Nacht der Süddeutschen Zeitung:Frau Merkel und der Grünkohlkönig

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Eine mädchenhaft entspannte Kanzlerin, seufzende Liberale und ein paar giftige Fragen: Bei der Nacht der Süddeutschen Zeitung trafen sich Politik, Wirtschaft, Medien und Entertainment.

Tanja Rest

Die Dinge sind doch manchmal recht trügerisch. Zum Beispiel schwebt über dem luftigen Atrium am Pariser Platz eine biomorphe Form, welche der Architekt Frank O. Gehry als weiblichen Torso verstanden wissen wollte, die der Münchner Kennerblick aber sofort als überdimensioniertes Brathendl entlarvt. Unter diesem irrlichternden Gebilde treffen die Bundeskanzlerin und der FDP-Chef Punkt 19.30 Uhr gemeinsam ein, was als Zeichen des behaupteten Regierungsfriedens zu verstehen ist - bis Angela Merkel sich zu Philipp Rösler umdreht und mit allen Anzeichen der Überraschung sagt: "Ach, bist du auch gerade gekommen?"

Neujahrsempfang der Süddeutschen Zeitung: SZ-Chefredakteur Kurt Kister zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Philipp Rösler. (Foto: dpa)

Wo die Gelegenheit aber nun mal da ist, müht sich Merkel, die Nähe zum Koalitionspartner auch beim umdrängten Gang ins Souterrain nicht abreißen zu lassen. Unten nimmt Rösler erst Platz und stürzt dann Hals über Kopf davon, was etwas kurzatmig aussieht. Tatsache ist jedoch: Er muss ein paar Straßen weiter gleich eine Rede halten, da seine Legislaturperiode als Oldenburger Grünkohlkönig an diesem Abend endet. Übernehmen wird EU-Kommissar Günther Oettinger. Erstaunlich.

Gegen 20 Uhr ist es so voll geworden, dass selbst der Crémant kaum noch durchkommt. Jedes Jahr im Januar bringt die "Nacht der Süddeutschen Zeitung" Wirtschaftsbosse, Kulturschaffende, vor allem aber Medienleute und Politiker in der Hauptstadt zusammen. Der Partymodus: gesprächig bis geschwätzig. Der Geräuschpegel: übertönt selbst das Nebelhorn-Tuten der Band. Wenn man sich in den Sitzecken so umhört, ist die Sache Wulff immer noch ein Thema, wobei sich eine Entwicklung abzeichnet: Die meisten reden inzwischen sehr ausgiebig darüber, warum man allmählich weniger darüber reden sollte.

Miteinander reden Staatssekretär Peter Hintze (CDU) und der stellvertretende Chefredakteur Nikolaus Blome ( Bild) alias das Pro und das Contra Wulff. Man verständigt sich nicht unbedingt in der Sache, aber immerhin auf eine gemeinsame Talkshow ("Blome & Hintze"), die ARD und ZDF gleichzeitig zu senden hätten. Eine solche Doppelausstrahlung hat Ulrich Deppendorf, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, am 4. Januar bereits hinter sich gebracht. Das Interview mit dem Bundespräsidenten. "Der Druck war gewaltig", berichtet er mit Tremolo in der Stimme, "so einen Jahresauftakt habe ich noch nicht erlebt."

Herrlich, bleiben wir doch kurz beim Thema Jahresauftakt. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat ihn mit Freunden in ihrer Hütte bei Kitzbühel verbracht, Radius gleich null, zwei Tage lang sei man eingeschneit gewesen. "Erzwungenes Nichtstun", schwärmt sie, "das war super. Leider hat mein Handy noch funktioniert ..."

