Was tut ein krebskranker 14-Jähriger am Vorabend einer großen Operation, bei der er ein Bein verlieren wird? Er feiert eine kleine Party. Für sich und sein Bein. Eine Abschiedsparty. Und zum Höhepunkt der kleinen, eher still angelegten Feier schenkt die Schöne vom Krankenzimmer nebenan ihm und seinem Bein einen letzten Tanz. Es ist eine zentrale Szene am Ende der ersten Folge der spanischen Erfolgsserie Die Roten Bänder. Sie fällt so berührend aus, weil sie so echt wirkt, so wenig konstruiert. Das liegt vor allem daran, dass sie nicht ausgedacht ist, sondern wirklich so passierte.
Albert Espinosa ist mit 14 Jahren zum ersten Mal ins Krankenhaus gekommen. Da wusste er noch nicht, dass er die nächsten zehn Jahre vorwiegend in Kliniken verbringen würde, dass er dort nicht nur sein Bein lassen würde. Er würde auch einen Teil seiner Lunge verlieren und am Ende über eine Leber verfügen, die aussieht wie ein Sheriffstern. Inzwischen ist Epinosa 41 Jahre alt und ein erfolgreicher Autor. Er hat seine Erlebnisse in ein Theaterstück gepackt und in ein Buch, das ein Bestseller wurde. Aus Theater und Buch wurden Filme, und irgendwann entstand auch eine Fernsehserie, die in 18 Ländern gesendet und in 13 Ländern adaptiert wurde. Demnächst wird der berührende letzte Tanz fürs Bein auch in Deutschland zu sehen sein. Bei Vox. Der Kölner Sender versucht sich erstmals an einer ernsthaften Serie, und der Autor der Ur-Geschichte ist ins Rheinland gekommen, um zu schauen, was aus seiner Vorlage wurde.
"Ich habe das Vertrauen, dass die bei Vox wissen, was sie tun", sagt Espinosa im Büro von Vox-Chef Bernd Reichart. Reichart hat eine Weile für RTL in Spanien gearbeitet und war dort von Espinosas Werk so begeistert, dass er nun sein Programm mit der Serie Club der roten Bänder krönen will. Bei dem Projekt geht es darum, dass sich sechs Kinder im Krankenhaus verbünden und als Erkennungscode jene roten Bänder vorweisen, die sie vor einer Operation erhalten. Gedreht wird derzeit in Monheim zwischen Düsseldorf und Köln, vor allem mit bislang weitgehend unbekannten Schauspielern. Die aber haben sich dem Autor eingeprägt.
"Mich hat vor allem die Energie der sechs Kids beeindruckt", sagt Espinosa. Alles wollten die Jungmimen von ihm wissen. Ob es ihre Figur wirklich gab, ob sie noch lebt, wie es ihr geht. Espinosa hat alle Fragen beantwortet. Aus seiner Hosentasche kramt er sein erstes rotes Band hervor. Eine Nummer steht drauf. 066911. Steven Spielberg wollte das Band kaufen, sagt er. Für 100 000 Dollar. Doch die Hollywood-Größe ist abgeblitzt. "Das kann mir niemand wegnehmen, das ist unverkäuflich", sagt Espinosa.
Bekommen hat Spielberg aber die US-Rechte für die Serie. Red Band Society hieß sie und war ein ziemlicher Flop. Nach zehn Folgen wurde sie aus dem Programm genommen, die restlichen Episoden liefen irgendwann auf einem versteckten Sendeplatz. "Sie haben es entkoffeiniert", sagt Espinosa und macht deutlich, worauf es ankommt. "Es ist wichtig, die Geschichte über die Kinder zu erzählen und sich davon nicht zu weit zu entfernen. Das haben sie bei der US-Version vernachlässigt", berichtet er. Zu viele Ärzte und Schwestern spielten eine zu gewichtige Rolle. Das mag im Sinne des Produzenten Spielberg gewesen sein, aber nicht im Sinne des Erfinders. "Sie haben nicht verstanden, dass die Zartheit und das Gefühlvolle die Geschichte antreiben. Das war ihnen nicht wuchtig genug. Deshalb ist eine ganz normale Krankenhausserie daraus geworden."
