"Apotheken Umschau" und Presserat:Was ist das für ein Heft?

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Von Apotheken gekauft, will die "Apotheken Umschau" trotzdem unabhängigen Journalismus bieten. (Foto: Jürgen Ritter/Imago)

Eine Beschwerde über die "Apotheken Umschau" wirft die Frage auf, ob der Presserat zuständig ist - und ob es sich womöglich um Journalismus handelt.

Von Lena Reuters

In Deutschlands Apotheken liegen zweimal im Monat jeweils 7,63 Millionen Exemplare der Apotheken Umschau aus, kostenlos. Zu lesen ist über die "Blockbuster-Themen der Gesundheit", sagt Chefredakteur Dr. Dennis Ballwieser. In der aktuellen Ausgabe geht es um Schlafstörungen, Neurodermitis, Wartezeiten bei der Psychotherapie, Tinnitus, weiße Zähne und Bauchfett.

Die Apotheken Umschau ist damit in diesem Jahr Deutschlands auflagenstärkste Zeitschrift. Ob sie aber jemals in den vergangenen beiden Jahrzehnten vom Presserat, der freiwilligen Selbstkontrolle der Branche, kontrolliert wurde, ist fraglich. Sollte sie?

Wie der Deutschlandfunk berichtete, hatte ein Hörer beim Presserat eine Beschwerde gegen einen Beitrag der Apotheken Umschau eingereicht. Er erhielt die Antwort, der Presserat sei nicht zuständig. Dabei ist er das sehr wohl - und zwar seit fast zwanzig Jahren. Der Presserat ist für journalistisch-redaktionelle Inhalte von Printmedien und neuerdings auch für Online-Medien zuständig, wenn diese sich bei ihm verpflichtet haben.

Sicher ist: Der Wort & Bild Verlag, der die Apotheken Umschau herausgibt, unterzeichnete 2002 eine freiwillige Selbstverpflichtung. Wer sich zu den 16 Ziffern des Pressekodex' bekennt, erklärt zum Beispiel, die Achtung der Menschenwürde, die Unschuldsvermutung, Opferschutz oder auch Trennung von Werbung und Redaktion zu wahren. Bei Beschwerden werden Artikel auf die Einhaltung der Grundsätze geprüft, auf die sich die Medien verpflichten. Rügen durch den Rat müssen publiziert werden. Jede Person kann sich beim Presserat über Zeitungen, Zeitschriften und über journalistisch-redaktionelle Beiträge aus dem Internet beschweren.

Offen bleibt, wie lange sich der Presserat nicht für die "Apotheken Umschau" zuständig gefühlt hat

Im Fall der Apotheken Umschau entstand allerdings Verwirrung. Der Presserat bestritt zunächst die Zuständigkeit. Es herrschte die Auffassung, das bestätigte der Presserat auf Anfrage, die Zeitschrift müsse nicht auf presseethische Grundsätze geprüft werden, da sie kostenlos an Kunden abgegeben werde. Kein richtiger Journalismus also? Chefredakteur Ballwieser widerspricht. Wer die Zeitschrift in der Hand halte, erkenne, dass es sich um unabhängigen Journalismus handele, teilt er der SZ mit.

Mittlerweile ruderte der Presserat zurück. Bei der Umschau bezahlen Apotheker für die Publikation, ohne aber Einfluss auf Inhalte nehmen zu können, sagen Chefredakteur Ballwieser und auch der Presserat. "Dieser Umstand hat in der Auskunft offenbar keine Berücksichtigung gefunden", erklärt Presserats-Geschäftsführer Roman Portack. Beschwerden gegen die Zeitschrift würden nun doch überprüft. Offen bleibt, wie lange die Zuständigkeit für die Apotheken Umschau beim Presserat in Vergessenheit geraten war, also wie viele Beschwerden seit 2002 gar nicht geprüft wurden.

Da Beschwerden erst seit 2018 digital erfasst würden, könne man zu den Jahren zuvor keine Aussagen treffen, schreibt Portack auf Nachfrage. Seit 2018 habe es nur diese eine Beschwerde gegeben, durch die der Fall nun aufkam. Chefredakteur Ballwieser wiederum sagt auch nur: "Ich habe von niemandem bei uns gehört, dass in den vergangenen zwanzig Jahren jemals der Presserat auf die Apotheken Umschau zugekommen ist." Es klingt auf beiden Seiten nicht danach, dass die Frage aufgeklärt wird.

"Der Presserat ist etwa so angriffslustig wie ein Goldfisch und so agil wie eine Riesenschildkröte", schrieb Medienjournalist Stefan Niggemeier, der die Webseite Übermedien betreibt, 2006 zum fünfzigsten Jubiläum der Prüfinstanz. Dennoch unterzeichnete er gerade erst die Selbstverpflichtungserklärung und schloss sich der freiwilligen Selbstkontrolle an. Als Online-Publikation unterliegt Übermedien seit Kurzem grundsätzlich der Aufsicht der Landesmedienanstalten, außer ein Medium begibt sich unter die Aufsicht von Selbstkontrollorganen.

Offenbar fiel nicht auf, dass der größte Produzent von Berichten über medizinische Themen in ein schwarzes Loch gefallen war

Der Rat ist ein eingetragener Verein, ihm gehören zwei Verleger- und zwei Journalistenorganisationen an. Aufgabe ist es, für Verantwortung im Journalismus einzutreten und gleichzeitig die Pressefreiheit zu wahren. Längst nicht alle Publikationen, die es könnten, sind dabei. Die Bauer Media Group, die für ihre Klatsch-, TV- und Automagazine bekannt ist, entschied sich dagegen. Übermedien dafür, denn, so eines der Argumente: Das Verfahren des Presserats sei "halbwegs transparent", erklärt Übermedien in eigener Sache, die Sanktionierung durch Landesmedienanstalten findet man dagegen "bisher einigermaßen undurchsichtig".

Man könnet auch sagen: Der Presserat ist eine Autorität, die auch für Ethos, Unabhängigkeit und das Selbstverständnis der deutschen Presse steht. Der Umgang mit der Apotheken Umschau wirft gerade darum massive Fragen auf.

Die Apotheken Umschau bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Leserinnen, Werbern und Apothekeninhabern. Finanziert wird sie durch Apotheken, etwa 50 Cent sollen die Inhaber pro Ausgabe zahlen. Ein Anzeigenmagazin, das von Apotheken gekauft wird und den Lesern trotzdem unabhängigen Journalismus bieten möchte? Für redaktionelle Entscheidungen, sagt Ballwieser, seien einzig die Leserinnen und Leser relevant. Auf der Webseite ist derzeit vom Rekordumsatz der Apotheken durch Maskenverkäufe nichts zu lesen, stattdessen wird berichtet, wie die Bundesvereinigung der Apothekerverbände die Maskenpreise erklärt.

Für Medizinthemen hält der Pressekodex in Ziffer 14 besondere Richtlinien fest: "Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte." Dennoch fiel offenbar nicht auf, dass der größte Produzent von Berichten über medizinische Themen, die Apotheken Umschau, beim Rat in ein schwarzes Loch gefallen war.

Die Gremien des Presserats werden sich im September nun auch mit der Frage beschäftigen, ob die Unterscheidung zwischen "kostenlos und kostenpflichtig" noch als Kriterium für die Zuständigkeit geeignet ist. Schon vor dem aktuellen Fall fiel offenbar auf, dass die Definition "mit Blick auf die Praxis im Internet" womöglich nicht mehr funktioniert.

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