Umwelt:Es keimt

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Benjamin, 15, will den Klimawandel aufhalten - mit einem ganz besonderen Grünzeug. Kann das klappen?

Von Anna Schwarz

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Geistesblitz schwimmt auf einem Teich. Den hat Benjamin im Garten seiner Mutter ausgehoben: 1,70 mal 3,50 Meter, ausgelegt mit schwarzen Planen, etwa so groß wie zwei Badewannen. Darin trübes Wasser, auf der Oberfläche treiben grünbraune Kügelchen. Als Benjamin ins Wasser fasst, bleiben ein paar davon an seiner Hand kleben. "Das sind Azolla-Algenpflanzen", erklärt er und reibt mit dem Daumen über seine nassen Finger. Die Pflanzensamen sind nicht mal so groß wie ein Reiskorn, aber für den 15-Jährigen mit einer großen Hoffnung verbunden: Er will damit den Klimawandel bekämpfen.

Die Idee dazu kam ihm, als er für den Physikunterricht ein Referat über die Geschichte des Klimawandels vorbereitete. Dabei stieß der Neuntklässler auf das sogenannte Azolla-Ereignis, das sich vor rund 49 Millionen Jahren in der Arktis zugetragen hat. Damals bedeckte der Schwimmfarn Azolla den Ozean und fixierte so große Mengen Kohlendioxid, kurz CO₂. Azolla habe, so die Forschung, wesentlich dazu beigetragen, dass sich das Erdklima veränderte, vom damaligen Treibhausklima zum gegenwärtigen Eisklima. Problem: Das Phänomen damals hat mehrere Hunderttausend Jahre gedauert. So viel Zeit haben wir nicht. Und ja, ganze Ozeane mit Azollateppichen zu bedecken, würde wohl andere Probleme schaffen. Und trotzdem: Azolla gilt als eine der am schnellsten wachsenden Pflanzen der Erde. Wie kann dieser CO₂-Schlucker den Klimawandel bekämpfen?

Kleiner als Reiskörner: Die grünbraunen Pflanzenkügelchen, aus denen später mal große CO₂-Schlucker werden sollen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Klimawandel führt dazu, dass sich das Klima der Erde erwärmt - also Gletscher schmelzen, Überschwemmungen und Hitzeperioden zunehmen und Tier- und Pflanzenarten bedroht sind. Schuld daran ist unter anderem das Gas CO₂. Das verursachen Menschen teils selbst, indem sie zum Beispiel Auto fahren, Wohnungen heizen, Fleisch essen oder mit Flugzeugen reisen.

Doch Pflanzen können das CO₂ für sich nutzen. Um zu wachsen, brauchen sie die Energie des Sonnenlichts und CO₂. Da kommt Benjamins Algenpflanze ins Spiel: Sie hat einen unbändigen Hunger auf das Treibhausgas. Doch bislang wird Azolla meist nur als Schwimmpflanze für Aquarien genutzt, etwa als Versteck für Fische.

Benjamin bestellte sich im Internet Azolla-Samen, um die Pflanze anzubauen. Er will herausfinden, ob sie auch in Bayern wächst. Bislang wird Azolla eher in Ostasien angebaut, etwa in China oder Indien. Dort wird die Pflanze zum Beispiel an Tiere verfüttert, weil sie sehr viel Eiweiß enthält.

Für Landwirtschaft hat sich Benjamin schon immer interessiert. In seiner Kindheit ist er gern auf dem Bulldog seines Nachbarn mitgefahren und hat Kühe mit gerupftem Gras gefüttert. Bis vor Kurzem hielt er noch ein paar Hühner im Garten. Genau dort, wo er nun sein erstes Versuchsbecken gegraben hat: "Ich habe es einfach gemacht, ohne zu fragen. Meine Mutter war erst nicht so begeistert."

So sehen die jungen Pflänzchen aus. In den nächsten Monaten sollen sie den ganzen Weiher bedecken. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Doch mittlerweile ist sie wahrscheinlich stolz wie Bolle auf ihren Sohn: Benjamin hat Partner für sein Projekt gewonnen, wurde vom Verein Dachau Agil als "Pionier des Wandels" ausgezeichnet, die Gemeinde unterstützt ihn und auch Fachleute und Forschende hoffen auf Azolla. Firmen, meint Benjamin, könnten zum Beispiel den Schwimmfarn auf ihrem Flachdach anpflanzen, um so CO₂-neutral werden.

Mehrmals pro Woche radelt Benjamin zu einem größeren Versuchsbecken, ein Teich, den ihm ein Landwirt zur Verfügung gestellt hat. Dann schaut er, ob Äste ins Wasser gefallen sind, die Plane verrutscht ist und wie sich das Netz aus grünen Pflanzen auf der Wasseroberfläche ausbreitet.

Benjamins Ideen wachsen gemeinsam mit seinen Pflanzen. Er träumt von Anbauflächen im afrikanischen Gabun oder Uganda, wo das Klima wärmer ist und die Pflanzen schneller wachsen. Doch jetzt ist er erst einmal gespannt, wie sich Azolla bei ihm zu Hause entwickelt. Unter natürlichen Bedingungen kann Azolla nach Schätzungen etwa 40 bis 50 Tonnen CO₂ pro Hektar und Jahr binden. Zum Vergleich: Der bayerische Staatswald schafft durchschnittlich nur elf Tonnen. Der Azolla-Anbau, hofft Benjamin, könnte der Anfang von etwas ganz Großem sein.

Versuchsbecken Nummer zwei, der Weiher eines Landwirts, ist deutlich größer als der Teich im Garten von Benjamins Mutter. (Foto: Niels P. Jørgensen)
© SZ vom 01.07.2023 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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