Anreißertexte in Zeiten der Paywall:Das Ende des klassischen Teasers

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Hinter der Bezahlschranke geht es weiter: Das ist die Zukunft, wie sie sich die Verlage wünschen. Wie stark darf verkürzt werden, um den Leser zu locken? (Foto: Jakub Jirsak; Jirsak / iStockphoto.com)

Werden Online-Medien mit Bezahlschranken künftig dazu verpflichtet, in ihren Anreißertexten objektiver zu informieren? Ein Gericht soll das nun klären.

Von Niklas Hofmann

Anreißen, das geht bei Bild.de zum Beispiel so: "Es gibt viele Dinge, die Frauen bei ihren Männern tolerieren. Merkwürdige Ex-Freundinnen, schräge Auftritte und sogar die Adoption durch einen Adeligen. Aber ein Einzug in den VUP-Container ist ein klarer Trennungsgrund. Kat Boë erzählt Bild, warum sie sich jetzt aus dem Staub macht und was Mario-Max' Mutter mit der Trennung zu tun hat." Dann folgt das Banner: "Weiter mit Bild Plus." Wer mehr wissen will, muss zahlen.

Seit vorigem Jahr brechen bei Bild.de Artikel über "Exklusiv-Inhalte" nach solch kurzen Teasertexten ab. Nur wer für das Pay-Angebot Bild Plus zahlt, erfährt dann, was nach "Schweinis" Ansicht wirklich hinter seiner Verletzung steckt, warum "Malediven-Mutter" Tanja S. (36) nach 145 Tagen ohne Reisepass nun doch noch nach Hause durfte und wieso Ricardo (26) zum "Sex-Versager vom Ballermann" wurde.

Der Anreißer als presserechtliches Problem

In der Natur der Bezahlschranke liegt dabei, dass der Anreißer auf den eigentlichen Artikel neugierig machen und nicht alles verraten soll. Aus diesem Prinzip, das auch ein Geschäftsmodell ist, könnte nun ein presserechtliches Problem entstehen.

Ob es wirklich so kommt, wird bald das Landgericht Köln entscheiden müssen. Dessen 28. Zivilkammer hatte am 23. Juli gegen die Bild GmbH & Co. KG als Betreiberin von Bild.de eine einstweilige Verfügung erlassen, die einen bei Bild Plus über einen ehemaligen Landtagsabgeordneten erschienenen Artikel verbietet.

Zugleich, und das ist hier die Crux, beantragte der Anwalt Ralf Höcker ein gesondertes Verbot des kurzen, nur aus den ersten Zeilen des Artikels bestehenden Anreißertexts. Die Kammer gewährte es ebenfalls. Höcker sieht damit bestätigt, dass die Richter beides, Artikel und Anreißer, als unterschiedliche Streitgegenstände ansehen. "Würde das Gericht der Meinung sein, dass Kurz- und Langfassung zivilprozessual dasselbe sind, dann hätte es den Anreißer nicht separat verboten." Das aber könnte, nicht nur nach Ansicht des medienbewussten Höcker, weitreichende Konsequenzen haben.

Mit "einerseits, andererseits" lassen sich Geschichten nicht verkaufen

Es geht um die Frage, ob der Anreißer oder Teaser, wie wir ihn kennen, presserechtlich Bestand hat, wenn er zu einem Text hinter der Bezahlschranke führt. Folgt man Höckers Interpretation, dann müsste in der Konsequenz vielleicht auch der Anreißer künftig Kriterien erfüllen, zu denen bislang etwa eine Kioskschlagzeile in der analogen Welt nicht unbedingt verpflichtet ist: Beschuldigte müssten zu Wort kommen, Gegenpositionen dargestellt werden. Mit "einerseits, andererseits" lassen sich Geschichten aber nun einmal nicht gut verkaufen. Was aber, wenn nur die zugespitzte Kurzfassung hängenbleibt, weil die Leser sich nicht zum kostenpflichtigen Angebot durchklicken?

Über den früheren Landtagsabgeordneten, der in einem Regionalexpress ohne gültigen Fahrausweis angetroffen worden war, hatte Bild Plus mit einem großen Porträtfoto und einer Überschrift berichtet, in der stand, der Politiker "soll Bahn-Ticket gefälscht haben".

