Miniserie "Parade's End" auf Arte:Scheitern mit Stil

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Die exzellente Besetzung, die aufwendige Produktion und die historische Kulisse machen "Parade´s End" zu einem befriedigenden Fernseherlebnis. (Foto: obs)

Die Briten widmen sich mal wieder ihrer Geschichte: Im dialoglastigen TV-Fünfteiler "Parade's End" treten Figuren auf, die sich ihren Rollen freudig und demütig fügen. Doch anders als bei Nostalgie-Hits wie "Downton Abbey" ist die gute alte Zeit nicht nur gut.

Von Alexander Menden

Im Spätsommer vergangenen Jahres stieß die literarische Tetralogie "Parade's End" urplötzlich in die Top Ten der britischen Bestsellerlisten vor. Es war weder ein unvermittelt aufflackerndes Interesse am Werk des Autors Ford Madox Ford noch eine besonders überzeugende Kritikerempfehlung, was diesen Boom auslöste. Nein, ein komplexer, streckenweise verwirrender und dialoglastiger TV-Fünfteiler mit weitgehend frustrierten, fortwährend an den Konventionen ihrer Epoche scheiternden Figuren trieb die Menschen in die Buchhandlungen. Sie wollten nachlesen, welcher Quelle sie ein so unverhofftes Fernsehjuwel verdankten.

In der BBC-Produktion Parade's End kommen viele Faktoren zusammen, die ein gelungenes Fernsehprojekt ausmachen: Da ist das Serien-Drehbuch von Tom Stoppard, der zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in diesem Medium arbeitet. Die exzellente Besetzung, angeführt von Benedict Cumberbatch, Rebecca Hall und dem verlässlich großartigen Roger Allam. Die aufwendige Produktion, ermöglicht durch die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Sender und Qualitätsgaranten HBO. Und nicht zuletzt die historische Kulisse.

Parade's End spielt in einer entscheidenden Phase der britischen Geschichte, zunächst in der Dämmerung des edwardianischen Empire, dann im Ersten Weltkrieg. Christopher Tietjens, den Madox Ford im Roman aufgrund seiner grenzpathologischen Prinzipientreue den "letzten Tory" nennt, ist Spross einer begüterten aristokratischen Familie und arbeitet als Statistiker für die Regierung. Seine Frau, die ebenso leichtlebige wie eigensinnige Sylvia, demütigt ihn öffentlich mit freudlosen Affären. Tietjens selbst verfällt Valentine Wannop, einer mädchenhaften Suffragette, ist aber zu sehr gefangen in den Anstandsvorstellungen des 19. Jahrhunderts, um die Affäre aufblühen zu lassen.

Diese Dreiecksgeschichte, die Stoppard aus den vielen Strängen des Romans destilliert, spielt vor dem Hintergrund des Weltkriegs, aber auch der gesellschaftlichen Umbrüche. Die bezaubernde und mit genau dem richtigen Schuss Farblosigkeit versehene Adelaide Clemens steht als Valentine für jene Frauen, die offensiv ihre Rechte einfordern. Rebecca Halls überraschend sinnliche Sylvia hingegen nutzt alle materiellen Vorteile, welche die bürgerliche Ordnung ihr bietet, ohne sich um deren Sittlichkeitsgebote zu scheren.

Der Nostalgie-Wirklichkeit entkommen

Dazwischen Bendict Cumberbatch ( als "Sherlock" in der gleichnamigen Serie zu Weltruhm gelangt und derzeit als Star-Trek-Bösewicht unterwegs): Sein Tietjens ist ein Musterbeispiel an Verklemmtheit; private Unbill und globaler Werteverfall schlagen diesem aufrechten, konservativen Mann gleichermaßen auf den Magen.

So vollendet gelingt es der Serie, den Zuschauer in den Geist der Epoche zu versetzen, dass man geradezu schockiert ist wenn Allams General Campion den gebeutelten Tietjens auffordert, sich endlich "von der Dirne scheiden zu lassen".

Nun liegt es nahe, Parade's End in eine Reihe zu stellen mit den Serien, die neuerdings die jüngere britische Geschichte thematisiert und damit große Erfolge feiert. Der Fünfteiler spielt immerhin zur exakt derselben Zeit, in der beispielsweise der plüschige Publikumsrenner Downton Abbey angesiedelt ist. Das Erfolgsgeheimnis von Julian Fellowes' Familienchronik ist ihr ungeniert affirmativer Blick auf das spätviktorianische Klassensystem. Alle, vom gütigen Earl of Grantham bis hinunter zu Kammerzofe, fügen sich freudig und demütig in die Rolle, die Schicksal und Gesellschaft ihnen in ihrer Weisheit zugeteilt haben. Downton Abbey präsentiert eine glattgebügelte Nostalgiewelt, einen eskapistischen Gegenentwurf zur unordentlichen, bedrückenden historischen Wirklichkeit. Zweifellos wollen die vielen Fans genau dieser Wirklichkeit entkommen.

Da ist es übrigens gar nicht so wichtig, in welchem Jahrzehnt die Handlung genau angesiedelt ist: Die Hebammen-Serie Call the Midwife - Ruf des Lebens spielt zwar in den Fünfzigern, verfährt aber sonst sehr ähnlich wie Downton Abbey: Obwohl der Schauplatz das bitterarme Londoner East End ist, obwohl plötzlicher Kindstod, illegale Abtreibungen, Alkoholprobleme der werdenden Mütter nicht ausgeblendet werden, gelingt der Serie das Kunststück, eine "gute alte Zeit" zu beschwören. Eine Zeit, in der alles noch nicht so hektisch war, in der die Menschen mehr miteinander redeten, die noch verbindliche Werte für die rechtschaffene Mehrheit bereithielt.

Man täte Parade's End unrecht, wollte man es dieser "Früher war alles besser"-Welle zuordnen. Gemein hat sie mit Downton Abbey und Call the Midwife einzig einen Produktionswert, von dem deutsche TV-Erzeugnisse nur träumen können - die detaillierte Neuerschaffung der Optik eines vergangenen Zeitalters. Doch da endet die Ähnlichkeit. Denn Christopher Tietjens ist eine Figur der Moderne, die, nur um alles zu verkomplizieren, selbst eine zutiefst antimoderne Haltung einnimmt. Indem er sich an seinen Moralkodex, sein Klassenbewusstsein klammert, macht er es den Menschen, mit denen er verkehrt, ungeheuer schwer. Und während alles um ihn kollabiert, Beziehungen, ganze Staaten, bleibt diesem armen sensiblen, verkorksten, hochintelligenten Mann als Panzer immer nur die "Stiff Upper Lip". Dieses Aufeinanderprallen unvereinbarer Lebensauffassungen, diese Ballung von Widersprüchen sind nicht nur historisch redlicher als jeder noch so seelentröstende Rückblick durch die rosarote Brille. Sie machen Parade's End auch zu einem außergewöhnlich befriedigenden Fernseherlebnis.

Parade's End , Arte, freitags, 20.15 Uhr.

© SZ vom 07.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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