Hörspiel "60 Quadratmeter Hass":Die Ungnädigen

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(Foto: Stefan Dimitrov (Illustration)/SZ)

Juri Sternburg erzählt in seinem tragikomischen Hörspiel "60 Quadratmeter Hass" von der Selbstzerfleischung einer jüdischen Familie.

Von Stefan Fischer

Sieben Menschen, das sind sechs zu viel. So sieht es jeder in dieser jüdischen Familie - keiner erträgt die anderen. Eine Ausnahme machen die Erwachsenen höchstens bei Sarah, dem einzigen Kind. Die Elfjährige redet seit acht Jahren kein Wort. "Weil sie nichts zu sagen hat", wie ihr Vater Shimon unentwegt betont. Er ist genervt davon, dass alle ständig reden über die immer gleichen bedeutungslosen Dinge. Und darüber zuverlässig in Streit geraten.

Shimon steht seinen Verwandten in nichts nach, er ist genauso gereizt und ungnädig wie sie. Interessiert sich nicht für deren Themen, ist ein Egozentriker wie die anderen auch. So öffnet er der Schwägerin minutenlang nicht die Türe, weil er erst noch einen Leichtathletik-Wettkampf im Fernsehen zu Ende schauen will. Er begeistert sich für Geher, was seinen Schwager Daniel irritiert: Was solle an einem Sport reizvoll sein, der aussieht wie Rennen, nur langsamer?

Jede Kleinigkeit wird zu einer Monstrosität aufgeblasen

Diesen nimmt aber ohnehin niemand ernst, er ist zum Judentum lediglich konvertiert. Was wolle man von so einem schon erwarten - da sind sich, abgesehen von Daniels Frau Chawah, mal alle einig. Wortführer ist Opa Marek, er hat die gefürchtetste Waffe in diesem familiären Kampf: die Auschwitz-Keule. Weil er als Jugendlicher im Lager war, hat er für Befindlichkeiten aus weniger gravierenden Gründen kein Verständnis. Also für gar keine.

Der Autor Juri Sternburg braucht in seinem Hörspiel 60 Quadratmeter Hass, mit großem Rhythmusgefühl inszeniert von Chehad Abdallah, lediglich eine halbe Stunde, um einen alltäglichen Familienzwist auf nachgerade groteske Weise eskalieren zu lassen. Jede Kleinigkeit wird zu einer Monstrosität aufgeblasen, andere Dinge werden auf bizarre Weise verharmlost. Die Familienmitglieder drehen einander die Worte so lange im Munde um, bis nichts mehr sagbar ist. Am Ende versucht Sarah, ihre Eltern, die Großeltern, die Tante und den Onkel daran zu hindern, einen Wellensittich in einem wassergefüllten Kochtopf zu ertränken.

Das ist zum einen sehr komisch. Zum anderen aber auch tragisch und erschreckend. Weil Sternburg Figuren zeigt, die in einer erbärmlichen inneren Gefangenschaft stecken und daran selbst wenig Schuld tragen.

60 Quadratmeter Hass, DLF Kultur, 12. September, 18.30 Uhr.

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