Selten war ein Satz zutreffender als dieser: "Obwohl wir es lieben, The Economist, The Washington Post und Wired zu lesen, haben wir mit ihnen kaum etwas gemeinsam." Richard Rosenblatt, der Vorstandschef von Demand Media, schrieb ihn im vergangenen Jahr für einen Text, den er als Manifest bezeichnete.
Rosenblatt spart nicht mit großen Worten, wenn es um sein Geschäft geht. Sein Ziel klingt ehrenwert: sämtliche Fragen, die sich die Menschen im Internet stellen, will er beantworten.
Hinter dieser Mammutaufgabe steht ein Algorithmus, der berechnet, welche Themen gerade am wertvollsten sind. Dazu werden Milliarden täglicher Suchmaschinen-Anfragen ausgewertet und mit einem aktuellen Werbewert verrechnet. Die als profitabel eingestuften Themen speist Demand Media in eine Datenbank ein, in der zu jedem Zeitpunkt mehr als 100.000 Aufträge liegen.
Ein Heer von inzwischen mehr als 10.000 freiberuflichen Autoren und Amateurfilmern pumpt täglich mehr als 5000 Artikel und Videos auf die angeschlossenen Partner-Seiten wie das Fitnessportal livestrong.com, die Ratgeber-Website ehow.com oder den Clip-Riesen YouTube. Die Autoren können sich für zehn Texte gleichzeitig bewerben. Erhalten sie einen Auftrag, haben sie eine Woche Zeit, um zu schreiben.
Wie Demand Media in dieser Woche bekanntgab, hat die Firma erstmals in ihrer vierjährigen Geschichte Gewinn gemacht. Nicht viel, eine Million Dollar im vierten Quartal 2010. Aber immerhin. Das Konzept scheint aufzugehen. Die Geschäftsidee bleibt fragwürdig.
Auf der Website von Demand Media finden sich Dutzende "Showcases", in denen Freiberufler erzählen, wie Demand Media angeblich ihr Leben verändert hat: zum Besseren natürlich. Um von der Fließbandarbeit leben zu können, muss man aber einen beinahe unmenschlichen Output abliefern.
20 Dollar zahlt die Firma für ein einzelnes Video, 15 Dollar bekommt man für einen Artikel mit 300 Wörtern, 3,50 Dollar für das Redigieren eines solchen Textes. Ja, anderswo sind die Verdienste noch geringer. Der deutsche Nachahmer content.de bietet im Schnitt zehn Euro für einen 500 Wörter umfassenden Artikel.
Guter Journalismus funktioniert anders. Die Akkordarbeit macht sich in der Qualität der Demand-Texte bemerkbar. Das Content-Kleinvieh mag zwar in der Masse ordentlich Mist machen, dafür ist es aber auch zum allergrößten Teil nichts anderes als das.
Die Artikel drehen sich etwa darum, wie man "Gewürze in einem Gewürzregal sortieren" sollte und wie "Dinge in Plastikschachteln gepackt werden" können. Nutzwertschreiberei.
Vorstandschef Rosenblatt und seine Kollegen setzen auf das Konzept des "Long Tail": Im Vergleich zu klassischen Nachrichten-Artikeln, die rasch an Aktualität und damit Wert verlieren, sollen Texte entstehen, an denen das Publikum lange Interesse hat.
Wie man Öl zu Hause aufbewahrt, ist dieser Logik zufolge interessanter als die aktuellen arabischen Revolutionsbewegungen und ihre Auswirkungen auf den Ölpreis.
Bei Demand Media ist man sich der eigenartigen Außenwirkung durchaus bewusst. "Da unser Geschäftsmodell die klassische Art und Weise, Inhalte zu erstellen revolutioniert, wird es nicht immer verstanden", hieß es im Unternehmensprofil, das den Börsengang in diesem Januar begleitete.
Es entstehe da mitunter der Eindruck, dass die Qualität der Inhalte nicht mit der Konkurrenz mithalten könne. Eine "grundlose Annahme", wie Demand Media mitteilte.
Wirklich? Nur kurz nach dem Börsengang nahm sich das Magazin Forbes sieben zufällig ausgewählte Texte aus dem Fundus der Seite ehow.com vor. Ergebnis: Die Hälfte der Texte waren aus Wikipedia-Einträgen zusammengestückelte Plagiate und zwei weitere offenbar dermaßen schlecht, dass sie, kurz nachdem Forbes berichtet hatte, verschwanden.
Die Anleger scheinen die Qualitätsprobleme bislang wenig zu stören. Inmitten des boomenden Technologiemarktes - viele warnen schon von der nächsten Dotcom-Blase - griffen sie eifrig zu.
Nach Handelsschluss am Tag des Börsengangs hatte die Demand-Media-Aktie ein Drittel zugelegt. Auch jetzt, rund einen Monat später, wird der Wert der Firma mit knapp 1,9 Milliarden Dollar beziffert. Das ist beinahe ein Viertel mehr als die New York Times.
Was toll klingt, hat aber auch Schattenseiten. Demand Media steht vor dem Problem, dass sein Geschäft zu erfolgreich geworden ist. Gerade im englischsprachigen Netz kommt der Nutzer kaum noch um die Ausschussware herum.
In den Kreisen der Suchmaschinenbetreiber ist man sich dieses Problems bewusst, aber noch nicht sicher, wie damit umzugehen ist. Google veröffentlichte für seinen Chrome-Browser vor kurzem ein Add-On, also eine Zusatzfunktion, die es Anwendern erlaubt, Inhalte von dubiosen Servern auf eine "schwarze Liste" zu setzen.
Damit delegierte der Marktführer die Verantwortung für möglichst hochwertige Suchergebnisse an den einzelnen Nutzer. Der Schritt wirkte wie ein Eingeständnis des Riesen Google, dass dieser noch keine Handhabe gegen die unzähligen billigen Fließband-Texte gefunden hat. Kritiker sind jedoch skeptisch, ob Google wirklich daran interessiert ist, den Spam zu eliminieren. Immerhin bekommt der Suchmaschinenbetreiber ein dickes Stück vom Werbekuchen ab.
Für Demand Media selbst ist diese Frage entscheidend. Die Firma ist fast vollständig abhängig von den Einnahmen, die ihr Google oder Bing beschert. Sollten die Suchmaschinenkonzerne die Seiten der Firma blockieren oder einschränken, würde deren Umsatz massiv einbrechen.
Und falls dieser - sehr unwahrscheinliche - Fall eintritt: Wäre das das Ende der digitalen Fließbandproduktion? Eher nicht. Denn selbst wenn der Ruf von Demand Media inzwischen stark gelitten hat, gibt es längst andere, die der Philosophie der jungen Firma nachfolgen.
Der Online-Dinosaurier AOL, zum Beispiel. Nachdem die Firma Anfang Februar die Huffington Post übernommen hatte, kündigte sie an, künftig ganz auf preiswert produzierte und aufs schnelle Suchmaschinen-Werbegeld zugeschnittene Texte zu setzen.