ARD-Film:Böser Blick

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Der Regisseur Dominik Graf interpretiert in "Am Abend aller Tage" den Fall Cornelius Gurlitt.

Von David Denk

Im Februar 2012 verschafften sich Zollfahnder und Beamte der Augsburger Staatsanwaltschaft Zutritt zur Münchner Wohnung des Kunsterben Cornelius Gurlitt und beendeten mit einem Schlag dessen zurückgezogenes Leben inmitten von mehr als tausend Kunstwerken von Chagall, Beckmann, Picasso, Matisse. Für die Öffentlichkeit war der Fund eine Sensation, für Gurlitt eine Katastrophe. Er hatte "Die Liebe seines Lebens" (so hieß die große Spiegel-Geschichte über ihn) verloren - und sollte sich davon nicht wieder erholen: Gut zwei Jahre nach der Wohnungsdurchsuchung und Beschlagnahmung seiner Schätze starb Gurlitt an den Folgen einer schweren Herzerkrankung.

Der Regisseur Dominik Graf hat nun einen Film gemacht, zu dem er und Drehbuchautor Markus Busch sich sowohl von der Henry-James-Novelle "Die Aspern-Schriften" als auch vom Fall Gurlitt inspirieren ließen. "Ich habe doch nur mit meinen Bildern leben wollen", zitiert Graf im Presseheft Cornelius Gurlitt und lässt keinen Zweifel daran, dass die fiktionalisierte Figur in seinem Film für ihn "kein wunderlicher Kauz" ist, sondern ein Beschützer vor der "täglichen Herabwürdigung" von Kunst. "Bilder gehören niemandem. Sie gehören nur sich selbst", sagt die Filmfigur Magnus Dutt (Ernst Jacobi). Und: "Wenn sie achtlos betrachtet werden, verlieren sie an Wert. Das hat nichts mit ihrem finanziellen Wert zu tun. Sie verlieren ihre Sprache. Ich spreche mit ihnen."

Philipp (Friedrich Mücke) will Alma (Victoria Sordo) zunächst benutzen - dann verfällt er ihr. (Foto: mementoFilm Berlin GmbH/Hendrik Heiden)

Dem oberflächlichen Blick entzieht Dutt die vom Vater in seine Obhut übergebenen Kunstwerke (mit "Raubkunst" hat das für ihn nichts zu tun), indem er sie im Keller lagert, ja versteckt, teilweise mit dem Motiv zur Wand, "bis vielleicht ein anderes Zeitalter anbricht", wie Graf sagt. Eines, in dem Bilder die Betrachter bekommen, die sie verdienen.

Der Film stellt die Sicht der Masse auf die Kunst infrage - und der Regisseur meint auch sich selbst

Als Repräsentanten des Marktes, von Kunst als Ware und damit als natürliche Gegenspieler Dutts fungiert im Film eine Clique namenloser Geldmenschen aus den Banktürmen Frankfurts, die den ebenso selbstbewussten wie skrupellosen Kunstsachverständigen Philipp Keyser (Friedrich Mücke) losschickt, um ein im Besitz von Dutt vermutetes Gemälde des (fiktiven) deutschen Expressionisten Ludwig Glaeden aufzuspüren und anzukaufen. Die obsessive Suche ist es, die ihn mit der Hauptfigur in den "Aspern-Schriften" verbindet. "Es klebt Leid daran", wird ihm gesagt, "und es soll wieder dahin, wo es hingehört." Das sei eine "Frage der Gerechtigkeit". Doch die Motive seiner Auftraggeber bleiben undurchsichtig. Zumindest für Dutt ist klar: "Die wollen mich treffen, mich ausschalten, den Bildern ihren Beschützer nehmen."

Eine zweite Ebene von Liebe, Leidenschaft und Hingabe bringt Dutts idealistische Großnichte Alma (Victoria Sordo) ins Spiel. Alma ist selbst Künstlerin, die Keyser, ein unwirklich begnadeter Frauenheld, zunächst benutzt, um sich ihrem öffentlichkeitsscheuen Onkel zu nähern, der er aber zunehmend verfällt. Er, dem Zwischenmenschliches schnell zu "klebrig" wird, sagt: "Ich liebe dich." Ihre Antwort: "Das stimmt doch nicht."

Am Abend aller Tage ist ein vielschichtiger, zu Interpretationen einladender, aber - typisch für Graf - keineswegs gefälliger (und auch nicht uneitler) Film. Im Presseheft geißelt Graf "die große Gleichmacherei", die den "Blick der Massen auf Kunst zum allein geltenden Maßstab gemacht" habe. "Was die Massen langweilt, was sie nicht schön finden, was sie nicht verstehen, woran sie vorbeigehen, das verliert in den Augen der Öffentlichkeit an Wert." Man braucht nicht viel Fantasie, um diese Aussage auf Grafs Filme in Abgrenzung zur deutschen TV-Konfektion zu beziehen. Klar ist: Das Fernsehen hierzulande könnte mehr solche Filme mit Anspruch gebrauchen - so wenig um Zugänglichkeit bemüht wie Am Abend aller Tage sollten sie aber vielleicht auch nicht alle sein.

Vieles bleibt rätselhaft in diesem Film (und nicht nur auf die gute Art). Wer auf psychologische Schlüssigkeit Wert legt und auf einen Spannungsbogen, findet in Graf jedenfalls keinen Verbündeten. Merkwürdig unbeteiligt, mit Sprüngen, Auslassungen und - ja, was ist das? Visionen? - blickt die Kamera (Martin Farkas) auf das Geschehen, fängt Momentaufnahmen ein, viel Licht und Schatten, oft mehr Schatten als Licht, wie in der Malerei. Am Ende brennt ein Bild, und zwei Liebende halten sich in den Armen, so fest umklammert, als könnten sie doch tatsächlich ineinander Halt finden.

Am Abend aller Tage, ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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