Bild der Woche:Moment mal

(Foto: Evgeniy Maloletka/dpa)

Wartende Menschen in der Metro von Kiew, 29. Mai 2023.

Von Sonja Zekri

Was das Foto als Erstes verrät: Der Netz-Empfang ist erstaunlich gut, wenn man bedenkt, dass einige Stationen mehr als 100 Meter unter der Erde liegen. Kiew, so heißt es, besitze die tiefste Metro der Welt, ein Kleinod mit Mosaiken und Lüstern und einem Wandbild, das früher mal Lenin zeigte und heute die Kiewer Oper. Seit der Planung in den Vierzigern und dem Bau in den Sechzigern war die Metro die Fortsetzung historischer Entwicklungen und des politischen Lebens über der Erde. Seit Kriegsbeginn ist sie das Leben selbst. Menschen verbrachten hier Monate. Präsident Wolodimir Selenskij gab Pressekonferenzen, Bono trat mit dem ukrainischen Sänger Taras Topolia auf. Dann zog der Krieg in den Süden und Osten, die Hauptstadt wagte die Rückkehr zum Alltag. Seit einigen Tagen aber wird Kiew so stark bombardiert wie lange nicht - auch am vergangenen Montag, als dieses Bild entstand. Wieder haben sich Menschen während eines Luftangriffs in die Metro geflüchtet, wo sie auf eine inzwischen sehr routinierte, fast ein bisschen gelangweilte Art die Zeit totschlagen. Ein ruhiges, fast gemäldehaft arrangiertes Gruppenporträt ist so entstanden mit leuchtenden, ekstatischen Diagonalen, die nach oben, ins Helle und Freie führen. Den einzigen Hinweis auf die Ausnahmesituation gibt das winzige Schild in der Mitte des Fotos: Das Sitzen auf den Rolltreppen ist verboten.

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