ARD-Politmagazin "Panorama" wird 50:So schön dramatisch

Durch das Magazin "Panorama" hat das Fernsehen vor 50 Jahren politische Bedeutung erhalten. Politiker fürchteten die Sendung und kamen doch nicht an ihr vorbei. Heute flüchten sie in Talkshows, wo man netter zu ihnen ist.

Claudia Tieschky

Kritisches Fernsehen ist Gebrauchskunst der Demokratie. Es kann Mächtige zu Fall bringen, aber es ist ein flüchtiges, unromantisches Gewerbe. Wenn TV-Journalisten abgetreten sind, bleiben ihre Namen selten im kollektiven Gedächtnis - falls nicht das amerikanische Kino ihnen Denkmäler setzt - Edward R. Murrow in Good Night, and Good Luck. Oder David Frosts Interview mit Richard Nixon 1977 (Frost/Nixon). Im deutschen Fernsehen gäbe es auch so einen Stoff. Ein Film über die frühen Jahre von Panorama wäre ganz großes Drama und zugleich ein Lehrstück über die Selbstfindung der jungen Bundesrepublik.

Panorama

Früher war alles besser? Auf jeden Fall war es klarer geordnet - in links und rechts. Das NDR-Magazin Panorama - hier Redaktionsleiter Peter Merseburger, 1967 - war für Gegner und Gescholtene schlicht der "Rotfunk".

(Foto: NDR)

Die NDR-Sendung nach dem Vorbild des gleichnamigen BBC-Magazins lief zum ersten Mal am 4.Juni 1961, und 50 Jahre sind ein unvorstellbar langer Zeitraum im Fernsehen, wo manche Neuheit heute nicht mal einen Monat überdauert. Die Politmagazine, zu denen Panorama zählt, dienten mit ihren weltanschaulich unterschiedlich gelagerten Redaktionen allerdings einem sensiblen Gleichgewicht. Sie waren ein probates Mittel, um alle Politiker aus den Rundfunkräten irgendwie zu befrieden. Im Kalten Krieg galt Panorama seinen Gegner als "linker Rotfunk", während etwa Report München vom BR den konservativen Kurs fuhr (und Gerhard Löwenthal im ZDF-Magazin Willy Brandts Ostpolitik geißelte). Man kann sich das gar nicht mehr vorstellen, ein Land voller Wutbürger.

Heute gibt es sechs ARD-Politmagazine, die im Wochenwechsel senden. Neben Panorama sind das Monitor (WDR), Report Mainz (SWR), Report München (BR), Fakt (MDR) und Kontraste (RBB). Darunter sind starke Marken, aber der Umgang der ARD damit ist eher lieblos, man kürzte sie von 45 auf 30 Minuten, verschiebt sie locker für Unterhaltung. Die Zeit der großen gesellschaftlichen Debatten schien ja bis vor kurzem auch vorbei. Stark war Panorama in der ARD zuletzt vor allem mit Filmen der NDR-Tochtermarke Panorama - Die Reporter über den Textildiscounter Kik sowie über Carsten Maschmeyer, den Gründer des Finanzdienstleisters AWD (Der Drückerkönig und die Politik). Journalist Christoph Maria Fröhder, 68, schrieb zum Panorama-Geburtstag in der Zeitschrift Message eine Abrechnung; Fröhder fand auch noch einen echten Fan des Politmagazins: Kalle, 93, aus einem Seniorenheim im Frankfurter Westend.

Politiker ergreifen die Flucht

Jüngere Menschen, sofern sie überhaupt noch mit TV aufgewachsen sind, werden mit Panorama vor allem eine Szene verbinden, den Klassiker: Panorama konfrontiert einen Politiker unvermittelt und vor laufender Kamera mit einer heiklen Frage. Es gibt unzählige Filmschnipsel, in denen Volksvertreter da vor den Reportern wegrennen.

Zauberhaft immer noch der Dialog zwischen Stephan Stuchlik ("Guten Tag, Stuchlik, Panorama, eine Frage: Wofür haben Sie die Gelder von Herrn Kirch bekommen") und Helmut Kohl ("Damit ich Ihr Gesicht betrachte und das reicht mir"). Das alles ist lustig und passt sogar zum Youtube-Zeitalter.

Aber vielleicht ist es auch so, dass die ganz große Zeit von Panorama endete, als Politiker die Sendung nicht mehr mit aller Macht attackierten, sondern vor ihr die Flucht ergriffen. In den Talkshows, mit denen die ARD ihr Publikum demnächst fünfmal pro Woche verwöhnt, ist man netter zu ihnen. Aber wie nett darf Journalismus sein?

