Porträt über Petra Ramsauer:"Das hat mich aufgerieben"

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Petra Ramsauer im März 2017 in Mossul beim Gespräch mit einer flüchtenden Familie. (Foto: privat)

Petra Ramsauer war jahrelang Kriegsreporterin - im Irak und in Syrien. Sie sagt: Richtig Angst haben ist eine Kunst.

Von Cathrin Kahlweit

Zwischen zwei Operationen, während einer schweren Krankheit, beschloss Petra Ramsauer: "Wenn ich das überlebe, werde ich Auslandsreporterin." Als sie alles überlebt hatte - nicht nur die Krankheit, sondern auch viele aufreibende Jahre als Kriegsreporterin im Nahen Osten, Dutzende Reisen in den Irak und nach Syrien, Gefechte, Scharfschützen, Bombenhagel, Nächte im Halbschlaf mit dem Ohr zur Tür, die Gefahr von Entführung und Einkerkerung - beschloss die heute 51-Jährige: "Jetzt höre ich auf." Sie hatte die Tumorerkrankung als junge Frau überstanden, Jahre voller Verzweiflung und Trauer, und sie hatte ihren Job überlebt, Jahre im permanenten Risiko. Nun spürte sie plötzlich, dass es Zeit war. Denn sie bekam Angst. Manchmal denkt sie: endlich.

Angst sagt sie, sei das komische Gefühl vor der echten Gefahr, nicht die Konfrontation damit. "Man malt sich aus, was alles passieren kann. Wenn man kämpfen muss, hat man keine Zeit dafür." Sie hat lange darüber nachgedacht, warum dieses Gefühl so spät im Leben einsetzte und was es mit ihr machte, sie hat auch ein Buch beim Verlag Kremayr & Scheriau darüber geschrieben, das schlicht "Angst" heißt, und vor allem hat sie die Konsequenzen gezogen. Nun macht sie eine Ausbildung zur Traumatherapeutin; sie will unter anderem Menschen aus Kriegsgebieten helfen, sie kennt sich aus.

Zurzeit trifft man sie meist in ihrer Wiener Wohnung an, in der sie mit dem österreichischen Gesundheitsminister Rudi Anschober und seinem riesigen Hund lebt. Sie gibt Interviews, bereitet Vorlesungen für ihre diversen Lehrjobs vor, und wirkt vor allem erleichtert. Sie hat eine Entscheidung gefällt, und sie hat es nicht bereut. Ramsauer ist eine kleine, nur scheinbar zarte Frau, sachlich, eine gute Erklärerin, und über Österreich hinaus für ihre Kenntnis des Nahen Ostens bekannt. Jetzt gibt sie ihre Erkenntnisse darüber weiter, dass "richtig" Angst zu haben eine Kunst sei. Denn dass dieses Grundgefühl wie ein Sockel zum Leben dazugehört, hält sie für gegeben, nur müsse man lernen, es als Teil des Lebens zu akzeptieren, ihm "ruhig und ausgeschlafen" zu begegnen. "Angst sollte ein ungelebtes Leben machen, nicht der Tod." Vielleicht ist deshalb auch ein Spruch an ihre Küchenwand gepinselt, der nach Poesiealbum klingt und deshalb trotzdem wahr ist: "Leben", steht dort, "bemisst sich nicht in der Zahl der Atemzüge, die man macht, sondern in den Momenten, die dir den Atem rauben."

Der IS entführte und köpfte Freunde von ihr. Sie hat sich die Videos angesehen, aus Respekt vor den Kollegen - und weil es ihr Job ist, hinzusehen, sagt sie

Sie selbst hatte lange wenig Zeit für Sinnsprüche und Selbstreflexion, sie funktionierte. Wie alle Profis, die in Krisengebieten der Welt unterwegs sind, hat sie entsprechende Trainings für Kriegsreporter durchlaufen, hat die nötige Expertise zur arabischen Welt, hat mit Dutzenden Kollegen und wechselnden Stringern zusammengearbeitet, ist für Medien aus Österreich, Deutschland und der Schweiz regelmäßig in die Region gereist, hat Bücher über den Islam geschrieben, bis sie feststellte, dass sich die Fragen nicht mehr abweisen lassen, die in ihrem Hirn kreisten, die sie regelrecht auf der Haut fühlen konnte: Wenn mich die Angst, die zum Leben dazugehört, lähmt, statt mich zu beflügeln, dann läuft etwas falsch.