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat sogar satte 17 Tage Urlaub hinter sich und ist stolz darauf, in dieser Zeit keine einzige Akte gelesen zu haben: "Ich bin ja keiner von den Oberjunkies in der Politik." Trotzdem, eine Woche dauere es, bis er nachts ruhig schlafen könne. Noch länger, bis es ihm gelinge, ein Buch zu lesen, ohne nach jeder zweiten Seite aufzuspringen. "Man braucht Ruhe, um zur Ruhe zu kommen", schließt de Maizière und lächelt weise.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), den die Bunte einmal zum "deutschen George Clooney" geadelt hat, hat sich in der Weihnachtspause konsequenterweise einen Clooney-Film angesehen: "Die 'Iden des März'. Sehr unterhaltsam." Kurz gesagt geht es darum, dass die Macht all jene korrumpiert, die nach ihr streben. Korrekt, Herr Minister? "Hm ja, vielleicht gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt", wird Röttgen plötzlich vorsichtig.

Übrigens befindet man sich in diesem Moment sozusagen im Zentrum der Macht, nämlich im Chambre séparée mit der Kanzlerin. Für Angela Merkel ist es einer der raren Tage ohne wichtige politische Termine. Darum kann sie nun in aller Ruhe auf der hellen Ledercouch sitzen, Weißwein trinken und Currywurst essen, wobei sie einen mitunter beachtlichen mädchenhaften Charme entfaltet. Neben ihr hat Schauspielerin Maria Furtwängler im tief dekolletierten schwarzen Cocktailkleid Platz genommen, man kennt sich selbstverständlich.

Um die beiden munter plaudernden Damen herum gruppieren sich die Herren: SZ-Chefredakteur Kurt Kister, sein Vorgänger Hans Werner Kilz, Ressortleiter Innenpolitik und Chefredaktionsmitglied Heribert Prantl, SZ-Hauptstadtbüroleiter Nico Fried, dazu die Verleger Thomas Schaub, Richard Rebmann und Johannes Friedmann sowie beständig wechselnde Teile des Kabinetts.

Rainer Brüderle, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, erklärt allen Anwesenden mehrmals, dass er zur FDP-Führungsdebatte nichts sagen wird, hat dann aber das Pech, dass eine Agenturjournalistin mit folgendem vergifteten Satz auf ihn zustürzt: "Wir vermissen Sie so als Wirtschaftsminister!" - "Und dazu sage ich erst recht nichts", sagt Brüderle und seufzt.

Die Opposition hält ein wenig kritischen Abstand, ist aber ebenfalls hochkarätig vertreten: Für die Grünen sind die Bundesvorsitzenden Cem Özdemir und Claudia Roth gekommen, für die Linken die Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst; die SPD bietet Troika-Mitglied Frank-Walter Steinmeier und Generalsekretärin Andrea Nahles auf. Die meisten Hände schüttelt aber der frühere Parteivorsitzende Franz Müntefering - es ist sein 72. Geburtstag. "Das Leben ist eine ballistische Kurve", philosophiert er, "Ballack hatte seinen Höhepunkt mit 35, meiner wird mit 75 kommen."

So oder so, das Glückslos des Abends geht an Münte vorbei. Die von Hapag- Lloyd zugunsten des SZ-Adventskalenders gespendete Kreuzfahrt in Höhe von 24 000 Euro gewinnt: der frühere Regierungssprecher Klaus Bölling.

Käsespätzle, Zanderfilets und lauwarmer Schokoladenkuchen sind verzehrt, allmählich schwenkt die SZ-Nacht auf die Zielgerade ein. Stehvermögen beweist die Abteilung Unterhaltung und Kultur, vertreten unter anderem durch die Schauspielerinnen Katja Flint und Ursula Karven, Filmproduzent Artur Brauner, TV-Talker Johannes B. Kerner und den Fernsehproduzenten Friedrich Küppersbusch. Letzterer hat den Fehler begangen, sich mit SZ-Reporter Hans Leyendecker auf ein Fachgespräch über Borussia Dortmund einzulassen und muss jetzt erst mal regenerieren. "Der Mann vereint finsterstes Detailwissen mit brutaler Hingabe", klagt Küppersbusch und legt seine Brieftasche auf den Tisch. "Wo Sie hier auf meiner Brieftasche nichts sehen, hat die von Leyendecker ein Vereinsemblem eingeprägt."

"Forget the facts, push the story", raunt einem zu später Stunde der Cicero-Chefredakteur ins Ohr. Aber sorry, Michael Naumann, manchmal sind die Fakten einfach besser.

© SZ vom 18.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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