Eurovision Song Contest:Roman Lob wird Achter

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Die letzen 21 Stimmländer meinten es deutlich besser mit Roman Lob als die ersten 21. Und so reichte es für den deutschen Vertreter beim Eurovision Song Contest am Ende doch noch zu einem Platz unter den Top Ten. Die Favoritin aus Schweden setzte sich deutlich durch. Der Abend in Baku zum Nachlesen.

Hans Hoff

Eine der russischen Omas ist bereits 86 Jahre alt. (Foto: dpa)

Nach Darbietungen aus Großbritannien, Ungarn, Albanien, Litauen, Bosnien-Herzegowina, Russland und Island: Was dieses komische Medium namens Fernsehen nicht alles zu bieten hat. Da zeigt die Leinwand im Pressezentrum ein Feuerwerk über der Crystal Hall in Baku, und wie ein Mann springen knapp hundert Journalisten auf und stürmen nach draußen, um das Feuerwerk höchstpersönlich in Augenschein zu nehmen. Dort aber merken sie, dass der schöne Schein schon vor einer guten Woche aufgenommen wurde und der Nachthimmel dementsprechend dunkel bleibt. Sehr lustig. Muss man sich Sorgen machen um solche Kollegen?

Ach was. Aber wenn man unbedingt will, kann man sich durchaus ein paar Sorgen machen bei diesem ESC-Finale. Erst schweben da Artisten beim Opening waghalsig durch die Lüfte, dann bekennen die Vorjahressieger Ell & Nikki, dass sie immer noch "Running scared" unterwegs sind, und schließlich macht man sich ein paar Gedanken um Engelbert, der mit seinen 76 Jahren zwar noch sehr rüstig wirkt, als Laufnummer eins in einem 26-Positionen-Feld aber nicht sehr würdig platziert wurde.

Zum Fürchten auch der Schrei, der von Rona Nishliu abgesondert wurde. Die Albanerin hat es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, einen potentiellen Edvard-Munch-Nachfolger zur Malerei zu inspirieren.

Und dann kommt da noch der junge Litauer mit Augenbinde auf die Bühne, was nicht wirklich sinnvoll erscheint, weil bei seinem Lied "Love is blind" Ohrenstöpsel doch viel eher angebracht wären.

Natürlich kommen die Omas aus Russland vorerst am besten an, obwohl das Lied wirklich aus der alleruntersten Stampfkartoffelrhythmus-Schublade kommt. Diese Großmütter rocken jedes Schützenfest, und dementsprechend sind selbst im Pressezentrum ganz kurz Ansätze von Ausgelassenheit zu spüren.

Wer sich wundert, warum die Stimmung in der Halle zwischendrin so verhalten rüberkommt, sollte wissen, dass im Publikum ziemlich viele staatlich besoldete Aufpasser sitzen, die offenbar nicht nur den Auftrag haben, das Publikum im Auge zu behalten, sondern auch angewiesen wurden, sich auf keinen Fall von der Musik mitreißen zu lassen. Vorsorglich hat der Veranstalter auf die Karten drucken lassen, dass es verboten ist, Fähnchen von nicht teilnehmenden Staaten zu schwenken. Gemeint ist natürlich die Staatsflagge Armeniens, mit dem sich Aserbaidschan nach wie vor im Kriegszustand befindet.

Auch im Pressezentrum sind zum Finale erstaunlich viele nicht nach Presse aussehende Aseris aufgelaufen. Einige schwenken verhalten die aserische Flagge, andere sitzen ohne jede Regung an Tischen. Stimmungskanonen feuern irgendwie anders.

Nach Darbietungen aus Zypern, Frankreich, Italien, Estland, Norwegen und Aserbaidschan: In Baku regnet es. Verflogen ist der milde Sommerabend. Es ist kühl geworden draußen. Ähnlich wie die Stimmung in der Halle.

Sabina Babayeva aus Aserbaidschan singt ihr Lied "When the Music dies". (Foto: dapd)

Dort nutzt Zypern sehr clever eine international gültige Musiksprache, die mit wenigen Silben universelles Verständnis fördert. Man muss nur "lalala" und "ohoho" drauf haben, dann geht das mit der Völkerverständigung schon in Ordnung.

Frankreich zeigt, dass der ESC auch als Alternativmeisterschaft im Bodenturnen verstanden werden kann. Viel Bewegung im Körper. Die Musik hinkt da eher etwas hinterher.

Ähnlich geht es bei Italien zu. Eine herausragende Stimme trifft auf ein eher müdes Liedchen. Leider nicht die durchschlagende Mischung.

