Ein Münchner Bürogebäude, Kai Oppel empfängt im weißen Hemd. Der 36-Jährige war früher Wirtschaftsjournalist, genau wie Firmenpartner Martin Fiedler, lange her. Zwischen Papierstößen und Telefonen widmen sich die beiden mittlerweile einem neuen Geschäft: Ihre Webseite Recherchescout.de vermittelt Journalisten an Unternehmen. Wer etwa Experten zu indischen Holzmöbelimporten sucht, tippt sein Gesuch in die Onlinemaske ein. Mit Registrieren dauert das Prozedere wenige Minuten - dann landet die Anfrage bei jenen Firmen, die sich als geeignete Auskunftgeber erachten.
Egal, was man halten mag von einem Angebot wie Recherchescout.de: Oppel und Fiedler haben eine Marktlücke ausgemacht. Wenn Journalisten in diesen Zeiten recherchieren, soll es oft möglichst schnell gehen und möglichst wenig kosten. Effektivität sticht vielerorts Qualität - das Ideal vom investigativen Schnüffler ist in zahlreichen Redaktionen Utopie. Wie sehr dies der Branche schadet, darüber fachsimpeln Medienforscher seit Jahren.
Unternehmen zahlen monatlich bis zu 290 Euro, Journalisten nichts
Nun ist da also Recherchescout. Für Journalisten scheint das Angebot zunächst mal praktisch: Statt selbst nach Experten zu fahnden, reicht eine Frage aus, um Interviewangebote oder Studien zu erhalten. "Wir geben Journalisten in der Informationsflut brauchbares Material", sagt Fiedler. Pressemitteilungen werden nicht mehr wie üblich an Redaktionen geschickt, wo sie bisweilen ungelesen im Müll landen. Stattdessen erhalten die Unternehmen gezielte Hinweise, für wen und wann etwas interessant sein könnte. Journalisten sollten sich zwar nicht darauf beschränken, sagt Fiedler. "Wir stellen aber Verknüpfungen her, die sonst fehlen."
Im Prinzip ähnelt Recherchescout.de Seiten wie Medicalpress.de, Medien-doktor.de oder dem bekanntesten Anbieter, dem Informationsdienst Wissenschaft (IDW). Bei allen dreien geht es jedoch um rein wissenschaftliche Themen. Der IDW-"Expertenmakler" stellt zwar wie Recherchescout Verbindungen zu Journalisten her - mit einem entscheidenden Unterschied: IDW vermittelt ausschließlich an die Forschung, überprüft jeden Aufnahmeantrag auf wissenschaftliche Motivation. Wirtschaftsbetriebe dürfen sich zwar bewerben, müssen aber strenge Standards erfüllen. Bei Recherchescout reicht es dagegen, wenn Firmen den Monatsbeitrag bezahlen: 145 bis 290 Euro, das Doppelte bis Vierfache dessen, was IDW verlangt. Für die Journalisten ist das Angebot kostenlos. Klingt nach einem System, von dem beide Seiten profitieren. Oder?
Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche hat damit ihre Probleme, schon aus grundsätzlichen Erwägungen. Gesprächspartner auszuwählen, sagt Geschäftsführer Günter Bartsch, sei eine Kernaufgabe von Journalisten. "Das dürfen wir uns nicht nehmen lassen", sagt er. Recherchescout beschränke sein Angebot aber auf jene, die es sich leisten können. "Wer zahlt, erkauft sich Einfluss auf die Berichterstattung", kritisiert Bartsch, zudem fehle es an Transparenz. Anders als der IDW, wo die Recherchepartner auf der Seite gelistet sind, hält Recherchescout diese Daten verschlossen. Bartsch findet das "unjournalistisch".
Gerade in der Geheimhaltung sieht Fiedler jedoch seine Stärke. "Wir wollten nicht wieder ein Verzeichnis gründen, von denen es im Internet schon so viele gibt", sagt er. Er könne zwar verstehen, wenn Journalisten deswegen Störgefühle hätten. "Ein Interviewpartner ist aber nicht deshalb schlecht, nur weil ich nicht das Gefühl habe, selbst nach ihm zu suchen", sagt Oppel.
Diese Überlegung hat sich mittlerweile offenbar herumgesprochen: Im Gründungsjahr 2013 hat Recherchescout.de einen fünfstelligen Betrag umgesetzt, 2014 bereits einen sechsstelligen. Zwei feste und drei freie Mitarbeiter telefonieren mittlerweile täglich in den Büroräumen, dort, wo sich die Ordner mit Kundendaten stapeln. Mittlerweile nutzen das Portal 1700 Journalisten aus über 400 Redaktionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Welche Firmen für die Informationen bezahlen und wie viele es genau sind, will Fiedler nicht verraten. Eine dreistellige Zahl, sagt er nur. Demnächst, so Fiedler, brauche es mehr Platz und Personal.
Erstaunlich ist das freilich kaum. Schließlich machen Portale wie die US-Firma Haro oder DW Pub aus Großbritannien längst Millionenumsätze mit Recherche-Portalen. Dass daraus auch in Deutschland ein Geschäftsmodell wird, sei nur eine Frage der Zeit gewesen, sagt Klaus Meier, Journalistik-Professor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Wichtig sei, dass die zahlenden Firmen auf der Seite zu sehen sind. "Damit Journalisten einschätzen können, welche Bereiche abgedeckt sind", sagt Meier. Und wo es nicht ausreicht, anderswo Anfragen stellen können.
Entscheidend sei wie sonst auch, dass Journalisten mit PR sensibel umgehen. Die Gefahr, Recherchescout könnte klamme Betriebe ausschließen, sieht der Medienwissenschaftler dagegen nicht, im Gegenteil: "Viele Firmen können sich keine PR-Abteilung leisten", so Meier. Ein Recherchescout-Abo dagegen schon eher.
Ein Jahr Recherchebüro "Correctiv":"Wir können das, wir machen das"
Von Spenden leben und gegen das Auswärtige Amt klagen: Das Berliner Recherche-Büro Correctiv macht Journalismus anders als alle anderen in Deutschland. Ein Geburtstagsbesuch.
Gänzlich abgeneigt scheint die Branche jedenfalls nicht zu sein: In einer Auswahl an Medienhäusern, deren Mitarbeiter Recherchescout.de genutzt haben sollen, präsentiert die Seite etwa Arte, Stern, Bild, den MDR und den Bayerischen Rundfunk.