Wildtiere:Bist du meine Mama?

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Irgendwie ist Liah das tatsächlich. Wie es ist, wenn bei einem zu Hause Eichhörnchen wohnen? Hier erzählt Liah, 13, von Massagen für Eichhörnchenbäuche, wilden Handygeräuschen und dem traurig schönen Moment, die Tiere wieder auszuwildern.

Protokoll: Hannah Weber

So verkuschelt wie auf diesem Bild bleiben die Tiere nur wenige Wochen. (Foto: privat)

"Es kitzelt, wenn ein Eichhörnchen über den Körper klettert. Aber man muss auch aufpassen. Wehe, sie verfangen sich mit ihren Krallen in den Haaren oder kratzen in die Haut! Ich trage nur noch langärmlige Shirts, wenn ich mit ihnen spiele. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen komisch: Wer hat denn schon Eichhörnchen bei sich daheim?

Man könnte sagen, dass ich mit Eichhörnchen aufgewachsen bin. Als ich fünf Jahre alt war, hat mein Bruder auf einer Radtour plötzlich eine Vollbremsung gemacht, weil ein Eichhörnchen auf dem Weg lag. Obwohl meine Mama Tierärztin ist, wussten wir erst mal nicht, was zu tun ist. Wir haben dann bei einer Notrufnummer für Eichhörnchen angerufen. Dort hat man uns gesagt, dass wir es warmhalten sollen und uns dann an eine Auffangstation vermittelt. Ein Jahr später haben wir wieder ein verletztes Eichhörnchen gefunden und dachten: Das muss ein Zeichen sein!

Das Nest eines Eichhörnchens nennt man Kobel. Pink ist es normalerweise nicht, warm und kuschelig aber durchaus. (Foto: privat)

Seitdem nehmen wir selbst Eichhörnchen auf, jedes Jahr etwa 70. Die meisten im Frühjahr und Sommer. In dieser Zeit fallen immer wieder Jungtiere aus dem Nest. Wir päppeln sie dann auf, bis sie wieder fit genug sind, um in der Natur zu überleben.

Bauchmassage mit Wattepad: Nach jeder Milchmahlzeit brauchen die Eichhörnchen ein wenig Verdauungshilfe. (Foto: privat)

Natürlich ist es toll, Eichhörnchen zu Hause zu haben. So lange sie klein sind und man sie füttert, sind sie sehr verschmust. Aber man braucht auch viel Platz für all die Käfige, viel Zeit fürs Füttern und viel Erfahrung, um sie auszuwildern. Wenn die Tiere bei uns ankommen, sind sie meist erst ein paar Wochen alt. Dann brauchen sie vor allem ganz viel Wärme und Spezialmilch. Damit füttern wir sie alle drei Stunden. Ich helfe meiner Mama dabei. Mein großer Bruder hat keine Lust darauf, mein kleiner Bruder ist noch zu jung. Mama hat mir beigebracht, wie man die kleinen Eichhörnchen mit der Spritze füttert. Man muss vorsichtig sein, sonst kann es passieren, dass die Milch in die Lunge läuft, das ist lebensgefährlich für die Tiere. Nach dem Füttern massiere ich die Eichhörnchenbäuche, denn in den ersten Wochen ist ihre Verdauung sehr schwach. Das mache ich so lange, bis sie Bäuerchen machen - das bedeutet bei Eichhörnchen nicht, dass sie aufstoßen, sondern dass sie pinkeln.

Wohnt hier ein japanisches Eichhörnchen? Nicht ganz: Liah ist großer Anime-Fan und benennt die Tiere nach ihren Lieblingscharakteren. (Foto: privat)

Gerade leben zum Beispiel Nezuko oder Tanjiro bei uns. Die Namen habe ich ausgesucht. Momentan benenne ich alle Eichhörnchen nach meinen liebsten Anime-Charakteren. Aber auch mit Namen sind sie keine Haus- sondern Wildtiere. Nur ganz junge Eichhörnchen sind zutraulich, weil sie gerne kuscheln und Milch brauchen. In dieser Zeit kann man sie streicheln und sie auf dem Körper herumklettern lassen. Aber sie entwickeln sich schnell. Und wenn sie keine Milch mehr brauchen und gelernt haben, wie man Nüsse knackt, sind sie fit genug zum Auswildern.

Sieht nach Gefängnis aus, ist aber der Weg in die Freiheit: In der Voliere entwöhnen sich die Tiere wieder vom Menschen. (Foto: privat)

Dafür haben wir im Garten eine Voliere, einen großen Käfig. Zwei Wochen kommen wir nur noch einmal am Tag vorbei um sie zu füttern, denn sie müssen sich vom Menschen entwöhnen. Das geht schnell: Nach ein paar Tagen schon rasen sie wie wild durch die Voliere, sobald man sich ihnen nähert. Obwohl man sie eine Woche davor noch auf der Schulter sitzen hatte. Nach zwei Wochen öffnen wir tagsüber eine Luke. Dann können die Eichhörnchen wieder raus in die Natur, sobald sie sich bereit fühlen. Meistens kommen sie für ein paar Tage am Abend noch zurück. Aber irgendwann bleibt die Voliere auch in der Nacht leer. Das ist immer auch ein bisschen komisch, klar. Andererseits freue ich mich, dass sie wieder raus in die Natur können. Da gehören sie ja hin. Und manche Tiere kommen uns auch später im Garten besuchen und klettern durch die Bäume. Eins saß sogar mal auf der Terrasse. Es hat sich an der Wirbelsäule verletzt und wusste, dass es bei uns Hilfe gibt.

Wenn man ein Eichhörnchen findet, sollte man es in einen Pappkarton mit einem Handtuch setzen, es wärmen und dann beim Eichhörnchen-Notruf durchklingeln. Das ist ein Verein, der sich um Eichhörnchen kümmert, die Hilfe brauchen. Meine Mama ist da auch Mitglied. Wenn jemand ein Eichhörnchen findet und sich bei uns meldet, verschicken wir erst mal eine Tonaufnahme. Darauf ist ein hohes, lautes Fiepsen zu hören. So klingen Eichhörnchen, wenn sie nach ihrer Mutter rufen. Am besten legt man das Handy direkt neben das Tier, spielt den Ruf ab, versteckt sich und wartet. Mit etwas Glück kommt die Mutter zurück und nimmt ihr Kleines mit. Sonst muss es in eine Auffangstation. Vielleicht landet es ja sogar bei uns?"

© SZ vom 14.05.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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