Arte:Porträt eines Unerreichbaren

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Seltene Nahaufnahme: Kirill Serebrennikov, lange in Hausarrest. (Foto: Ira Polyarnaya)

Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov stand fast zwei Jahre lang unter Hausarrest, ihm wird vorgeworfen, staatliche Gelder veruntreut zu haben. Ein filmisches Porträt.

Von Ekaterina Kel

Wie nähert man sich einem Menschen, der unerreichbar ist? Die Dokumentarfilmerin Katja Fedulova wagt einen Versuch und entwirft ein filmisches Porträt von Kirill Serebrennikov. Der russische Regisseur stand fast zwei Jahre lang unter Hausarrest, ihm wird vorgeworfen, staatliche Gelder veruntreut zu haben, was er zurückweist. In dieser Zeit richtete Fedulova die Kamera auf den von der Öffentlichkeit weggesperrten Mann. Herausgekommen ist eine detaillierte Rekonstruktion seiner künstlerischen Karriere mit einer guten Portion Bewunderung. Der Film wird am Mittwoch bei Arte zum ersten Mal im Fernsehen zu sehen sein.

Fedulova bedient sich früherer Aufnahmen des Künstlers, einiger Zitate, die sie von einem Sprecher vorlesen lässt, und füllt den Rest auf mit Ausschnitten aus Serebrennikovs Filmen, Performances, Balletten, Opern - allein der Umfang seiner Arbeit macht deutlich, was für eine künstlerische Energie in diesem Mann steckt. Zusätzlich setzt Fedulova verschiedene Akteure aus der Theaterszene vor die Kamera, die dem Zuschauer auf zugängliche Weise erklären, warum Serebrennikov ein Ausnahmekünstler ist. Da ist die Theaterkritikerin, die seine Karriere von Anfang an verfolgt hat. Da ist der Festivaldirektor aus Avignon, der seine Arbeiten zwei Jahre hintereinander eingeladen hat. Da ist die Schauspielerin, die von ihren Erfahrungen unter Serebrennikovs experimenteller Regie erzählt. Zusätzlich kontextualisiert Fedulova seinen Werdegang mit Russlands Kulturpolitik, die seit 2012 immer konservativer geworden ist. Wer in all diesen Szenen nicht auftaucht - ist Serebrennikov. Seine Kunst bekommt man von allen Seiten erklärt. An sein Wesen kommt deshalb aber noch keiner heran. Die Dokumentation ist wie ein Porträt ohne Antlitz. Und das ist Schwäche des Films und zugleich seine Stärke.

Ein Beispiel: Die Kamera lehnt schräg an einer Garage, man schaut mit ihr nach oben, auf ein Backsteinhaus mit quadratischen Fenstern. Auf einem Balkon sitzt ein Mann, er wippt auf einem Stuhl und raucht, ein Knie ist angewinkelt. Das Bild dauert nur einige Sekunden. Aber es ist eine der eindrucksvollsten Szenen im Film. Der Mann ist nichts weiter als ein dunkler Schatten, eine Silhouette im abendlichen Blau.

Aber in diesem Moment fühlt man sich Serebennikov so nah. Wie muss es sich anfühlen, Hunderte Tage lang in seiner Bude zu sitzen, ohne Telefon, ohne Besuch? Fedulova bietet in diesem Moment eine stille Kapitulation der Kamera an, sie gesteht damit die Schwäche ein, ein leeres Porträt zeichnen zu wollen, und formuliert gleichzeitig die Einsicht, dass es um jeden Preis geschehen muss. Serebrennikov darf nicht weggesperrt werden, lautet die Botschaft. Und dass er nicht vergessen werden darf.

Den Weggesperrten selbst packt ebenfalls die Arbeitswut. Statt zu versauern, inszeniert er weiter, in Russland und auch in Hamburg und in Zürich kommen Inszenierungen von ihm auf die Bühne, ohne dass der Regisseur selbst je dort gewesen ist. Sein Anwalt transportiert vollgeschriebene Regiebücher mit minutiösen Anweisungen und Videobotschaften. Ein Assistent arbeitet entlang der Bücher mit den Darstellern vor Ort. Frühere Arbeiten von ihm werden reihenweise prämiert, erste Preise und Orden für seinen Film "Leto", für sein Ballett "Nurejew", für weitere Theaterarbeiten am Gogol-Center. Es ist, als ob er gar nicht weg wäre. So trotzt er seinen Feinden.

Für all jene, die sich ausführlich mit dem Schicksal eines russischen Künstlers beschäftigen wollen, der zwischen die Räder gekommen ist, ist der Film eine hervorragende Einführung, inklusive Exkurs in die Ästhetik zeitgenössischen Theaters. Diejenigen, die sich davon erhoffen, einen genauen Blick auf die Person Kirill Serebrennikov zu bekommen, sind mit einer Reise nach Moskau besser beraten - der Regisseur ist im April dieses Jahres aus dem Hausarrest entlassen worden.

Kirill Serebrennikov, Kunst und Macht in Russland , Arte, Mittwoch, 22.10 Uhr, bis 19. November in der Mediathek.

© SZ vom 21.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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