Filmkritik:Frau im Wahn

Lesezeit: 2 min

Wie irre macht Einsamkeit? Corinna Harfouch als Kommissarin. (Foto: HR)

Im ARD-Thriller "Viel zu nah" spielt Corinna Harfouch eine aus dem Tritt geratene Polizistin, die ihren eigenen Sohn einer Straftat verdächtigt.

Von Claudia Tieschky

Die Frage "Welches Tier gehört zu dir?" ist für die ARD im Moment schnell beantwortet. Der Wolf natürlich! Eine Kreatur, so wild und ungezähmt wie das öffentlich-rechtliche Programm. Beim Jubiläums-Tatort Taxi nach Leipzig beispielsweise hatten die Kommissare Lindholm und Borowski nach Grimm'scher Manier im tiefen dunklen Wald mit Wölfen zu tun, und der Münchner Polizeiruf von Christian Petzold vorigen Herbst hieß direkt "Wölfe", womit das Thema jedenfalls gut beschrieben war. Den neuesten Wolf wolft sich die ARD jetzt im Thriller Viel zu nah, und gemeint ist nicht nur die Nähe zum Wildtier, das sich immer wieder zottelig hüpfend im Wohngebiet zeigt, wenn die von Corinna Harfouch gespielte Kommissarin nach Hause kommt. Diese Caro hat zwar irgendwie keinen erkennbaren Nachnamen, aber dafür etwas, das viel interessanter ist, weil es Kommissare im Fernsehen eigentlich nie haben: Feierabend. Freie Zeit. Leere.

Viel zu nah ist ein Thriller, denn für Caro wird es ganz langsam zur Gewissheit, dass ihr eigener Sohn an brutalen Überfällen beteiligt war. Es ist aber auch ein Film über die Frage: Wie irre macht Einsamkeit?

Kommissarin Caro glaubt, ihr Sohn sei ein Straftäter

Erst einmal ist an ihrer Lage nichts Spektakuläres. Eine Frau in diesem Alter, in dem der Ex-Mann noch mal schnell Vater wird, und sie hat nur die Etagenwohnung und das alte Kind, einen Teenager (Simon Jensen), der Suchtmittel aller Art konsumiert und mit untertassengroßen Pupillen auf dem Balkongeländer balanciert. Corinna Harfouch spielt eine Frau, die scheinbar alles im Griff hat, eher harter Typ. Nur von ihrem großen aufsässigen Kind, von dem will sie unbedingt gemocht werden. Diesem Sohn, der nachts plötzlich mit einer Maske und ihrer entsicherten Dienstpistole vor ihr sitzt, ist sie viel zu nah. Man schaut zu, wie sie ihn beim Lügen deckt, beim Klauen, dann die Datenbank der Polizei manipuliert, um den Verdacht, den vorerst nur sie hat, von ihm abzulenken. (Ab und zu trottet der Wolf durchs Bild.)

Der HR hat etwas Außergewöhnliches versucht. Viel zu nah ist eine Kombination aus Thriller-Spannung mit dem stillen Drama einer aus dem Tritt geratenen Frau. Es heißt oft, Frauen verschwinden leicht in diesem Alter, gemeint ist, aus dem Interessenfeld der Männer, das in großen Teilen auch definiert, was Öffentlichkeit ist. Diese Kommissarin ist keine Verschwinderin, sie bekommt als Polizistin Auszeichnungen, gratuliert ihrem Ex zu dem neuen Kind. Und zugleich zeigt Harfouch eine vollkommen isolierte Person mit Panikattacken, die einem immer durchgeknallter vorkommt. Kann es sein, dass sie sich nur einbildet, ihr Sohn sei ein Täter? Aber nein. Oder doch? (Ab und zu der Wolf im Bild.)

Der Thriller funktioniert hervorragend. Das Psychodrama weniger, trotz Harfouchs großartigem Spiel. Die Figur Caro bleibt blass, viel mehr als Erschöpfung und der Eindruck, da sei jemand auf diffuse Art Opfer, ist nicht angelegt. Sehr peinlich wird es, als Caro sich am Ende nicht nur ihren Gefühlen stellt. Sondern, damit es wirklich jeder versteht, auch der wilden Kreatur im Park. Da wird der Wolf zum Esel.

Viel zu nah , ARD, 20.15 Uhr

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: