Japan:Höflich am Hebel

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Im internationalen Vergleich sind Japans Sender zahm. (Foto: Jochen Tack/mauritius images)

Prominente Moderatoren klagen über die Regierung von Premier Shinzo Abe und gehen damit nun auch bewusst an die Öffentlichkeit: Der Druck auf Japans ohnehin zahme Medien sei subtil, aber sehr wirksam, sagen sie.

Von Christoph Neidhart

Shuntarō Torigoe ist ein bekannter Mann in Japan, man kennt ihn als Moderator aus dem Asahi-Fernsehen. Und er meint, in Japan überwachen heute nicht die Medien die Politik, wie es sich für eine Demokratie gehöre, "sondern die Regierung die Medien". Wie er beklagen sich viele Journalisten über Druckversuche der Regierung von Shinzō Abe. Diese bestreitet jede Einflussnahme.

Die Pflicht der Medien sei es, ihn zu kritisieren, sagte Kakuei Tanaka einst, der einer der prägenden Politiker Japans und von 1972 bis 1974 Premier des Landes war. Von Abe dagegen heißt es, er ertrage keine Kritik von den Medien. Er habe deshalb ein Team einberufen, das die Fernsehsender überwache, weiß Shigetada Kishii, einer von drei TV-Kommentatoren, die kürzlich ihre Stelle verloren. Wie er glaubt, auf Druck der Regierung.

In einer Presserunde in Tokio erläuterten die beiden Moderatoren Kishii und Torigoe jüngst die Mechanismen, mit denen Abe die Redaktionen unter Druck setzen lasse, ohne sich direkt einzumischen. Die offene Drohung der Medienministerin Sanae Takaichi, sie könnte TV-Sendern die Lizenz entziehen, halten die beiden für den Aussetzer einer Übereifrigen. Normalerweise laufe das subtiler.

Im internationalen Vergleich sind Japans Sender ohnehin zahm

Effektiv beeinflussen kann die Regierung nur NHK, das öffentlich-rechtliche Fernsehen, von dem der langjährige Japan-Experte Andrew Horvat sagt, es sei zu einem "Sport- und Wetterkanal" verkommen. Qua Gesetz nominiert der Premier die NHK-Spitze. Abe hat sie mit Gesinnungsgenossen besetzt. Frühere Regierungen seiner Partei holten für solche Personalentscheidungen jeweils die Zustimmung der Opposition. Abe hat sich über deren Proteste hinweggesetzt.

Über ähnliche Hebel, um auf private Sender oder Zeitungen Einfluss zu nehmen, verfügt die Regierung nicht. Die japanische Verfassung garantiert die Pressefreiheit ohne jede Einschränkung. Takaichis Drohungen waren demnach bloß Bluff. Stattdessen zermürbt Abes liberaldemokratische Partei (LDP) die im internationalen Vergleich immer schon zahmen Medien mit nörgelnden Briefen, die angebliche Fehler korrigieren und sie zur Ausgewogenheit ermahnen.

Überdies sucht Abe die Nähe zu den Verlagen; nach heiklen Entscheidungen lädt er die Chefredakteure zum Essen ein. Vor allem aber kritisiere die Abe-Regierung in Off-the-Record-Briefings bestimmte Journalisten und Programme, so Kishii. Solche auf einzelne Personen bezogenen Angriffe habe sich die LDP zuvor nie erlaubt. Diese Kritik würde nie öffentlich, aber naturgemäß in die Medienhäuser zurückgetragen und dort viel zu ernst genommen, vor allem von den Verlagen, berichtet der TV-Journalist Shigenori Kanehira. In den Redaktionen herrsche derzeit ein erstickendes Klima.

Dabei halte er nicht die Regierung für das Problem, so Kanehira, sondern die Medien selbst, die in vorauseilendem Gehorsam meiden, was Abe missfallen könnte. Torigoe berichtet, manche Sender hätten zusätzliche Kontrollorgane eingeführt, die jedes Programmelement bewilligen müssen. Das sei Selbstzensur, so Kishii. Zudem behindere dies die Arbeit.

Wie Abe und seine LDP wirklich zur einer freien Presse stehen, verrät ihr Entwurf für eine neue Verfassung. Er garantiert die Pressefreiheit, solange sie "das öffentliche Wohl und die öffentliche Ordnung nicht schädigen". Das ist ein Gummiformulierung, in Tokio gelten schon kleine Demonstrationen als Störung der öffentlichen Ordnung. In den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf heißt es, denken dürfe man alles, aber wer sich gegenüber der Gesellschaft äußere, für den gelten gewisse Grenzen.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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