Dieser Vorwurf wird von dem Betroffenen vehement bestritten; ihn entlastende Informationen habe Bild.de erst hinter der Bezahlschranke angeführt, moniert Ralf Höcker. "Wer nur den Anreißer gelesen hat, musste denken, der ist ein Verbrecher." Nur hinter der Paywall stärker zu differenzieren, genüge nicht, da dort nur eine viel kleinere Öffentlichkeit erreicht werde. Ist damit also im Netz ein Text nicht wirklich öffentlich, wenn man für ihn bezahlen muss?

Die Zeiten im Journalismus haben sich geändert. In einer Branche, die ihre Zukunft in Bezahlmodellen sucht, würde diese Auffassung das Leben sehr viel komplizierter machen. An der Berliner Axel-Springer-Straße will man jedenfalls von der Vorstellung, das Landgericht habe bewusst juristisches Neuland betreten, nichts wissen. Höckers Interpretation des Beschlusses vom Juli sei "absurd, an den Haaren herbeigezogen und ohne jegliche Substanz", sagt Unternehmenssprecher Tobias Fröhlich.

Doch sicher ist trotzdem sicher: Die einstweilige Verfügung will Bild nicht akzeptieren und hat, statt lediglich Widerspruch einzulegen, den früheren Landtagsabgeordneten aufgefordert, das Hauptsacheverfahren anzustreben. Man will Klarheit, am Ende könnte ein Grundsatzurteil stehen, nach dem sich alle zu richten haben, nicht nur Bild. Der betroffene Politiker entschied sich mittlerweile für die Klage. Die Kölner Richter werden also ihre Entscheidung überprüfen müssen. Springer hat die bekannte Berliner Kanzlei von Peter Raue beauftragt, für Höcker ein Zeichen, "dass sie die Sache ernst nehmen".

"Saubere Verdachtsberichtsberichterstattung"

Aus Bild-Sicht gibt es am Artikel schon rein inhaltlich nichts zu bemängeln. "Ganz saubere Verdachtsberichterstattung" sei das gewesen. Im Hauptsacheverfahren möchte der Verlag aber auch den formalen Aspekt geklärt haben, "dass es nicht zwei getrennte Rechtsschutzbedürfnisse gibt", aus denen sich zwei Unterlassungsansprüche ergeben. Der Anreißer, so sieht das Springer, sei integraler Bestandteil eines Onlineartikels, Schranke hin oder her. Der Blick auf das grundsätzliche Problem wird ein wenig dadurch verstellt, dass das Gericht im aktuellen Fall offensichtlich gerade keine ganz saubere Berichterstattung gesehen und neben dem Anreißer auch den eigentlichen Artikel verboten hat.

Falls beide aber tatsächlich getrennt zu behandeln sind, dann wären in Zukunft auch Konstellationen denkbar, in denen ein Artikel als solcher nicht zu beanstanden, ein Anreißer mangels Differenzierung aber sehr wohl verbotsfähig wäre.

Anreißer als etwas Eigenständiges

Der Berliner Presserechtsanwalt Alexander Freys, der als Honorarprofessor an der Universität Leipzig Medienrecht lehrt, hält den Kölner Beschluss da für völlig richtig. Es liege auf der Hand, dass man "einen Anreißer als etwas Eigenständiges ansehen muss, wenn er online getrennt vom eigentlichen Text wahrgenommen werden kann."

Dabei sei durchaus von Bedeutung, ob ein Teaser nach dem Weiterklicken in einem frei erhältlichen oder einem kostenpflichtigen Text fortgesetzt werde: "Die Frage ist immer, wie der verständige Leser damit umgeht", sagt Freys, "Schon wenn der Leser durch technische Hürden gehindert wird, den Artikel zu öffnen, liest mancher vielleicht oft nicht mehr weiter. Das gilt erst recht, wenn bezahlt werden muss."

Aus Sicht von Anwalt Höcker hieße das, dass Texte wie der über den "Schwarzfahr-Skandal" für Bild Plus überhaupt nicht mehr geeignet wären, weil sie sich kaum in eine ausreichend differenzierende Kurzfassung pressen ließen - und vermutlich schon gar nicht in eine, die zum Bezahlen animiert. "Wir erwarten nicht, dass sich die Rechtsprechung fundamental ändert", bekräftigt Sprecher Fröhlich. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest.

© SZ vom 03.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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