Todesurteil in China:Keine Gnade für Xia Junfeng

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Viele kämpften für Xia Junfeng, doch es hat ihm nicht geholfen: Weil der Straßenverkäufer aus Notwehr zwei Menschen getötet hat, wird er wegen Mordes hingerichtet. Xia ist ein Beispiel für jemanden, der von der Ungerechtigkeit des Regimes zum Äußersten getrieben wird.

Von Kai Strittmatter, Peking

Am 16. Mai 2009 zog der Snackverkäufer Xia Junfeng ein Messer und erstach zwei Menschen. Zwei Chengguan, das sind Straßeninspektoren, eine Art Ordnungspolizei. Der Sohn des Snackverkäufers war damals neun Jahre alt und schrieb wenig später diesen Aufsatz: "Ich heiße Xia Jianqiang, gehe in die dritte Klasse. Ich weiß nicht, warum mein Papa nicht nach Hause kommt. Mamas Augen sind rot und geschwollen. Zu Hause gibt es kein Lächeln mehr. Mama sagt: 'Papa arbeitet im Ausland.' Eines Tages sagt ein Junge zu mir: 'Dein Vater war im Fernsehen, er hat Leute umgebracht.' Ich sage: 'Quatsch!' Ich weine und laufe nach Hause zu Mama. Mama weint mit mir zusammen."

Die Familie ist arm. Der Vater Xia Junfeng arbeitete in einer Maschinenfabrik, verlor seine Arbeit. Die Mutter, Zhang Jing, putzte in einem Hotel und half in einem Kindergarten aus. Wie so viele Familien legten sie all ihre Hoffnungen in ihr einziges Kind. Der Sohn malte schon als Zweijähriger die Wände voll. Katzen, Hunde, Blumen. Im Kindergarten sagten die Lehrer: Schickt ihn in den Malunterricht, der Junge hat Talent. Sie hatten aber kein Geld. Dann entschieden sich die Eltern, etwas zu probieren: Sie verkauften Fleischspieße und Würstchen auf den Straßen der Stadt Shenyang. Am Tag verdienten sie so zusätzlich 100 Yuan, umgerechnet zwölf Euro. Das Geld reichte nun für Malstunden.

Was an dem Maitag vor vier Jahren passierte? Das ist die Version von Xia und seiner Frau: Ein halbes Dutzend Inspektoren kamen, schnappten sich ihre Gasflasche, warfen Spieße und Geschirr auf die Straße und begannen, Xia zu prügeln. Später nahmen sie ihn mit in ihr Büro, zwei von ihnen prügelten ihn weiter. Schließlich zog Xia ein Messer und stach auf sie ein. Er habe um sein Leben gefürchtet, sagte er vor Gericht. Die Verteidigung fand nicht weniger als sechs Zeugen, die das brutale Vorgehen der Inspektoren auf der Straße gesehen haben wollten. Das Gericht hörte keinen der Zeugen. Es befand auf heimtückischen Mord. Verurteilte Xia zum Tode.

Viele Chengguan stammen selbst von ganz unten

Das war vor vier Jahren. Das Todesurteil löste in Chinas Internet einen Sturm der Entrüstung und eine Welle der Solidarität mit Xia Junfengs Familie aus - vor allem wegen des Rufs der Chengguan, der Inspektoren. Es gibt in China keine andere Gruppe von Uniformierten, die so verhasst ist. Aufgabe der Chengguan ist es, Lizenzen von Straßenhändlern oder illegale Baustellen zu überprüfen. Sie sind eine zusammengewürfelte Truppe, viele stammen selbst von ganz unten.

Das bisschen Macht, das sie haben, üben sie gegen die Schwächsten aus: Wanderarbeiter, Straßenhändler mit ihren Karren. Oft gehen sie brutal vor, zerstören Stände, verprügeln Händler. "Die Verbrechen der Inspektoren haben im Volk bittere Ressentiments ausgelöst", sagte Verteidiger Teng Biao beim Prozess gegen Xia Junfeng. "Gewalt ist Teil des Systems."

Xia wurde zum Symbol für die Schwachen in der Gesellschaft, die von Ungerechtigkeit und Gewalt zum Äußersten getrieben werden. "Was ist das für ein System", schrieb der Autor Li Chengpeng, "das Väter dazu treibt, die Söhne anderer zu töten, und Söhne, die Väter anderer zu töten?" Und dann waren da die Bilder des Kindes.

Jianqiang malte unentwegt, für den Vater im Gefängnis, für sich. Die meisten Bilder zeigen ihn selbst. Oft mit einem Lächeln. Da liegt er im Gras, einen Luftballon aufblasend ("Echt schön", heißt das Bild). Schläft lächelnd auf einem Baumstamm in kalter Nacht ("Nimm mich in den Arm"). Sieht den Vater als Traumgesicht. Man sieht einen Jungen voller Hoffnung. Aber es gibt auch das Bild, wo er sich hinter einem Baum versteckt ("Ich habe Angst").

Es gab Ausstellungen, ein Buch sogar, schnell ausverkauft. Im Vorwort schrieb die Mutter: "Jianqiang wartet jeden Tag darauf, dass sein Vater zurückkommt." Die Erlöse gingen an Xias Familie, aber auch an die Familien der getöteten Inspektoren. Viele kämpften für Xia Junfeng: Autoren, Blogger, Anwälte, einfache Leute.

Vergebens. Am Mittwochmorgen um sechs klingelte das Telefon bei der Ehefrau Zhang Jing. Das Gericht teilte ihr mit, ihr Mann werde heute hingerichtet. Sie machte sich auf den Weg, ihren Mann zum letzten Mal zu sehen. "Ich drehe durch", schrieb sie auf ihrem Mikroblog. Ihr Mann habe nicht geweint, berichtete sie hernach. "Er flehte sie an, uns ein letztes Foto machen zu lassen, für unsere Familie, aber sie haben Nein gesagt", schrieb sie. "Wie können sie so grausam sein?" An diesem Donnerstag darf sie die Asche abholen und nach Hause nehmen.

© SZ vom 26.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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