In den frühen Jahren jedenfalls wurden in der Hamburger Panorama-Redaktion wie kaum sonstwo die Spielräume des Fernsehens in der Bonner Demokratie abgesteckt - und gegen massive Eingriffsversuche der Politik verteidigt. Es ging nicht um Nettigkeiten. Ernste Männer moderierten jazzunterlegte Beiträge an. Mit einer legendären Sendung 1962 zur Spiegel-Affäre nahm Panorama dem Verteidigungsminister Franz Josef Strauß die Deutungshoheit über die Durchsuchung beim Hamburger Nachrichtenmagazin aus der Hand. CSU-Mann Strauß - der mit Panorama eine innige Feindschaft pflegte ("Es steht ein Unstern über dieser Sendung") - Strauß und Konrad Adenauer sprachen von Landesverrat. Panorama sprach von Pressefreiheit.

Unter Redaktionsleitern wie Paczensky, Rüdiger Proske, Joachim Fest oder Peter Merseburger maß sich die Relevanz der Sendung in Wahrheit an der Presse - von der die ersten Panorama-Chefs ja auch kamen. An Spiegel, Stern, Zeit. In gewisser Weise war Panorama in den berühmten Jahren, obwohl Rundfunk, eher ein Holzmedium; es hat überhaupt erst dazu beigetragen, dass man dem Fernsehen ähnliche politische Bedeutung zutraute wie der gedruckten Presse. Später verschaffte Panorama der Hausbesetzer-Szene Beachtung und den Protesten gegen das Atomkraftwerk Brokdorf. Zum Eklat kam es 1974 über eine Abtreibung vor laufender Kamera. Der Beitrag von Alice Schwarzer durfte auf Beschluss der Intendanten nicht gesendet werden, die Redaktion boykottierte die Sendung. Panorama-Redakteur Stefan Aust spürte das NS-Todesurteil auf, das Hans Karl Filbinger angeblich nie unterzeichnet hatte, bald darauf trat Filbinger als CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurück.

Früher war alles besser

"Politik war auch so schön dramatisch", sagt Peter Merseburger, der Panorama von 1967 bis 1975 leitete, in dem Film, den der Regisseur Raymond Ley nun über die Sendung gemacht hat. Man merkt, wie Merseburger dieser Zeit hinterhertrauert. "Die Stärke des Magazins in den Anfangsjahren war sicher nicht, Meinung und Information voneinander zu trennen. Im Gegenteil", schreibt Anja Reschke, die Panorama heute moderiert, in ihrem zum Jubiläum erschienenen Buch Die Unbequemen. Man wusste um die Kraft des Tabubruchs. 1977 kündigte Gerhard Stoltenberg, CDU, damals Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, wegen Panorama sogar den NDR-Staatsvertrag. Die Sendung blieb.

Früher war alles besser, natürlich. Der langgediente ARD-Mann Fröhder, ein Zeitzeuge, beklagt eine "neue, glatte Generation von Führungskräften" im Senderverbund, der der Friede mit der Politik wichtiger sei als die brisante Enthüllung. Panorama-Chef Stephan Wels bekennt im Film von Ley: Panorama müsse "die dritte Differenzierung" auch mal bleiben lassen können. Fernsehen sei "per se ein relativ grobschlächtiges" Medium. "Jeder, der etwas anderes sagt, dem trau ich nicht wirklich", sagt Wels. Er baut seit einiger Zeit die Marke auf seine Weise aus. Neben Panorama - Die Reporter folgt nun der Versuch von Panorama Nord im NDR-Fernsehen. Die ARD hat zudem für August, wenn die Talksendungen pausieren, vier außerplanmäßige Sendeplätze für Monitor, Panorama und Report Mainz um 21.45 Uhr zugesagt. Bei der Entscheidung dürfte die Aufmerksamkeit eine Rolle spielen, die der Fall Maschmeyer auf sich zog - der AWD-Gründer und der NDR streiten weiter vor Gericht.

Im Film gibt es diese Szene, in der Reporter Christoph Lütgert seine Empörung über Maschmeyer in die Kamera spricht: "Das ist ein Zynismus...." Lange und ernst schüttelt er den markanten Kopf. Nach der Sendung sagten natürlich alle: Gott, Lütgert, wie eitel. Aber jetzt sieht man auch im ZDF wieder öfter Reporter vor der Kamera. Was Lütgert abzog, war ganz alte Panorama-Schule. Zieht noch.

Panorama, ARD, Donnerstag, 22 Uhr; Unbequem und unbestechlich, 50 Jahre Panorama, NDR, Donnerstag, 23.15 Uhr.

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