Israel:Unwirkliche Szenen

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Mit Spürhund, Uniform und Fantasie: Eine israelische Doku zeigt eine Polizeirazzia bei einem Palästinenser. Und sie zeigt ein Ende, das alles andere als echt ist.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Um 3.30 Uhr in einer Novembernacht drangen Dutzende bewaffnete israelische Polizisten in die Wohnung des Palästinensers Samer Sleiman in Ostjerusalem ein. Begleitet von Hunden durchwühlten die Uniformierten zwei Stunden lang sein Appartement, auch den Keller, Sleiman und seine Familie mussten zusehen. Immer dabei: ein Filmteam. Als Sleiman nachfragte, warum sie die Szenen aufzeichneten, erklärte man ihm, dass die Kameras zu Dokumentationszwecken dabei waren, falls es später Beschwerden gebe. Samer Sleimann glaubte das.

In dem Gebiet finden immer wieder Razzien der israelischen Polizei statt. Aber um zu verstehen, wie Sleimann jene Nacht erlebt hat, muss man wissen, dass sein damals elfjähriger Sohn Saleh einige Jahre zuvor von der Kugel eines israelischen Polizisten getroffen worden ist und so sein Augenlicht verlor. Der Junge bekam kürzlich vom israelischen Staat eine Entschädigung zugesprochen.

Vor wenigen Wochen aber sprachen Samer Sleiman schließlich Nachbarn und Freunde an: Er sei - zwar verpixelt, aber erkennbar - im Fernsehen zu sehen gewesen, in seiner Wohnung habe eine Durchsuchung stattgefunden und ein Sturmgewehr sei gefunden worden. Also sah sich der Palästinenser die neunte und finale Folge des Dokudramas Jerusalem District an, einer erfolgreichen israelischen Sendung, die vom staatlichen Sender Kan ausgestrahlt wird. Das TV-Format, das auch in den sozialen Netzwerken abgerufen werden konnte, begleitet Polizisten in Israel bei ihrer Arbeit und wird beworben als Sendung, die "einen seltenen Einblick bietet in die Arbeit von Geheimdiensten, Detektiven und der Grenzpolizei im Jerusalemer Distrikt".

In der fraglichen Folge ging es um die Suche nach Waffen. Und Samer Sleiman erkannte darin seine Wohnung, seinen Keller und sich selbst. In der Sendung wurde sein Keller mit einem von Hamas-Mitgliedern gegrabenen Tunnel nach Gaza verglichen. Zu seiner Überraschung erfuhr der Palästinenser, dass in seinem Keller eine M-16 gefunden worden sei. Dabei hatte Samer Sleiman nach der Durchsuchung von der israelischen Polizei ein Dokument ausgehängt bekommen, dass er bei ihm keine verdächtigen Gegenstände gefunden worden waren.

Die Produktionsfirma hat nun eingeräumt, dass mehrere Sequenzen gestellt waren

Im Film beschreibt einer der Hauptakteure "den Verdächtigen" so: "Er war relativ ruhig, während wir uns auf die Suche konzentrierten. Aber als wir hinausgingen, veränderte sich seine Körpersprache." Die Kameras folgten den Polizisten von der Wohnung in den Keller. Sie fing ein, wie ein Polizist ein Loch in der Wand entdeckte, wie er einen Schrei ausstieß. Zoom auf ein Sturmgewehr. Die Polizisten fotografierten den Fund und beglückwünschten sich gegenseitig. "Gute Arbeit, sehr gut gemacht!" 640 000 Zuschauer verfolgten die Sendung.

Nachdem auch Samer Sleiman die Szenen gesehen hatte, beschwerte er sich und erfuhr: Die Polizei hatte die Waffe selbst platziert. Zuerst hieß es, eine Untersuchung werde eingeleitet. Als die Empörung nach Medienberichten über das Vorgehen wuchs, veröffentlichte die Polizei eine Entschuldigung "für jeglichen Schaden, der einem Zivilisten durch die Ausstrahlung entstanden ist". Der Fall werde geprüft, wenn notwendig würden Konsequenzen gezogen.

Sleiman hat Anzeige erstattet. Er fürchtet, nun als Krimineller betrachtet zu werden - zumal in seinem Viertel Issawija in Ostjerusalem seit rund einem Monat regelmäßig Razzien der israelischen Polizei in der Nacht stattfinden. Dabei wurde vor Kurzem ein Mann getötet.

Der staatliche Sender Kan entschied nach Bekanntwerden der Vorwürfe, zuerst nur diesen Serienteil von seiner Online-Plattform und vom Youtube-Kanal zu nehmen, bis das Ergebnis einer eingeleiteten Untersuchung vorliege. Dann wurden zwei weitere Beschwerden öffentlich: In einem Fall sah sich ein Palästinenser als gefährlicher Aktivist beschrieben und seine Festnahme wurde gezeigt. Er wurde aber tags darauf wieder freigelassen, die Vorwürfe wurden fallengelassen. Ein ultraorthodoxer Jude will den Satz "Geht weg, Nazis", wie im Film behauptet, nie gesagt haben.

Ab Mittwochabend waren dann alle Episoden nicht mehr abrufbar und sollen laut dem Sender auch nicht mehr als Wiederholungen ausgestrahlt werden. Die Produktionsfirma Koda hatte zuvor eingeräumt, dass drei weitere Szenen gestellt worden seien.

© SZ vom 09.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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