"Fargo" auf Joyn:Tornado des Scheiterns

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Über die Auftritte von Jessie Buckley als Oraetta Mayflower freut man sich wie früher bei "Magnum" auf Higgins. (Foto: Elizabeth Morris/2020 MGM Television Entertainment Inc. and FX Productions, LLC. All Rights Reserved)

In der vierten Staffel "Fargo" ist vieles anders als bei den Vorgängern. Das wichtigste bleibt: besondere Figuren und bizarre Todesarten.

Von David Pfeifer

Das Ganze wird böse enden, für fast alle, so viel ist gleich klar. Einerseits, weil es eben Fargo ist. Andererseits beginnt die vierte Staffel damit, dass jüdische Gangster von irischen Gangstern fertig gemacht werden, und diese dann wieder von Italienern. Die Mafiosi stehen schließlich Schwarzen gegenüber, im Amerika der 1950er-Jahre. Zu einer Zeit also, als es außer Jazz und Boxen nicht viele Disziplinen gab, in denen man als Schwarzer ein wenig Respekt bekam. Diese Männer haben nichts zu verlieren, das macht sie besonders gefährlich.

Das alles spielt nicht in New York, Chicago oder Miami, wo das organisierte Verbrechen damals reich und mächtig wurde. Nein, diese Gangster töten für Einfluss in Kansas City. Sie sind in einer Gegend hängen geblieben, in der die Landschaft platt ist und die Temperatur niedrig. Es schneit viel, allerdings ohne Berge, also auch ohne die Vorzüge, die man Schnee abgewinnen könnte. Wer in Kansas City bleibt, hat woanders vermutlich keine Chance. Zu doof, zu mutlos, zu ungeschickt. Oder alles zusammen. Das Aufregendste, was die Natur in der Gegend zu bieten hat, sind Tornados, und ein solcher wird auch noch einen wichtigen Auftritt haben, in dieser großen Oper des Scheiterns.

Das Rassismus-Thema macht die Staffel relevanter, aber nicht zum Aufklärungsstück

Die beiden Gangsterbosse haben anderes im Kopf, als ihre jeweiligen Familien zu führen. Der Hauptcharakter Joy Cannon (Chris Rock), Boss der Schwarzen, will seine Geschäfte in die Legalität überführen. Er spricht bei Banken vor, um den weißen Bürgern eine Karte anzudrehen, mit der sie Geld ausgeben können, das sie gar nicht haben, es dabei aber so aussehen lassen können, als hätten sie's. Seine Kreditkarte ­- nur so ein Gedanke ­­- könnte man zur Not aus dem neuartigen Material Plastik herstellen. Leider steigt keine Bank ein, die Welt der 1950er-Jahre scheint noch nicht bereit zu sein für seine Idee.

Jason Schwartzman, der in zu vielen Wes-Anderson-Filmen mitgespielt hat, um noch irgendjemandem Angst machen zu können, spielt den italienischen Boss Josto Fadda. Er beerbt seinen Vater, der im Gegensatz zu vielen Figuren im Paten aber eher durch eine Art Kinderstreich als durch einen Anschlag ums Leben kommt. Die sehr unvermittelten Todesfälle bleiben als Markenzeichen der Serie erhalten, sonst aber entfernt sich die vierte Fargo-Staffel stark von den drei Vorgängern (alle auf Joyn) sowie dem sinn- und namensgebenden Film. Was eine gute Entscheidung ist, denn in der dritten Staffel wurde die Prämisse doch etwas überdehnt.

