Erfolgsmodel: "Vice"-Magazin:Obszön geschlitzte Früchte

Lesezeit: 3 min

Für Hipster und Nerds: Das "Vice"-Magazin hat sich vom Szeneheft zum Medienunternehmen gewandelt. Sein launisches Publikum gefällt der Werbeindustrie.

Fabian Heckenberger

Das Land des Lasters liegt im ersten Stock, zwischen dem Tonstudio Rocket und einer Praxis für Psychotherapie am Rosenthaler Platz, dort, wo Prenzlauer Berg auf Berlin-Mitte trifft. Vice, steht auf dem Klingelschild, übersetzt: Laster. Oder Fehler. Aber Fehler trifft es nicht. Die Leute hier haben vieles richtig gemacht. Zumindest, wenn das Wachstum ihres Unternehmens der Maßstab ist. Vice ist vom schmutzigen Szenemagazin zum Medienunternehmen geworden.

VIce

Teil eines Erfolgskonzepts: Die monatliche Printausgabe, die kostenlos in 26 Ländern in Bars und Boutiquen ausliegt, hat eine Auflage von 1,2 Millionen.

(Foto: Travis Campbell)

Die monatliche Printausgabe, die kostenlos in 26 Ländern in Bars und Boutiquen ausliegt, hat eine Auflage von 1,2 Millionen. Ein Plattenlabel, ein Buchverlag, eine Werbeagentur und eine Produktionsfirma gehören zum Konzern. Freiberufler eingerechnet arbeiten 3000 Menschen weltweit in viceland.com. So heißt die zentrale Internetseite des Unternehmens.

Im Magazin und auf den Homepages stehen Fotostrecken kotzender Frauen neben Bildern bekannter Modefotografen. Es finden sich halbpornographische Stillleben obszön geschlitzter Früchte und preisgekrönte Kriegsfotografien. Die Autoren interviewen Paare, die gerade Sex hatten, und berichten aus dem Abwasserkanalsystem unter Bogotá, in dem kolumbianische Obdachlose wohnen. Jeder findet etwas, das ihn abstößt, fast jeder etwas, das ihn fasziniert. Ein Gesamtkonzept gibt es nicht.

Von allen 30 Standorten weltweit werden die unterschiedlichsten Inhalte geliefert. Aus Italien kommt Modefotografie, aus Deutschland und den USA viel Text und aus Japan völlig Durchgeknalltes. Ideen werden im Chat besprochen, auf Facebook, auch mit den Lesern. Die durchschnittliche Verweildauer auf viceland.com beträgt 23 Minuten. Im Netz ist das eine Ewigkeit.

Fast stündlich verändert sich der Vice-Auftritt, weil über alle Zeitzonen hinweg produziert wird. "Es ist eine 24-stündige Debatte", sagt Benjamin Ruth, "und das alles ganz ohne Firmenstrategie."

Der 36-jährige Herausgeber der deutschen Magazinausgabe sitzt auf einer Couch in der Berliner Redaktion. Er trägt Baseballkappe, knallbunte Turnschuhe und Augenringe wegen des Jetlags. Ruth hat gerade den Unternehmenssitz in New York besucht. Konferenzen, Konzerte, Partys. Es gibt zu tun. Er versucht zu erklären, wie es so weit kommen konnte: Warum CNN jetzt Reportagen von Vice senden will, ebenso wie das ZDF. Ruth spricht davon, dass es keine Grenzen mehr gebe zwischen Print, Online, TV, dass Inhalte hin und her pendeln. Genau wie die Leser, Zuschauer, User von Vice. "Diese Zielgruppe", sagt er, "ist unser großes Potential."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema