Stilikone Kate Moss:Crazy Kate

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Sie war das beste Stilidol der Welt, ihrer modischen Fährte konnte man blind vertrauen. Was von Miss Moss übrigblieb.

Verena Stehle

Im März druckte das britische Magazin Tatler seine alljährliche Best-Dressed-Liste ab, die auch immer anzeigt, wie wichtig eine Person noch für die Gesellschaft ist. Kate Moss war nicht mal mehr unter den ersten Zehn. Verdrängt von einer englischen Fußballerfrau, einem als Punkerin verkleideten Millionärskid und Claudia Schiffer.

Häuptling, der uns über Jahre in dünnen Indianerschläppchen durch den Sumpfwald der Moden führte: Kate Moss. (Foto: screenshot: oh)

Arg für Kate, noch ärger für uns. Es ist, als habe man sich in einer Millionenmetropole verfranst, das Navigationsgerät ist tot, schwarzer Monitor, überall nur Sackgassen. Kate, unser Häuptling, der uns über Jahre in dünnen Indianerschläppchen durch den Sumpfwald der Moden führte, ist weg. Und plötzlich geht einem dieser neue Radio-Hit ganz nah: "Wir sind allein / Allein allein."

Mokassin statt Manolo

Keine wird Kate je ersetzen. Ihrer Fährte konnte man blind vertrauen. Sie war das beste Stilidol der Welt, weil sie Sachen einfach anzog; ganz egal, was Designer, Stylisten oder Moderedakteure vorschrieben. Als Schuhe Pumps und von Manolo Blahnik sein mussten, kam sie mit echten Mocassins daher und später Gummistiefeln. Was sie trug, war in keinem Magazin abgeguckt, ihre Marken wie Minnetonka waren original, und damit billiger und lebbarer als all das abgehobene Zeugs, das es sonst in die Stilbibeln schaffte. Und Kate posierte nicht darin; sie trug ihre dreckigen Gummibotten sogar zur Pelzjacke, als wäre es das normalste der Welt.

Und auch sonst war sie uns viel näher als die Supermodelroboter ihrer Zeit. Sie war dünn, na und? Mit Hackezähnchen und Käferaugen und normaler Größe war sie natürlicher gewachsen als die Cindys und Lindas; und während die nur von Weizengrassaft lebten, rauchte Kate Kette und wankte bei Sonnenaufgang aus dem Punk Club. Es gibt sogar das geflügelte Wort "feiern wie die Moss". Nur gesund macht das Leben halt auch keinen Spaß.

Kate nahm Drogen, ja. Unschuldig war sie nicht. Aber wie sie es immer schaffte, so auszusehen! Der Independent beschrieb ihren frischen After-Party-Look, nicht unzweideutig nach ihrem Koksskandal, als "Schneeweißchen".

Immerhin machten die Drogen und der Ruhm keinen anderen Menschen aus ihr. Seit sie das erste Mal auf einem Cover erschien - 1990, mit 16 auf The Face - war sie unverderblich. Und sie zierte mehr als 300 Cover. Kate blieb die gickernde Croydon-Göre, die sie schon mit 14 war, die rauchte und trank und sich mit frechen Jungs umgab. Kate war nie jemand anderer als sich selbst; in dieser Welt, in der jeder zitiert und imitiert, wollten alle noch viel mehr sein wie sie. Kate, die mit einem Bild der Schauspielerin Cameron Diaz zum Friseur rennt, und sagt, sie wolle genau so aussehen - wie es Cameron mit einem Kate-Foto nachgesagt wird? Unvorstellbar.

Sie sprach einfach nicht

Das war ja gerade der Zauber an der Moss. Sie sprach nicht. Nicht über ihre Tochter, nicht über ihre Männer, nicht über ihre Brüste. Kate exerzierte vor, wie es reinknallt, wenn in einer Branche plappernder Narzissten einer mal den Mund hält. Ein alter Showbiz-Trick - und trotzdem hingen alle an ihren Lippen. So, dass der Independent eines der seltenen Interviews überschrieb: "She speaks!"

Selbst nachdem der Daily Mirror im Herbst 2005 grobkörnige Fotos gedruckt hatte, auf denen Kate in einem Tonstudio weißes Pulver in Linien teilt, sagte sie nichts. Sie erklärte nie, rechtfertigte nie, heulte nie. Ihre stoische Ruhe riss selbst die sonst wenig redselige Chefin der französischen Vogue, Carine Roitfeld, zu dem Satz hin: "Kate hat was Magisches an sich." Diese Magie versuchte Marc Quinn zu bannen - der Künstler verewigte die Moss in 50 Kilo massivem Gold. Vielleicht war das der Fehler.

Seit Kate nämlich als Stilikone im Britischen Museum steht, ist sie im Alltag keine mehr. Seit Monaten hat sie keinen Trend mehr losgetreten; ihr jüngster Streich, ein Ohr voll Piercings, wird es kaum in die Vogue schaffen. Blogger zeigen mit dem Finger auf sie, weil ihre Frisur wieder mal nicht sitzt oder der Busen aus dem Kleid gefallen ist. Dafür redet sie jetzt ununterbrochen über ihre Parfums und ihre Kollektion für Topshop: "Ich trage jetzt BHs. Ein Wunder! Prima Timing für meine Topshop-Dessous." Bald kommt auch ein Kochbuch. Kate wird immer mehr zur Klum.

Als ob das alles nicht schon traurig genug ist, bezichtigte nun auch noch Sängerin Marianne Faithful, 62, Kate, 35, des Stil-Diebstahls. Der Boho-Look plus Rockerfreund circa 1968, sagte sie der Times, sei ihr Look gewesen.

Ach ja. Aber keiner stand er je so gut wie Kate, unserem Crazy Horse.

© SZ vom 25.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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