Beim estnischen Beitrag wird ein Problem deutlich, mit dem auch Roman Lob auf Startposition 20 zu kämpfen hat. Hört man das Lied in einer abgespeckten Version, hat es durchaus das Zeug, Emotionen zu wecken. In einer überorchestrierten Version, verliert sich aber der Reiz im Klanggewitter. So wird das nix mit Ott Leplands "Kuula".

Und dann schwingen die blau-rot-grünen Fahnen. Aserbaidschans Beitrag ist Startnummer 13, und natürlich wird der für den ESC sehr beziehungsreiche Titel "When the Music dies" frenetisch gefeiert. Man will ja etwas aussenden in die Welt.

Wer übrigens jetzt schon ein bisschen genervt ist von all den Reiseprospektbildern, die da zwischen den Liedern laufen, der muss nun ganz tapfer sein, denn: Das hört nicht auf. Wohlgemerkt, es lagen durchaus schöne Einspielfilme vor, die charmant produziert waren. Aber die wollte die hiesige Fernsehaufsicht nicht. Kurz vor dem Start des Wettbewerbs wurde ausgetauscht gegen die Reklameflut. Schließlich soll der ESC Werbung für Aserbaidschan sein. Und genau das ist er auch geworden.

Möglicherweise rechnet sich die Angelegenheit für das ausrichtende Land sogar noch. Hätte man die kalkulierten 100 Millionen Zuschauer in 42 Ländern, die sich nun die 25 Baku- und Aserbaidschan-Filmchen anschauen müssen, mit normalen Werbeanzeigen erreichen wollen, wäre auch ein erkleckliches Sümmchen im dreistelligen Millionenbereich zusammen gekommen.

Nach Darbietungen aus Rumänien, Dänemark, Griechenland, Schweden, Türkei, Spanien und Deutschland: Alanis Morissette ist nicht gut in Form heute. Ach nein, ist ja gar nicht Alanis, sondern der dänische Beitrag, der ein bisschen unentschieden daherkommt. Damit kann sie den vorangegangenen Vortrag von Rumänien nicht wegputzen, wohl aber den folgenden von Griechenland. Viel zu viel "ohohoooh" in "Aphrodisiac". Das klingt so kalkuliert, dass man fast annehmen muss, dass verantwortungsbewusste Griechen genau diesen Beitrag ausgewählt haben, um das Land nicht im nächsten Jahr auch noch mit den Austragungskosten für den ESC zu belasten.

Im Gegensatz zur nervigen aserischen Einspielerwerbung beeindrucken die Bilder aus der Halle nachhaltig. Das liegt natürlich an der exzellenten technischen Ausstattung in der Crystal Halle. Mit 25 HD-Kameras wird diese weltgrößte Fernsehshow in der bestmöglichen Art und Weise festgehalten. Sitzt man in der Halle, sieht man, wie eine Spidercam an Seilen unter der Hallendecke schwebt, wie sich Kameras aus der Decke lösen und sich hinabstürzen aufs Geschehen, wie mehrere Kamerakräne riesige Schwenks vollführen. Dazu sind beinahe pausenlos Windmaschinen im Einsatz. Und die in viele Fragmente zersplitterte LED-Wand liefert das Ihre zum optischen Wow-Erlebnis, das leider fast immer über das musikalische hinausreicht.

Welch tollen Effekt die Windmacher erzeugen können, zeigt sich beim Auftritt der Schwedin Loreen. Die liefert atemberaubende Bewegungen, einen Sound wie David Guetta, und sie wird gefeiert als genau die Favoritin, die sie ist.

Allerdings schließt sich an ihren Auftritt die Präsentation der türkischen Künstler an. Die treiben es ein bisschen sehr doll mit schwulen Klischees der ledernen Art, was aber die Fähnchenfans im Pressezentrum nicht davon abhält, sich zur ersten Polonäse des Abends zu formieren. Nimmt man diese Stimmung zum Maßstab, dann hat man mit dieser komplett überkandidelten Nummer auf jeden Fall einen Titel aus den Top Drei gehört.

Schließlich folgt Roman Lob mit der Startnummer 20. Der Mützenmann weiß, wo die Kamera steht oder hängt, wohin er zu singen hat, damit die Menschen da draußen spüren, was er sagen, was er singen will. Er kann dies leichte Lächeln in sein Gesicht zaubern, dass ihn schnell Sympathien gewinnen lässt. Zur Feier des Tages hat er sogar das sonst wie angewachsen wirkende karierte Hemd weggelassen. Leider überlagert der Bandsound ein wenig seinen schönen Soulschmelz in der Stimme. Ob das was wird mit den Top Ten? Ich wage zu zweifeln.

