Journalist nach Entführung in Syrien:"Mehr war da nicht"

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Fünf Monate saß der Journalist Armin Wertz im Gefängnis in Syrien. Einzelhaft, ohne Bett, Licht und Beschäftigung. Er hörte die Schreie der Gefolterten, er beruhigte sich mit Liedern seiner Kindheit. Jetzt ist er frei. Eine Begegnung.

Von Charlotte Parnack

"Es war einmal ein König". So fangen eigentlich Märchen an. Auch von Armin Wertz gibt es einen Text, der mit diesen Worten beginnt. "Es war einmal ein König." Eine Reportage aus Nepal. Oder so: "Das gelobte Land hatte wenig vom Paradies." Aus Manila. Oder: "Die warmen Abende in den südlichen Ländern Asiens sind erfüllt vom Lärm der Tiere, vom Zirpen der Grillen, dem Zischen und Pfeifen der Fledermäuse, dem Quaken der Frösche und dem Schmatzen und Bellen der Geckos." Aus Thailand.

Wenn Armin Wertz Geschichten aus der Welt erzählt, dann versteht er es, sie immer so zu erzählen, als wären es Märchen. Böse Märchen oft, traurige Erzählungen. Aber immer solche, die man lesen will. Die Menschen in ihren Bann ziehen, vom ersten Satz an.

Und ausgerechnet dieser Armin Wertz sitzt nun da, in einem Café in Hamburg-Winterhude, und weiß nicht, wie er anfangen soll. Fast wirkt er, als wisse er nicht, warum er überhaupt anfangen soll, warum alle Leute jetzt so ein Gewese machen um seine Geschichte. Armin Wertz war in Mexiko und Nicaragua, in Israel und El Salvador, in Afrika, in Nepal, an Orten, deren Namen er kaum noch weiß oder die es gar nicht mehr gibt. Und von überall hat er Geschichten mitgebracht.

"Das war natürlich nicht gemütlich."

Zuletzt war Wertz im Gefängnis in Aleppo, Syrien. Fünf Monate lang, in Einzelhaft, ohne Licht, ohne Bett, ohne Beschäftigung. Ohne zu wissen, warum. Er war nach Syrien gereist, um über regimetreue Assad-Anhänger zu schreiben. Das ging nicht gut.

"Tja, was soll ich sagen? Das war natürlich nicht gemütlich. Aber verzweifelt bin ich da jetzt nicht. Es war ja auch nicht mein erstes Mal im Gefängnis. Nur manchmal bin ich wütend geworden und habe gedacht: Jetzt reicht's mir aber", sagt er.

Das ist keine Koketterie. Das ist die professionelle Nüchternheit eines Menschen, der sein Leben damit verbracht hat, Dinge zu beobachten und zu beschreiben. In märchenhaften Sätzen, das vielleicht, aber nie hysterisch, emotional, aufgeregt. Nicht einmal, wenn es um ihn selbst geht. Dabei sieht Armin Wertz so aus, als hätte er in den vergangenen fünf Monaten durchaus Anlass zur Aufregung gehabt.

Der Journalist Armin Wertz, 68, ist ein Gezeichneter. Er ist nicht dünn und nicht dürr. Abgemagert ist das Wort, das am besten auf ihn passt. Ausgezehrt. Beim Laufen zieht er das linke Bein nach, sein Knie hat das Liegen auf dem Steinfußboden der Gefängniszelle nicht vertragen. Seine Haare sind raspelkurz, in der Haft wurden sie ihm geschoren. Er ist erst seit dem 5. Oktober wieder frei, sagt er. Zu wenig Zeit für die Haare zum Nachwachsen, zu wenig Zeit für den Körper zum Zunehmen.

Wertz' Wangen sind eingefallen, die Augen liegen tief in den Höhlen. Seine Schultern bohren sich unter dem Hemd hervor, die Jeans wird von einem Gürtel mühsam gehalten. Als die Kellnerin zum Kaffee einen Keks bringt, freut er sich wie ein Kind. "Der Hunger", sagt er entschuldigend.

Er hatte oft Hunger. Fünf Monate lang hat er sich nur von Reis, Brot und Wasser ernährt, erzählt Wertz. Einmal hat ihm jemand einen Apfel geschenkt. "Dass es wenig zu essen gab, war nicht das Schlimmste", sagt er. "Das Schlimmste war, wenn das Essen zu spät kam oder wenn es gar nicht kam, weil die Straßen um das Gefängnis belagert waren." Dann fehlte ihm die einzige Möglichkeit, die Zeit festzuhalten. Sein Dasein irgendwie in Einheiten einzuteilen, in Tage, Wochen, Monate.

"Meine Zelle hatte kein Fenster, es war immer dunkel", sagt Wertz. Er wusste nicht, ob es Tag war oder Nacht, fühlte nicht mehr, wie die Minuten vergingen, die Langeweile war vielleicht die größte Folter. Wertz drückt es so aus: "Das Nichtstun ging mir am meisten auf den Keks."

"Wenn man Angst hat, sollte man den Job lassen."

Er fing an, in der Zelle zu singen, Nabucco, Gefangenenchor. Dann fiel ihm ein Lied aus seiner Kindheit ein: "Es steht ein Soldat am Wolgastrand, hält Wache für sein Vaterland." "Keine Ahnung, woher ich das kenne. Das war wohl ganz hinten in meinem Gehirn gespeichert. Verblüffend, was einem in solchen Situationen in den Kopf kommt", sagt Wertz.

