Lokalberichterstattung im Netz:Geschichten aus dem Stadtteil

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Lokale Online-Zeitungen gelten in einer Branche auf Sinnsuche als Projekte mit Zukunft. Sie bieten Gegenangebote zur Monopolzeitung am Ort. Doch sind sie in Zeiten der Zeitungskrisen wirklich ein Geschäftsmodell?

Von Katharina Riehl

Die Gemeinde Bad Wiessee im Tegernseer Tal hat ein neues Rettungszentrum, das alte Feuerwehrhaus könnte nun zur Turnhalle umfunktioniert werden - wenn der Gemeinderat mitspielt. In Prenzlauer Berg könnten die Betreuungsplätze knapp werden, weil am Mauerpark 530 Wohnungen entstehen, aber nur 40 Kitaplätze. Wer diesen Absatz bisher langweilig findet, lebt wohl nicht in Bad Wiessee oder Prenzlauer Berg.

Die zwei Geschichten aus zwei deutschen Orten stehen für ein Phänomen, das zum Schlagwort einer Branche auf Sinnsuche geworden ist: hyperlokaler Online- Journalismus. Der Gedanke also, dass lokale Geschichten aus einem möglichst kleinen geografischen Raum in Zeiten immerwährender Zeitungskrisen ein Geschäftsmodell sein könnten. Oder zumindest überhaupt ein Modell. Die Frage ist nur: Ist es das auch?

Die Redaktion der Prenzlauerberg Nachrichten besteht aus zwei hohen Räumen in einem Berliner Hinterhof, das reicht leicht, denn dort arbeiten nur drei Leute: zwei Journalisten und ein Geschäftsführer. An der Wand hängen Stadtpläne von Berlin. Die Prenzlauerberg Nachrichten, 2010 online gegangen, sind das vielleicht bekannteste Beispiel für ein hyperlokales Online-Angebot in Deutschland - sicher auch, weil ein Internet-Start-up dort gut hinpasst.

Kommunalberichterstattung im Netz

Vor allem aber sind die Prenzlauerberg Nachrichten ein Beispiel dafür, wie im Netz mit etwas Geld verdient werden soll, was in Heimatzeitungen wohl Kommunalberichterstattung heißt. Und das Beispiel zeigt, welche Finanzierungsschwierigkeiten dieser Journalismus hat.

Philipp Schwörbel, groß, Brille, Wuschelkopf, der einst das Büro von Gesine Schwan und ihre zweite Kandidatur für das Amt der Bundespräsidentin leitete, und dann auf der Suche nach einem eigenen Geschäft die Prenzlauerberg Nachrichten erfand, nimmt einen dicht beschriebenen Bogen Papier zur Hand. Er kann zwar seine beiden Journalisten finanzieren, er selbst, der Geschäftsführer, hat sich im vergangenen Jahr aber kein Gehalt ausgezahlt.

Zur Frage nach dem Geschäftsmodell hat er einiges zu sagen und sich das mal aufgeschrieben. Er sagt: "Wir sind in einen Markt eingetreten, den die etablierten Verlage überhaupt nicht entwickelt haben." Große wie kleine hätten es verpasst, den Online-Werbemarkt zu entwickeln. Heißt: Für lokale Unternehmen ist immer noch Print die einzige reale Währung.

Schwörbel sagt, es habe noch keinen Strukturwandel gegeben, man sehe das an den großen Handelsketten wie Edeka oder Rewe, die für ihn der ideale Partner wären. Aber, sagt er, es gebe die Infrastruktur einfach nicht. Es fehlen, heißt das, die technischen Voraussetzungen, um solche Anzeigen möglichst einfach auf eine Webseite zu hieven.

Vereinfacht lautet das Problem auf Schwörbels Papierbogen so: Die Werbekunden, die für die Prenzlauerberg Nachrichten relevant wären, die lokalen Supermärkte, die mit ihren Angebotswerbungen für alle (lokalen) Zeitungen und Anzeigenblätter einen großen Teil der Einnahmen ausmachen, sind in der Welt der Online-Werbung nicht angekommen.