Nach Darbietungen aus Malta, Mazedonien, Irland, Serbien, Ukraine und Moldawien: Mit Malta folgt mein persönlicher Favorit. Nicht dass ich diesen billigen Diskopop wirklich mögen würde, aber er hat meine Sympathien allein schon deshalb, weil die gestandenen ESC-Journalisten, die seit Jahren und Jahrzehnten dem Ereignis nachreisen, immer so sehr die Nase rümpfen, wenn das Lied läuft.

Mit Mazedonien folgt ein sicherer Kandidat für die letzten drei Plätze. Außer es schieben die Nachbarn ein paar Punkte rüber. Aber dazu gleich mehr.

Die aufgekommene Langeweile gleichen Jedward rasch wieder aus. Die beiden singenden Hüpfbälle aus Irland brauchen weniger Kamerabewegung, weil sie selbst keine Sekunde stillhalten können und sich nicht scheuen, sich am Ende richtig nassmachen zu lassen. Das ist purer ADHS-Pop. Das könnte für einen Platz im vorderen Drittel reichen.

Es folgt noch ein fanfarengeschwängerter Stampfpop aus der Ukraine, der so gar nicht zum Land passen mag. Aber was soll es. Feierwütige mögen so etwas. Und da es dem Ende zugeht, werden vorsichtshalber mal Fähnchen aller Farben geschwenkt.

Moldawien bringt schließlich als Startnummer 26 und damit als letzter Teilnehmer im Wettbewerb alles wieder ins normale ESC-Verhältnis und klingt dabei zuverlässig künstlich und qualitativ unterirdisch.

So sicher wie die Qualität der überwiegenden ESC-Songs unterirdisch ist, so sicher ist übrigens auch der pünktliche Auftritt der Verschwörungstäter. Heute mittag wurde auf einer Aussichtsplattform ein norwegischer Fan vom türkischen Fernsehen interviewt. Es ging um die Chancen Norwegens und um den ESC allgemein. Der Norweger sprach laut, und so hörte man seine Prophezeiung, dass sicherlich der supersentimentale Beitrag aus Serbien gewinnen werde, weil der zugehörige Act eben in den umliegenden Ländern sehr bekannt sei, und weil viele der umliegenden Länder schon ausgeschieden sind. Es ist mal wieder der Tag des ESC-Finales, es ist die Zeit für die Verschwörungstheoretiker.

Längst sind ihre Theorien in den durchschnittlichen Sprachschatz durchschnittlicher Fernsehzuschauer übergegangen, und immer wieder finden sich ein paar Statistiker, die meinen beweisen zu können, dass das mit der Schieberei genau so ist. Da sich meist niemand findet, der sich die Zeit nimmt, dem Blödsinn mit Argumenten den Garaus zu machen, wuchert der Mythos fort. Dass im Prinzip wenig Schlimmes daran ist, wenn sich Nachbarländer gut verstehen und sich gegenseitig Punkte gönnen, dass man es möglicherweise sogar als Akt der Völkerverständigung begreifen könnte, spielt gleichfalls keine Rolle. Die schieben sich doch alle nur die Punkte zu, heißt es. Und Basta.

Verkannt wird dabei, dass der ESC eines ganz sicher nicht ist: Eine Angelegenheit für Bürokraten. Wer von Schiebung spricht, nimmt die Angelegenheit eindeutig zu ernst. Es ist und bleibt ein Schlagerwettbewerb mit mehrheitlich schlechten Liedern. Welches da nun schlecht abschneidet und welches weniger schlecht, ist so wurscht, dass es wurschter kaum geht. Es geht allein darum, dass in der Stunde der Auszählung ein kleines bisschen Spannung aufkommt. Mehr nicht.

Nachdem die Hälfte der Länder abgestimmt hat: Der Drops ist gelutscht. Nachdem 21 Länder abgestimmt haben, steht fest, dass Deutschland im kommenden Jahr nicht den Eurovision Song Contest ausrichten muss. Mit 31 Punkten liegt Roman Lob abgeschlagen im hinteren Feld. Da bleibt wenig bis keine Hoffnung auf einen Platz in den angestrebten Top Ten. Stattdessen wird sich das Rennen wohl zwischen Schweden, Russland und möglicherweise Aserbaidschan entscheiden.

Roman Lob bekam bisher Punkte aus Albanien (2), Österreich (4), Malta (4), Frankreich (7), England (6), Schweiz (4), Slowenien (2), Kroatien (4).

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