samt Aliens und viel satirischer Freude an den Oberflächlichkeiten und Untiefen L. A.s ist hier alles mit dabei. Die Absurdität steigert sich von Folge zu Folge, die Darsteller glänzen bisweilen mehr durch ihr Aussehen als mit Talent, und überhaupt kann man Now Apocalypse einen gewissen Trashfaktor nicht absprechen. Was allerdings nicht heißt, dass die schwungvolle Sache nicht ziemlich viel Spaß machen kann - und mit größtmöglicher queerer Selbstverständlichkeit begeistert.

Bedenkt man, dass Araki sich eigentlich mit großen Schritten dem Rentenalter nähert und sich nach wie vor auf vertrautem Terrain bewegt, ist es umso erstaunlicher, dass Now Apocalypse allen Holprigkeiten zum Trotz frischer und moderner wirkt als viele andere neue Serien. "Vielleicht liegt es daran, dass ich so gerne von jungen Menschen erzähle", sucht er selbst nach einer Erklärung. "Mit Anfang zwanzig ist das Leben noch ein einziges Fragezeichen, alles ist ein Drama, und alle versuchen irgendwie, mit sich selbst klarzukommen. Das ist heute nicht anders als in den Neunzigern. Nur dass ich heute, wo ich selbst an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben bin, einen noch viel klareren Blick auf die Jugend habe. Damals steckte ich selbst mittendrin in dem Trubel, inzwischen kann ich total entspannt davon erzählen."

Now Apocalypse , beim Amazon-Channel Starz Play*, Maxdome*, Apple iTunes* und Google Play Movies*

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© SZ vom 12.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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