Jason Schwartzman (r., mit Salvatore Esposito) kann als Josto Fadda eh niemandem mehr Angst machen. (Foto: 2020 MGM Television Entertainment Inc. and FX Productions, LLC. All Rights Reserved)

Die beiden großen Motive des Mafia-Genres - Sehnsucht nach Legalität und Machtkampf mit Bruderzwist - werden durchexerziert, und das unter Teilnahme einzelner, sehr spezieller Charaktere, die alles jederzeit umlenken können. Dass die Serie noch eine zusätzliche Bedeutungsebene liefert, liegt daran, dass die Mitglieder der einen Bande eben eine andere Hautfarbe haben. Denn auch, wenn beide Clans außerhalb des Gesetzes agieren und sich auf eigene Regeln und Loyalitäten einigen, sind doch beide den Gesetzen der Gesellschaft unterworfen. Und ein weißer Gangster, egal ob Ire oder Italiener, hat in "Corporate America" mehr Chancen als ein Schwarzer. Das wird nebenbei erzählt, wenn Joy Cannon die neuen Anzeigetafeln sieht, die für "Diners Club"-Kreditkarten werben. Amerika war reif für seine Idee, aber nicht für seine Hautfarbe.

Dass dieses Thema im vergangenen Jahr große Wucht entwickelt hat, macht die Serie relevanter, aber nicht zu einem Aufklärungsformat, auch wenn Chris Rock in seinem Hauptberuf als Comedian darüber seit Jahren viele bittere und sehr gute Witze gemacht hat.

Die Inszenierung ist ruhig und bildstark, das Blut spritzt diesmal eher in der Ferne

Fargo dient in der vierten Staffel also eher als Marke, unter anderem, um sich auf ein Kabinett absurder Gestalten freuen zu dürfen. Ein korrupter Polizist, mit Ticks, die ihn daran hindern, auch nur einen Raum normal verlassen zu können, geschweige denn an einer Verfolgung teilzunehmen. Ein lesbisches Outlaw-Pärchen, das gnadenloser ist als alle Gangster zusammen. Überhaupt sind die Figuren, die sich weniger dämlich anstellen, vorwiegend Frauen, so gesehen hat die Serie bei aller Liebe zum Absurden durchaus Bezüge zur Realität. Alle Charaktere sind fein erdacht, geschrieben und gespielt, außer vielleicht der italienische Mafioso-Bruder, der es ein wenig übertreibt mit dem Opern-Auftritt und dem Augenrollen. Dafür aber gibt es die Krankenschwester, Oraetta Mayflower, ein Todesengel mit verkniffenem Lächeln (Jessie Buckley). Sie stakst in einer Enerviertheit durch die Gänge, dass alles Getriebene der Figur schon in ihren Schritten angelegt ist. Man freut sich über ihre Auftritte, so wie man sich früher bei Magnum auf Higgins oder in Downton Abbey auf Maggie Smith gefreut hat. Oder eben in der ersten Fargo-Staffel auf Billy Bob Thornton, diesen amüsanten Killer, von dem man auch nie genau wusste, was er im nächsten Moment ausheckt.

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Dass man elf Folgen lang durchgehend gespannt bleibt, liegt auch daran, dass die Figuren sich zwar glaubhaft, aber unerwartet verhalten. Fargo verzichtet dabei auf allzu harten Horror. Auch wenn viel getötet und gefoltert wird, hat man nie den Eindruck, dass die Special-Effects-Abteilung vorher noch im Schlachthof war, damit man echte Knochen knacken und Sehnen reißen sieht. Das Blut spritzt eher in der Ferne. Überhaupt ist all das sehr ruhig und bildstark inszeniert. Ähnlich wie die ersten beiden Teile der Pate-Trilogie, die häufig zitiert werden, bis hin zu den Orangen, die Marlon Brando als Don Corleone in einem kurzen, unbeschwerten Moment genießt und die gleich darauf, als er von Kugeln durchsiebt wird, von ihm wegrollen wie das Glück, das ihn verlassen hat.

So werden auch in der vierten Staffel von Fargo fast alle irgendwann vom Glück verlassen, man muss den Beteiligten beim mehr oder minder originellen Sterben zusehen. In Erinnerung bleiben sie einem dann aber doch noch eine ganze Weile. Aber man wusste ja, dass die Sache böse enden wird.

Fargo, vierte Staffel bei Joyn.

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