Fernsehen:Es war das Herz

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Die "Lindenstraße" hat sich zum 30. Geburtstag eine Live-Folge samt Todesfall geschenkt. Ein großes Fernsehereignis wurde daraus trotzdem nicht. Eher zeigte die Sendung, wie sehr sich die Serie heute nach der Quote reckt.

Von Hans Hoff

Opa ist tot. Nicht der Bluff-Opa von Edeka, sondern der Opa von Popocatepetl, dem Kind von Erich Schillers Tochter in der Lindenstraße, wo Kinder schon mal komisch heißen dürfen. Am Sonntag lag Erich Schiller leblos hinter der Schlafzimmertür, wo ihn seine Angetraute, die ewige Mutter Beimer, fand. Gerade hatte der Verblichene noch einen Aufstand der Hausbewohner angeführt und war seiner Gattin und etlichen Nachbarn mit seiner Vehemenz auf den Keks gegangen, da raffte es ihn dahin. Ausgerechnet in der Folge 1559, mit der das Team 30 Jahre Lindenstraße feierte. "Herzinfarkt" steht auf dem Totenschein.

Früher wäre so eine Live-Folge ein Fernseh-Event gewesen

Für heftiges Herzklopfen in der Fernsehnation wäre solch ein Vorgang wohl in den großen Zeiten der Lindenstraße gut gewesen. Da hätten alle bestürzt geguckt, und aus dem Herausreißen einer zentralen Serienfigur wäre so manche Schlagzeile geformt worden. Aber dieser Tage reicht so ein Serientod allenfalls für ein kurzes Kammerflimmern bei Twitter, wo es die Serienfolge in der Spitze auf 144 Tweets pro Minute brachte. Weil es ein Jubiläum war und die Folge live gespielt wurde, sahen mehr als nur die üblichen 2,5 Millionen Menschen zu. Genau 3,08 Millionen waren es, die zum Geburtstag gratulieren wollten und eine Leiche, übrigens die 47. in 30 Jahren, serviert bekamen. Für ein großes TV-Event spricht so eine Quote aber nicht.

Nun soll es in den kommenden Wochen um die Frage gehen, ob Erich Schiller dem Herzinfarkt doch nicht so friedlich erlegen ist, wie es erst den Anschein hatte. Schließlich keimte am Schluss der Folge der Verdacht, dass jemand den Schiller-Abgang beschleunigt haben könnte. Oder warum gab es an der Innenseite der Schlafzimmertür verdächtige Kratzspuren?

Dass die Lindenstraße jetzt auch mal wieder in Krimi macht, belegt, wie sehr sich die Serie nach der Decke des Populären streckt. Es geht mit jeder Folge ums Überleben, denn Serienerfinder Hans W. Geißendörfer hat dem WDR mehrfach schon deutlich gemacht, dass in seiner Serie nicht weiter zu sparen ist. Das Ableben des Erich Schiller verlief dann trotzdem halbwegs sozialverträglich: Kurz vor der Sendung, machte die Kunde die Runde, dass der WDR mit dem Schiller-Darsteller Bill Mockridge die Familiensitcom Die Mockridges fortführen will. So hat der Opa am Schluss dann doch noch eine Anschlussverwendung gefunden.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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