Journalismus:Schlaues Magazin

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Wie man Layoutaufgeregtheiten ignoriert. (Foto: brand eins)

"Brand eins" wird 20 Jahre alt. Angeblich ist es ein Wirtschaftsblatt, vielleicht aber auch etwas zwischen Philosophie, Hedonismus und Politik.

Von Gerhard Matzig

Die aktuelle Konkurrenz am Kiosk: Busen und "Super-Shows" ( TV direkt), Busen und "Betrugsvorwürfe" (Closer) sowie - bei den Wirtschaftsmagazinen - ein Mann (Elon Musk, im Anzug) als Coverboy für das Manager Magazin. Titel: "Treibjagd auf Tesla". Wie verrückt muss man sein, um diesem Kauf-mich-Appell der Aufmerksamkeitspublizistik ein Paar himmelblaue Flipflops auf weißem Grund entgegenzusetzen - fotografiert wie für die übrigens sagenhafte Schmetterlingssammlung im Naturhistorischen Museum der Stadt Wien? Oder doch: Wie schlau muss man sein.

Dieses eher schlaue als verrückte Magazin heißt brand eins, wurde soeben 20 Jahre alt und ist angeblich ein Wirtschaftsblatt, möglicherweise aber auch etwas zwischen Philosophie, Hedonismus und Politik. Man kann es nur lieben. In einem frühen Woody-Allen-Film gibt es die vollanaloge Szene, in der Allen zuhause sein Date, vormals: Damenbesuch, erwartet. Er drapiert Tisch und Sofa mit Werken großer Denker. Als dezenten Hinweis auf eine erotomanisch entzündliche Intellektualität. So was macht man in digitalen Herumwischzeiten nicht mehr, doch würde man es machen, so käme als Zeitschrift, mit der man angeben will ohne anzugeben, eigentlich nur noch brand eins in Frage.

Was einerseits an einer souverän die Layoutaufgeregtheiten der Gegenwart ignorierenden und, wie exotisch, der Leserführung überaus dienlichen, klassisch-modernen Ästhetik liegt. Die macht aus der monatlich in einer Auflage von zuletzt noch gut 70 000 verkauften Exemplaren erscheinenden Zeitschrift so etwas wie den Aston Martin unter den SUVs oder eine Bauhausvilla unter Reihenendhäuschen.

Andererseits wäre die Zeitschrift, die ihren schönen Rätselnamen der ursprünglichen Hamburg-Adresse verdankt (Brandstwiete 1, nach Umzug Friesenweg 4 - aber der Titel Friese vier ist markentechnisch nicht zu empfehlen), jedenfalls wäre die Zeitschrift nichts oder nicht alles ohne die klugen Verrücktheiten von Wolf Lotter, der im Impressum ernsthaft unter "Einleitung" geführt wird. Er ist der leitende Einleiter von brand eins. Weshalb er in der Flipflop-Ausgabe, die dem an sich schweren Thema "Mit leichtem Gepäck" gewidmet ist, auch wundersam vom Hans-Albers-Film über die DDR-Hymne zum Keynes-Zitat kommt (auf lange Sicht sind wir alle tot), dann über Rom weiter zum angewandten Materialismus führt, zum Dampfhandy, zum TÜV, zum EuGH, zu den Babyboomern . . . und man ist noch nicht in Woodstock angekommen. Die Leute aus der Redaktion, die diesen fabelhaften Wahnsinn redigierend betreut haben, sind für das Verdienstkreuz 1. Klasse vorzusehen.

Der Trick, der nur selten zum Tick retardiert, ist: Die Wirtschaftszeitschrift macht aus der Ökonomie ein ganzes Leben. Das Wirtschaften ist ohne Gesellschaft nicht zu haben - und umgekehrt. Deshalb liest man brand eins so gerne. Es erzählt von uns. Das ist schlau.

© SZ vom 29.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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