Verblüffend. Das Wort benutzt er oft, wenn er von seinem Gefängnisaufenthalt spricht. Als sei das, was ihm in Syrien zugestoßen ist, in erster Linie erstaunlich.

Armin Wertz war im Mai 2013 mit einem Touristenvisum nach Syrien eingereist. Er lebte und arbeitete zu diesem Zeitpunkt seit mehr als 15 Jahren als freier Journalist in Indonesien, nun hatte er den Auftrag, über Syrien und den Bürgerkrieg zu schreiben. "Es gibt aus dem Land fast nur Reportagen über die Opposition. Das reichte mir nicht. Also wollte ich etwas über die Regime-Anhänger machen", sagt er.

Ob er sich vorher Sorgen gemacht hätte, was ihn in Syrien erwarte, nur mit einem Touristenvisum unterwegs? "Nein. Wenn man Angst hat, sollte man den Job lassen. Sonst ist man mehr damit beschäftigt, in Sicherheit zu sein, als die Geschichte zu recherchieren", sagt er. In einem seltsamen Deutsch, das sich keinem Dialekt zuordnen lässt, ein bisschen Bodensee ist darin, ein bisschen Hessen, ein bisschen Berlin, dazwischen englische Wörter, spanische Wörter, Phantasiewörter.

Armin Wertz ist ein Entwurzelter, ein Journalist ganz alter Schule, der sein Leben den großen Geschichten gewidmet hat. Einer, der noch direkt von der Universität zum Spiegel kam. Der nach ein paar Jahren den Job dort hinschmiss, weil ihm die Redaktion nicht passte. Er ging nach Mittelamerika, war Korrespondent für die Frankfurter Rundschau, für den Schweizer Tagesanzeiger, für den Spiegel, lebte in Nicaragua, in Mexiko, in Israel, in Südostasien. Zog mit Guerilleros durch den Busch, ging im Gazastreifen in Deckung, wurde im Libanon verhaftet. "Man ist manchmal betroffen und traurig", sagt er, "aber man kalkuliert das ein."

Er hätte wohl besser auch in Syrien ein paar Risiken einkalkuliert. Wertz war vier Tage in Aleppo unterwegs, hatte nach seinen Darstellungen erste Gespräche mit Geschäftsleuten und Studenten geführt. "Es hat mich erstaunt, wie euphorisch die Assad-Anhänger sind", sagt er. Das sei nicht einfach Gefolgschaft. "Das ist schon richtige Begeisterung. Assad gilt vielen Syrern bis heute als Held und Modernisierer." Selbst im Gefängnis hätten ihm noch Mitinsassen zugerufen: "Baschar groß! Baschar gut!"

Es dauerte ein paar Tage, bis Wertz dort landete. Erst wurde er im Hotel unter Hausarrest gestellt. "Ich saß gerade in der Lobby und habe gearbeitet, weil in den Zimmern das Licht ausgefallen war. Da kamen Männer auf mich zu und sagten, ich hätte kein Visum." Ausnehmend höflich seien die gewesen, betont er. Hätten sich bitter über die USA beschwert, aber als er ihnen sagte, sie sollten mal sehen, wie die Südamerikaner unter der Fuchtel der Amerikaner stünden, da hätten ihm alle zugehört. Jeden Tag seien sie mit ihm spazieren gegangen. "Einmal hat mich einer zum Essen in ein Hotel eingeladen. Da waren keine Gäste mehr, aber die Küche war noch geöffnet. Wir haben gut gegessen", erzählt Wertz. Doch nach fünf Tagen muss die Weisung gekommen sein, den Hausarrest aufzuheben.

Patiencen in der Polizeizelle

Von der Polizeiwache schickte Armin Wertz noch eine SMS nach Deutschland, an den Journalisten Edgar Auth. Es war das letzte Lebenszeichen für Monate. Auth informierte die deutschen Behörden und die Reporter ohne Grenzen, die seitdem um seine Freilassung verhandelten. Wertz legte derweil mit einem kurdischen Zigarettenschmuggler in der Polizeizelle Patiencen.

Dann kam er in ein größeres Gefängnis, in Einzelhaft. Manchmal, sagt er, schien ihn die Hitze zu erdrücken, er überschüttete sich mit schmutzigem Wasser, bis sich seine Haut entzündete. Er sei nie gefoltert worden, aber habe die Schreie der Gefolterten gehört. Er sah durch einen Schlitz in der Zellentür, wie sie geschlagen wurden, er rief: "Das ist gegen die UN-Menschenrechtskonvention." Er wurde ausgelacht. Er wurde immer dünner, lag sich wund, hatte Angst um seine Zähne, fürchtete, er würde in der Zelle vergessen.

"Aber eines Tages sagten die Wärter: Almani, zieh dich an. Ich kam für zehn Tage in ein Gefängnis in Damaskus. Von dort wurde ich nach Deutschland ausgeflogen." Mehr war da nicht, wenn man Armin Wertz fragt. Ach doch, vielleicht so viel: "Ich habe mich gefreut, wieder Karotten und Feldsalat zu essen." Und die Tränen, der Jubel, das große In-die-Arme-fallen?

"Ich bin ja Journalist", sagt Armin Wertz, "da versuche ich immer, sachlich zu bleiben." Als 1995 Jitzchak Rabin ermordet wurde, habe er einmal eine Reportage geschrieben, für die Kollegen ihn gelobt hätten: endlich mal ein emotionaler Text. Wertz blickt nachdenklich. "Da ist mir wohl der Gaul durchgegangen. Ich finde, ein Artikel sollte emotionslos sein", sagt er. Und zahlt und humpelt davon.

© SZ vom 12.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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