ARD:Der tiefe Graben

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Das Erste zeigte am Mittwoch einen ganzen Themenabend zur "Lügenpresse" und machte deutlich, warum so etwas wahrscheinlich immer scheitern muss.

Von Ralf Wiegand

Vielleicht sind Medien einfach nur der falsche Ort, um über die gefühlte oder tatsächliche Glaubwürdigkeitskrise von Medien zu verhandeln. Denn nicht einmal das, lehrte die Sendung Maischberger im Ersten am Mittwoch mal wieder, ist bisher ja sicher: ob es einen messbaren Verlust an Vertrauen in den gesendeten, gedruckten oder sonst irgendwie ausgespielten Journalismus überhaupt gibt. Der Medienwissenschaftler Gerhard Vowe jedenfalls behauptete in der Talk-Runde, die Skepsis gegenüber Medien sei gesund und nicht größer als eh und je. Im Internet wurde er dafür als bezahlter Auftragsredner im Sinne des zwangsgebührenfinanzierten Staatsfunks verhöhnt. Willkommen im Thema.

Wer das Geld nicht nimmt, steht da wie ein doofer Gutmensch

Es war ein sehr schmerzhafter Abend in der ARD nicht nur für all jene, die Journalismus selbst betreiben, sondern auch für diejenigen, die an ihn glauben. Die soll es tatsächlich noch geben. Vielleicht sind es ein paar weniger geworden, denn ins Thema eingeführt hatte das Erste mit dem Spielfilm Die vierte Gewalt. Der rechnet, getarnt als Thriller, auf beinahe propagandistische Weise mit dem ganzen Politiker- und Journalistengesocks in Berlin ab und könnte fortan auf jedem AfD-Parteitag in Dauerschleife laufen. System-Eliten und Lügenpresse, ganz fein inszeniert. In der verkommenen Welt dieses Films, der in realen Hauptstadtkulissen Echtheit suggeriert, schläft jede mit jedem, ist jeder erpressbar, werden alle auf ihren Preis taxiert. Macht und Meinung sind Ware, und wer das Geld aus moralischen Gründen nicht nimmt, steht am Ende da wie ein komischer Vogel. Heutzutage könnte man auch sagen: wie ein doofer Gutmensch.

Das also war die Vorspeise zur Maischberger-Diskussion über den "Vorwurf Lügenpresse - Kann man den Journalisten noch trauen?" Eingeladen waren neben Wissenschaftler Vowe noch ARD-Legende Ulrich Wickert, der Publizist Sascha Lobo, die ehemalige Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld und der Berliner Bürger Joachim Radke, AfD-Wähler, Pegida-Demonstrant, Busfahrer. Die Front verlief zwischen Lengsfeld und Radke auf der einen und Lobo auf der anderen Seite. Die einen sagten, was man jetzt halt so sagen dürfen muss, schilderten also ihren Eindruck von der "gleichgeschalteten" und "gesteuerten" Presse, amerikafreundlich und russlandfeindlich. Der andere, Lobo, ließ sich leicht reizen und stand plötzlich gegenüber dem ostdeutsch sozialisierten Herrn Radke da wie der gute, alte Besserwessi, Zeigefinger hoch in der Luft. Wickert gab den warmherzigen Versöhnungsonkel, Professor Vowe streute Fakten ein, und Sandra Maischberger rührte den Brei um.

Und was hat's gebracht? Die quälende Diskussion und die Begleitmusik dazu im Internet, in ungezählten Kommentaren auf Twitter und Facebook im Sekundentakt, hat zwar ein weiteres Mal die Tiefe und Breite des Grabens vermessen, der sich durch die Gesellschaft zieht. Zugeschüttet aber wurde er keinen Millimeter. Lengsfeld beklagte die Nachsicht gegenüber linken Chaoten, wenn es um die Übergriffe von Rechten ging; Radke sagte, der Galgen auf der Pegida-Demo, an dem Merkel und Gabriel aufgeknüpft werden sollten, sei viel kleiner gewesen, als er im Fernsehen aussah; und Sascha Lobo fragte, ob Radke eigentlich wisse, was Gleichschaltung bedeute: "Und wer schaltet die Medien gleich?" Radke: "Wenn ich das wüsste."

Wie gesagt, vielleicht sind Medien auch der falsche Ort für die Glaubwürdigkeitsdebatte. Friedensverhandlungen finden ja auch selten auf dem Schlachtfeld statt. Was sollte bei einer von Journalisten vorbereiteten, von einer Journalistin geleiteten, mit Journalisten besetzten Sendung eigentlich für eine allgemein glaubwürdige Antwort herauskommen auf die Frage, ob man Journalisten noch vertrauen kann? Ja? Lustig. Nein? Noch lustiger. Gar nichts? So war's bei Maischberger.

Daher wirkte die Show wie der verstörende Versuch einer Annäherung an das angeblich unerhörte Sammelbecken der Unzufriedenen, übervorsichtig noch dazu. Immerhin pflegt die ARD hervorragende journalistische Formate wie Panorama, glänzt durch die unerreicht versachlichte Hauptnachrichtensendung Tagesschau, lebt von mutigen Journalisten wie Anja Reschke oder Hajo Seppelt. Die ständige Auseinandersetzung mit dem Fliegenklatschen-Wort "Lügenpresse" wirkt bisweilen so, als würde in einer gut geführten Metzgerei am Wursttresen ein Video über Gammelfleisch laufen: Kann man diesem Bierschinken noch vertrauen?

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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