Journalistenpreis:Jenseits von Routine und Reflexen

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In Berlin wird der Theodor-Wolff-Preis verliehen. Was macht einen guten Zeitungstext aus? Das ist die Frage des Abends. Für Juror Nikolaus Blome etwa ist wichtig, dass er streitbar ist.

Von Jens Schneider

Suchend nähert sich Norbert Lammert der schwierigen Lage. Ihm würden eher unfestliche Dinge einfallen, sagt der Bundestagspräsident. Er ist als Festredner gekommen zur Verleihung des Theodor-Wolff-Preises in Berlin, dem Journalistenpreis der deutschen Zeitungen. Seine Rede mäandert, als müsste er die Beobachtungen noch sortieren. Da ist der Befund, dass Journalisten wie Politiker einen bescheidenen Ruf haben. Da ist der Begriff "Lügenpresse". Der sei pure Polemik, sagt er, "aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es diese Vermutung gibt". Und gegen die Vertrauenskrise ernsthaft Lösungen suchen.

Was aber macht einen guten Text aus? Lammert zitiert die Ansprüche, die für den Theodor-Wolff-Preis gestellt werden: die gründliche Recherche, eine eingehende Analyse, vorbildlicher Stil. An diesem Abend kommen weitere Kategorien hinzu: Gehört zu einem guten Text, dass er sich von eingeübten Reflexen löst?

Heinrich Wefing von der Zeit hat im Text "Darf's auch etwas mehr sein?" für einen starken Staat plädiert, er wurde in der Sparte "Meinung" ausgezeichnet. Der Begriff starker Staat löst schnell Misstrauen aus. Aber angesichts der enormen Herausforderungen argumentierte Wefing, dass der Staat massiv ausgebaut werden muss. Um Hunderttausende zu integrieren, aber auch dem Terror zu trotzen, brauche es mehr Polizisten, Richter, Lehrer, "vermutlich auch mehr Soldaten und Spione".

Sein Text sei sehr umstritten gewesen, auch in der eigenen Zeitung, sagt Wefing. Er wird nach der Kritikfähigkeit von Journalisten gefragt und sieht "Luft nach oben". Man müsse auch mal sagen: "Das, was ich vor einem halben Jahr geschrieben habe, war falsch." Und es neu versuchen.

Ein guter Text sollte streitbar sein, findet Juror Nikolaus Blome

Hartnäckigkeit und Ausdauer sind eine weitere Kategorie. Gegen Mauern des Schweigens recherchierten Karsten Krogmann und Marco Seng monatelang über einen Krankenpfleger, der jahrelang unentdeckt bis zu 200 ihm anvertraute, schwer kranke Patienten ermordete. Der Artikel "Warum stoppte niemand Niels Högel?" für die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg wurde in der Sparte "Lokales" prämiert.

Hinzu kommt der Mut, aus der Routine auszubrechen: Beim Theodor-Wolff-Preis gibt es die Kategorie "Thema des Jahres", diesmal sollte die beste Arbeit über "Flüchtlinge" ausgezeichnet werden. Für die Sonderbeilage "Wer seid ihr?" im Handelsblatt suchten Nicole Bastian und Jens Münchrath mit mehr als dreißig Kollegen Kontakt zu Flüchtlingen und ließen sie selbst erzählen, von den Gründen für die Flucht, dem schweren Weg, ihren Ängsten.

Sollte ein guter Text umstritten sein? So sagt es das Jurymitglied Nikolaus Blome ( Bild), als er Tobias Haberl vom SZ-Magazin auszeichnet. Haberl hat Udo Voigt, den einzigen NPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, lange beobachtet. In "Reihe 7, Platz 88" nennt er ihn klar einen Rechtsextremisten. Aber er schildert auch den Menschen, beides gehört zusammen. Der Text stieß - auch SZ-intern - auch auf Kritik, Haberl berichtet in Berlin davon. Er könne doch diesen Mann nicht als Menschen beschreiben, wurde ihm entgegengehalten. Doch, man müsse "selbst Menschen, die man ablehnt, als Mensch sehen", sagt er. Haberl erhielt den Preis für die beste Reportage.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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