Der entscheidende Moment, sagt sie, seien die Entführungen und Enthauptungen von Kollegen durch den IS gewesen. Sie habe einige gut gekannt. Manchmal sei sie selbst nur durch puren Zufall oder glückliche Umstände davongekommen. "Die da ermordet wurden, gehörten zu den Besten. Sie hatten nichts Außergewöhnliches riskiert, hatten sich verantwortungsbewusst verhalten." Wie Freunde von ihr "geköpft wurden, wie da mit unfassbarer Brutalität vorgegangen wurde, das hat mich aufgerieben, aufgerissen." Sie habe sich die Videos der Tötungen angeschaut - "aus Respekt vor den Kollegen. Und weil es mein Job ist, hinzuschauen".

Sie musste zuschauen, wie Migranten aus Europa, aus London, sogenannte foreign fighters, zum Bersten voll mit Sadismus und Hass, Journalisten folterten. Plötzlich seien Ausländer nicht mehr nur Geiseln gewesen, für die man Geld erpressen konnte, und man habe sich ganz anders schützen müssen: "Die Logistik wurde viel komplexer. Welches Auto nehme ich, welchem Fixer kann ich vertrauen? Einfach im Basar herumzustreunen, Menschen beim Leben zuzuschauen, war nicht mehr möglich." Die großen amerikanischen Medien hätten genug Geld, um größtmögliche Sicherheit zu bezahlen. Aber sie als freie Journalistin aus einem kleinen Land, die für Medien mit geringer Auflage schrieb? "Ich war immer in der Bittstellerrolle." Bei jedem Schritt habe sie sich gefragt: Steht das Risiko für das Ergebnis? Plötzlich habe sie sich gehetzt gefühlt. Ausgeliefert.

Eine der wichtigsten Regeln für die eigene Sicherheit lautet: Raus aus einer Situation, bevor man "die Geschichte hat"

Essentieller Teil ihrer Arbeit sei immer gewesen, nahe heranzurücken, wenn der Instinkt sage: weg hier. Nur so könne man gute Reportagen schreiben: nah sein, da sein, mitleben. In Mossul, in Bagdad, in Aleppo wollte sie Zeugin sein, nicht nur Augenzeugin. Um zu überleben, das hatte sie früh internalisiert, musste man gewisse Regeln einhalten: rausgehen aus einer Situation, bevor man "die Geschichte hat", Sicherheit über Eitelkeit stellen, nicht immer die Beste sein wollen. Aber auch der Fall des Reportagenfälschers, Blenders und Ex- Spiegel-Redakteurs Claas Relotius habe, sagt sie nachdenklich, einen negativen Einfluss auf ihre immer schwieriger werdenden Arbeitsumstände gehabt, sie unter Druck gesetzt: Zeitungen, für die sie schrieb, verlangten plötzlich lange Rechercheprotokolle, alle Telefonnummern, Beweise für jeden Schritt. "Das Misstrauen wuchs."

Sie machte Schluss, als sie merkte, dass die Angst vor jeder Reise wuchs. Wie lange konnte sie bleiben, würden sie wirklich abgeholt, würde sie sich schützen können, wo konnte sie noch hingehen? Ramsauer benutzt häufig den Begriff der "Angstmuskulatur"; man könne sie, sagt sie, trainieren, aber sie auch überfordern. Ramsauer, die 25 Jahre lang als Journalistin in Ausnahmeregionen unter Ausnahmebedingungen gelebt, als junge Frau Redaktionen geleitet, später aus Überzeugung als Freelancerin gearbeitet, Preise bekommen hat, hatte zuletzt ein Buch geschrieben mit dem Titel "Siegen heißt, den Tag überleben."

Irgendwann wollte sie nicht mehr siegen müssen. Sie wollte erklären, woher Angst kommt, nicht nur im Krieg, sondern auch in relativer Sicherheit, im westlichen Alltag, in Krisen wie der Corona-Pandemie. Zu ihrem Thema gehört auch die Angst vor dem Tod. Dass sie sterben müsse, sagt sie, habe sie als junge Frau während ihrer Krankheit erfahren. Damit habe sie ihren Frieden gemacht, sagt sie, "es ist, als hätte ich den Fluss der Todesangst einmal überquert und etwas von mir wäre damals auf die andere Uferseite gewechselt." Geblieben sei das klare Gefühl, dass sie ihr Leben anders nutzen wolle. Damit fängt sie jetzt noch einmal, wieder einmal an.

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