"Das ist doch Selbstgeißelung!", sagt Ferdinand, 23, und Sally, 25, fragt bang: "Muss man hier das Handy ausmachen?" Die beiden Studenten der Stuttgarter Hochschule der Medien wagen gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Florian ein besonderes Experiment. Sie ziehen ins Frankfurter Priesterseminar St. Georgen. "God or Not - Entscheidung im Priesterseminar" heißt das Youtube-Format. Der Titel spielt - vielleicht nicht ganz unbeabsichtigt - auf beliebte Reality-TV-Formate an; auch die wackelige Handkamera und die schnellen Schnitte verfolgen eine Ästhetik des "ganz dicht dran". Big Brother auf katholisch, nur dass hier niemand rausgewählt wird.
"Bin ich hier eigentlich die einzige Frau?", fragt Sally. Ihre Vermutung, dass es im Priesterseminar irgendwie mittelalterlich aussieht oder wie in Hogwarts, bewahrheitet sich nicht. Und so treffen die drei Studenten in nüchterner Pfarrheim-Atmosphäre, bei Apfelschorle, Wurstbrot und Bier, auf Antonio, Lukas, Christian und Julian, vier angehende Priester. An den Wänden wachen Franziskus, Benedikt XVI., Johannes Paul II. und Ignatius von Loyola. Er habe auch mal über "was mit erneuerbaren Energien" nachgedacht, das sei ja zukunftsträchtig, erzählt der 24-jährige Christian von seiner Berufswahl. Aber dann habe er - sozialisiert in der kirchlichen Jugendarbeit - mal gegoogelt, was Kirche so zu bieten habe. Lukas, 20, berichtet von seinem Onkel, der Priester war und ein Vorbild. "Aus kindlicher Sicht dachte ich damals, toll, der Pfarrer arbeitet ja nur sonntags. Was damit alles zusammenhängt, wird einem erst später bewusst."
Katholizismus meets säkulare Jugend - es ist nicht das erste Mal, dass die katholische Kirche in Deutschland solche Begegnungen inszeniert. Das erste Projekt dieser Art, "Valerie und der Priester" startete vor vier Jahren: Valerie Schönian, eine der Stellenbeschreibung zufolge "linke, emanzipierte, junge Journalistin" zog zeitweise ins Pfarrhaus zu Franziskus von Boeselager, junger Kaplan im westfälischen Roxel. Beide lernten einander kennen, gingen zusammen auf den Weltjugendtag und in die Kneipe, stritten über den Umgang mit Homosexualität, besprachen die großen Fragen des Lebens. All das fand Niederschlag auf Facebook, in einem nachdenklichen Blog, und zuletzt auch in einem Buch. Zwei Jahre später hieß das Projekt "Gott im Abseits" und beobachtete Mönche und Nonnen durch die Augen von drei jungen, kirchenfernen Journalisten bei der seelsorgerlichen Arbeit mit Suchtkranken, Obdachlosen, Strafgefangenen.
Und nun das dritte Projekt. Der Reiz liegt erneut in der Konfrontation, doch diesmal wirkt das Setting zumindest zu Beginn schriller. Es geht um die Begegnung von lebenslustigen, feierfreudigen Studenten (die sich fragen, ob Jesus eigentlich auch Sex hatte) mit jungen Männern, die ihr Leben ganz Gott und der Kirche widmen wollen. Die neue Serie richte sich in der Machart stärker ans Youtube-Publikum, sagt Pfarrer Michael Maas. Er ist Direktor des Zentrums für Berufungspastoral der Deutschen Bischofskonferenz und ist verantwortlich für alle drei Formate. "Wir wollen zeigen, was im Jahr 2020 junge Männer dazu motiviert, Priester zu werden", sagt Maas. Das Priesterseminar sei von außen "eine fremde Welt". Es gebe etliche Vorurteile - zum Beispiel, dass Frauen nicht ins Seminar dürfen. Damit will das Format aufräumen.
Drei Folgen der Serie gibt es inzwischen, geplant ist, dass jeden Donnerstag eine neue erscheint. Zuschauer können in den Kommentaren Fragen stellen. "Was ist für euch schwieriger? Kein Sex oder keine Partnerschaft?", fragt zum Beispiel eine Zuschauerin. Maas verspricht: "Alles kann gefragt werden, alles kann gesagt werden, und keiner von uns weiß heute, was dabei herauskommt." Ferdinand zumindest hat schon ein persönliches Lieblingsthema: "Zölibat interessiert mich schon krass."
God or Not - Entscheidung im Priesterseminar , auf Youtube .