Eine ganz normale Krankenhausserie soll es aber eben genau nicht werden. Zwar spielt die Serie in der Klinik, aber im Mittelpunkt stehen jene Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren, die wissen, dass sie das Krankenhaus sehr lange nicht verlassen werden. Trotzdem verzweifelt niemand. Es ist gerade diese Mischung aus großem Ernst und jugendlicher Leichtigkeit, die den Club der roten Bänder so besonders macht. Bei aller Tragik bleibt viel Platz für spontanen Witz. Das liegt auch daran, dass der Autor nicht mit Groll auf seine zehn Klinikjahre blickt. Er habe viel verloren, sagt er und zeigt auf seine Beinprothese. "Trotzdem war meine Zeit in den Kliniken eine wahnsinnig glückliche Zeit."
In Spanien stiegen nach der Serie die Besucherzahlen in den Kinderstationen um 40 Prozent
Espinosa hat inzwischen zur Kenntnis genommen, dass seine Serie die Menschen nicht nur unterhalten hat, sondern auch darüber hinaus einiges bewirken konnte. So berichtet er mit ein bisschen Stolz in der Stimme, dass nach dem Erfolg in Spanien die Besucherzahlen in den Kinderstationen um 40 Prozent gestiegen seien. In Chile habe man danach sogar ein Gesetz geändert, sodass 16-Jährige jetzt wählen können, ob sie auf der Kinderstation bleiben oder auf die Erwachsenenstation wechseln, was bis dahin verpflichtend war.
Dass die Serie auch in Deutschland das Zeug haben könnte, etwas zu bewirken, glaubt Espinosa fest. "Es ist sehr nahe am Original, und in Details ist es vielleicht sogar besser als das Original", sagt er über das, was er in Monheim gesehen hat, und nach der Sichtung von ersten Mustern lobt er die Arbeit des hiesigen Teams. "Es hat dieses Gleichgewicht aus Humor und Drama."
"Wir machen es so, wie es sein muss", sagt Senderchef Reichart. "Wir haben keine Messlatte. Es gibt bei uns nichts Vergleichbares. Es muss nur gut werden." Sowohl Reichart als auch Espinosa legen Wert darauf, den Club der roten Bänder nicht als Jugendserie zu etikettieren. Es soll eine Familienserie sein, und sie soll bei Vox noch vor Weihnachten einen sehr hochwertigen Sendeplatz erhalten. Für den Sender geht es um viel mit diesem Projekt. Er wird eine Menge Beachtung dafür bekommen, was natürlich die Fallhöhe steigert und auch die Chance des tiefen Sturzes.
Gegen den Sturz sieht sich Reichart durch penible Vorbereitung gewappnet. Die 13 Originalfolgen wurden auf zehn eingedampft, am Ende wurde geschraubt und am Anfang. "Wir mussten die Gewissheit erlangen, dass wir es besser machen als Spielberg", sagt Reichart und muss bei dem Vergleich mit dem großen Namen selbst ein bisschen lächeln.
Zum Abschluss des Gesprächs zeigt Reichart mit unverhohlenem Stolz die deutsche Szene mit dem Abschiedstanz fürs Bein. Sie hat etwas Berührendes, und obwohl Espinosa des Deutschen nicht mächtig ist, zeigt er sich angetan. Für ihn ist diese Szene wichtig, weil sie wichtig war für sein Leben. Er hat damals alles richtig gemacht. Mit der Party, mit dem Tanz. "Ich hatte niemals Phantomschmerzen, weil ich mich gebührend von meinem Bein verabschiedet habe", sagt er und hat dann noch einen Satz parat, der natürlich aus seiner Erfahrung gespeist ist, den aber auch Vox sich ins Poesiealbum schreiben kann für den Fall, dass der Club der roten Bänder doch scheitert. "Mit jedem Verlust geht ein Gewinn einher."