ARD-Doku:Ethische Dissidenten

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Die ARD zeigt eine sehenswerte Doku über Whistleblower. Sie belegt, dass es in Deutschland immer noch an einem neuen, besseren Schutz für die Tippgeber fehlt.

Von Hans Leyendecker

Der Begriff "Whistleblowing" ist mittlerweile gut fünfzig Jahre alt, aber wird auch noch heute, je nach gesellschaftlichem Standort, unterschiedlich verstanden. Für die einen sind Hinweisgeber Helden, die auf illegale oder illegitime Praktiken hinweisen. Sie schlagen Alarm. Sie trauen sich was. Für die anderen sind solche Tippgeber Leute, die jemanden verpfeifen, verraten. "To blow the whistle" - das steht für den falschen und für den korrekten Schiedsrichterpfiff.

Über Whistleblower und die Einsamkeit der Mutigen zeigt die ARD an diesem Montag eine sehenswerte Dokumentation. Sie ist aufschlussreich, weil sie anhand von drei Fällen die Wirklichkeit schildert: Meistens behandeln Hierarchen das Aufdecken von Missständen als Illoyalität, Verrat oder Nestbeschmutzung. Von Kollegen gemieden, vom Recht verfolgt. Das ist die Lage.

Da ist der 30-jährige Franzose Antoine Deltour, der es zu einiger Berühmtheit brachte, weil er geholfen hat, die Dokumente, die zu den Luxemburg-Leaks führten, in die Öffentlichkeit zu bringen. Er konnte es nicht ertragen, dass Konzerne mitmilfe von Briefkastenfirmen im Großherzogtum ihre Milliarden-Gewinne nur zu einem Bruchteil versteuerten.

Da ist die frühere Tierärztin Margrit Herbst, die Anfang der Neunzigerjahre auf einem Schlachthof in Schleswig-Holstein angestellt war. Ihr fielen Rinder "mit eigenartigen Bewegungsstörungen" (Herbst) auf. In Großbritannien waren Tiere aufgefallen, die an BSE erkrankt waren, am so genannten Rinderwahnsinn. Die deutsche Tierärztin war "überzeugt, dass sie BSE-verdächtige Rinder aussortiert" hatte. Sie schlug erst intern Alarm. Was sie erlebte, sagt sie, sei ein "Vertuschungsmanöver" gewesen, um weiterhin behaupten zu können, Deutschland sei BSE-frei". Dann ging sie in die Öffentlichkeit.

Der Film zeigt, dass Deutschland bessere Gesetze zum Schutz dieser Menschen braucht

Und da ist der ehemalige Polizist Swen Ennullat, der in Sachsen-Anhalt durch seine Arbeit Missstände bei der Polizei im Kampf gegen rechts deutlich machte. Plötzlich stiegen in der Polizeistatistik die Fallzahlen - und das störte.

Alle drei Whistleblower waren so etwas wie ethische Dissidenten. Sie wurden niedergemacht. Deltour kam vor Gericht und wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt, die Berufung läuft noch. Herbst verlor ihren Job und ist heute auf Sperrmüll, Flohmarkt und Diakonie angewiesen. Ennullat wurde versetzt, dann verließ er die Polizei und leitet heute ein Jugendamt in Brandenburg.

Wenn der Film nicht 45 Minuten, sondern ein paar Stunden dauern würde, ließen sich viele ähnliche Beispiele zeigen. Da gibt es den Fall eines einst in der Schweiz arbeitenden britischen Pharma-Managers, dem das System der Absprachen missfiel. Er schlug Alarm und wurde fertiggemacht. Seine Frau beging Selbstmord. Da ist der Fall des Schweizer Wachmannes, der bei einem Kontrollgang Protokolle über die Kollaboration Schweizer Banken mit den Nazis fand und öffentlich machte. Er wurde von den Medien, die ihn gefeiert hatten, demontiert. Eine endlose Liste mit Namen könnte man notieren.

Der Film zeigt, dass es in Deutschland immer noch an einem besseren Whistleblower-Schutz fehlt: In anderen Ländern gibt es übersichtliche Gesetze, die zeigen, was erlaubt ist und was nicht.

Die Macher des Films wollten den CDU-Bundestagsabgeordneten und Berliner Staatssekretär Peter Bleser interviewen, der vor Jahren Aufsehen erregte, als er erklärte, dass Informantenschutz so etwas wie Denunziantenschutz sein könne. Diese Äußerung löste bei einigen Arbeitgebern Zustimmung und bei Whistleblower-Experten Empörung aus. Bleser hat sich im Film nicht dazu befragen lassen.

Auf Anfrage der SZ erklärte er jetzt: Es sei ihm darum gegangen "Missbrauch bei Kündigungsschutz und Entschädigungen sowie Denunziation bei Ordnungswidrigkeiten zu verhindern und nicht zu schützen". Er halte es zwar "für richtig und wichtig" Straftaten zu melden. "Fälle, in denen nationale Interessen betroffen sind", müssten aber "Fall für Fall bewertet werden".

Bleser war bis vor wenigen Tagen Schatzmeister der in eine Spendenaffäre verwickelten CDU in Rheinland-Pfalz. Bei einem Parteitag am Samstag kandidierte er nicht mehr für das Amt. Zuvor hatte er erklärt, er habe sich in seiner Amtszeit "stets an geltendes Recht gehalten". Das ist eine im Reich der Skandale nicht selten benutzte Formulierung.

Whistleblower. Die Einsamkeit der Mutigen , ARD, 22.45 Uhr.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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