Krimkonflikt:Hier spielt die Musik

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Die Ukraine gewinnt beim Eurovision Song Contest, Russland empfindet die Niederlage als Schmach. Wie politisch darf der Liederwettbewerb sein?

Von Silke Bigalke und Frank Nienhuysen

Als die Hälfte der Jurypunkte verteilt ist, gibt es wie immer die Schalte in den "Green Room". Dort warten die Teilnehmer des Eurovision Song Contest auf das Ergebnis. Zu diesem Zeitpunkt führt die Australierin Dami Im. "Oooohh", quiekt sie ins Mikrofon. "Beste Erfahrung meines Lebens." Moderator Måns Zelmerlöw geht weiter zur ukrainischen Kandidatin Jamala auf Platz zwei. Was würde es ihr bedeuten, zu gewinnen? "Weißt du, das ist eine persönliche Geschichte in dem Song, und deshalb würde es bedeuten, dass Europa mich ziemlich gut versteht."

Was hat Europa verstanden? Dass es beim Eurovision Song Contest (ESC) nicht nur um das beste Lied und die stärkste Stimme geht? Jamala jedenfalls interpretiert ihren Sieg auch als Solidaritätsbekundung Europas mit der Ukraine.

Bereits vor dem Finale drehte sich in Stockholm vieles um die Frage, wie politisch der ESC ist und sein darf. Die Lieder, da gibt es Regeln, dürfen es nicht sein. Der Veranstalter hat den Song der 32-jährigen Krimtatarin geprüft und als unpolitisch eingestuft. Jamala hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass es ihr bei dem Lied 1944 eben auch um 2014 geht. Sie besingt das Schicksal der Krimtataren, die Stalin vor mehr als 70 Jahren nach Zentralasien deportieren ließ. Und sie erinnert an die Annexion der Krim durch Moskau vor zwei Jahren. Seither könne sie nicht nach Hause, ihren Großvater nicht besuchen, sagte sie dem Guardian. "Was soll ich denn machen: nur nette Lieder singen und das vergessen? Natürlich kann ich das nicht."

Wieder zu Hause: Die Siegerin Jamala aus der Ukraine wird am Sonntag am Flughafen von Kiew begrüßt. (Foto: Sergey Dolzhenko/dpa)

Die Moderatoren Petra Mede und Måns Zelmerlöw versuchen beim Finale gar nicht erst, um den Konflikt herumzureden. Der Wettbewerb sei 1956 entstanden, um den vom Krieg zerrissenen Kontinent zu einen. "Jetzt steht Europa wieder dunkleren Zeiten gegenüber", sagt Zelmerlöw. "Heute schieben wir unsere Differenzen beiseite und werden durch unsere Liebe zur Musik geeint", sagt Petra Mede. Wenn 43 Nationen ihren Musikgeschmack gegenseitig beurteilen, geht es auch um kulturelle Nähe und Sympathie. Offiziell aber darf es nur um die Musik gehen. Andernfalls würden sich Kontrahenten wie die Ukraine und Russland oder Aserbaidschan und Armenien wohl gar nicht darauf einlassen.

Deutschland wird zum zweiten Mal in Folge Letzter

Während der Show haben die Schweden es geschafft, diese Balance zu halten. Sie haben ihre Botschaft der Zusammengehörigkeit untergebracht. Und mit ihrer wunderbar selbstironischen Parodie Love, Love, Peace, Peace die oft hohlen Botschaften der Lieder auf die Schippe genommen. "Aber ich will tatsächlich Frieden und Liebe für jeden" konnte Siegerin Jamala am Ende trotzdem glaubwürdig sagen.

Statt großer Harmonie brach danach das absehbare Gewitter los. Russland empfindet den Ausgang des Wettbewerbs offensichtlich als Schmach. Die stellvertretende Leiterin des Kulturausschusses in der russischen Duma, Elena Drapeko, nannte den Sieg der Ukraine und den dritten Rang Russlands die "Folgen jenes propagandistischen Informationskrieges", der gegen Russland geführt werde. Eine "allgemeine Dämonisierung Russlands" sei im Gange, sagte Drapeko, die jedoch einräumte, dass Jamala eine "herrliche Stimme hat". Und der Vizechef des Verteidigungskomitees, Franz Klinzewitsch, stellte klar, dass "die Politik den Vorrang über die Kunst" übernommen habe - was seine Äußerung ja indirekt auch bestätigt. Und Kiew? Triumphierte natürlich. "Die Wahrheit gewinnt immer", sagte Außenminister Pawlo Klimkin, der noch nachschob, dass die Krim zur Ukraine gehöre, "nicht vergessen".

Dabei war das europäische Publikum gar nicht gegen Russland. Erstmals wurden die Punkte von Zuschauern und nationalen Jurys getrennt vergeben und große Unterschiede sichtbar. Wäre es nach den Zuschauern gegangen, hätte der russische Kandidat Sergej Lasarew gewonnen. In zehn Ländern gaben sie ihm zwölf Punkte, darunter in Deutschland, Estland und der Ukraine. Die Jurys dort haben Lasarew dagegen jeweils nur null Punkte gegeben.

Ist das Publikum unvoreingenommener als die Profis? Vielleicht darf man den Einfluss der politischen Weltlage auch nicht überwerten. Was hieße es sonst für Deutschland, dass es mit Jamie-Lee Kriewitz im zweiten Jahr in Folge Letzter wurde? ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber erklärt den Misserfolg mit Äußerlichkeiten. International sei es "auf Unverständnis gestoßen, dass ein Manga-Mädchen aus Deutschland antritt".

Dem Russen Lasarew sind vorab ganz andere Fragen gestellt worden, etwa zur Sicherheit der Homosexuellen in Russland, sollte der ESC 2017 dort stattfinden, und zur Krim. Über die sagte er 2014, dass sie für ihn zur Ukraine gehöre. Vorsichtshalber hatte die Ukraine angekündigt, einen ESC 2017 in Russland zu boykottieren. Nun muss sich Russland überlegen, ob es einen Kandidaten in die Ukraine schickt. Eine Journalistin von der Krim fragte Jamala, ob sie wolle, dass der ESC kommendes Jahr "auf einer freien Krim stattfindet". Die Antwort: "Eurovision wird in der Ukraine stattfinden - ich weiß nicht wo, aber sicher in der Ukraine." Es bleibt politisch.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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