Interessant ist natürlich die Frage, was dieser Befund, so er denn richtig ist, über die digitalen Strategien vieler Lokalzeitungsverlage verrät. Müsste nicht, um langfristig im Spiel zu bleiben, bei allen großen lokalen Internetangeboten der Discounter-Schinken im Sonderangebot durchs Bild fliegen? Vielen Lokalzeitungen geht es wirtschaftlich schon heute schlecht. Zwischen 1992 und 2012 sank laut Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger die Zahl der täglich verkauften Lokal- und Regionalausgaben von 17,9 Millionen auf 13,4 Millionen Stück. Die Überregionalen legten von 1,47 leicht auf 1,54 Millionen Exemplare zu. Auflagen- und Anzeigenschwund treffen gerade auch die vielen kleinen Lokalblätter.

Die Krise der Lokalzeitung hat - und damit wäre man bei der publizistischen Relevanz der lokalen Netzangebote - Lücken gerissen. Philipp Schwörbel hat seine in der Bezirksberichterstattung gefunden, die "in den großen Berliner Zeitungen" nicht stattfinde. Wenn es Themen aus Prenzlauer Berg ins Blatt schaffen, sagt er, "dann ist das Schwabenschelte oder ein Kind ist schwer misshandelt worden".

Schwörbel hat sich eine Art toten Winkel der Berliner Berichterstattung zum Thema gemacht. Die Tegernseer Stimme, seit 2010 online, entstand aus einer "Unzufriedenheit mit der lokalen Zeitung, die uns oft zu unkritisch berichtet hat", sagt Peter Posztos. Und das Blog Die Ruhrbarone, verantwortet von Stefan Laurin, gibt es zwar schon seit 2007, seit ein paar Wochen aber haben sie auch ein Lokalangebot für Dortmund. Weil der WAZ-Konzern die Redaktion der Westfälischen Rundschau auflöste und seine Dortmund-Berichterstattung nun von der Konkurrenz bezieht.

Dortmund ist vom Einzugsgebiet her sicher eher lokal als hyperlokal, aber es ist dasselbe Prinzip: Es gibt journalistischen Bedarf an neuen Angeboten in den Städten und Orten. Die Themen der Prenzlauerberg Nachrichten spielen deshalb auch wirklich in Prenzlauerberg, es gibt keine Geschichten über Yoga oder italienischen Kaffee, die man der Zielgruppe vielleicht zuschreiben würde. Die beiden Journalisten, die sich die Stelle dort teilen, schreiben über Politik, Alltag und Kultur aus ihrem Bezirk. Und es wird gelesen, weil genau das sonst niemand tut: Die Prenzlauerberg Nachrichten zählen 50 000 Visits im Monat. Die Tegernseer Stimme spricht von einer Abdeckung von 35 Prozent im Einzugsgebiet über einen ganzen Monat.

Blogs als Gegenangebote der Heimatzeitung

Es gibt die Webseiten, die oft Gegenangebote zur Monopolzeitung am Ort sind, inzwischen in vielen Städten - in Köln, Regensburg, Trier und so weiter. Die Prenzlauerberg Nachrichten sind eine kleine, aber professionelle Redaktion, mit wenigen Geschichten am Tag. Differenzieren muss man aber, natürlich: Nicht alle lokalen Blogs leisten dasselbe, nicht alles ist besser als das Angebot der Heimatzeitung.

Philipp Schwörbel glaubt, dass es "so etwas wie uns" irgendwann flächendeckend geben werde. Die Gründe seien vielfältig, "haben aber alle damit zu tun, dass Menschen wissen wollen, was vor ihrer Haustür passiert". Überall werde guter, detaillierter Lokaljournalismus eingespart. Das mag sein, bisher ist es aber wohl eher so: Lokaljournalismus ist teuer, weshalb er immer mehr von Idealisten gemacht wird, die bisher kaum Geld damit verdienen. Nach einem Geschäftsmodell der Zukunft klingt das noch nicht. In den USA und in England jedenfalls, wo der hyperlokale Hype herkommt, ist er großenteils schon wieder vorbei: Dort versuchten sich mit New York Times und Guardian große Verlage am digitalen Stadtteil-Journalismus. Für sie hat es sich nicht gerechnet.

© SZ vom 25.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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