Stadtentwicklung:Berlin wächst - und die Stadt kommt nicht hinterher

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Die Stadt Berlin kämpft mit den Folgen des Bevölkerungswachstums. (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Die Einwohnerzahl soll auf über vier Millionen Einwohnern steigen. Wohnen wird immer teurer, die Verwaltung ist überlastet. Schafft Berlin den Boom, oder schafft der Boom Berlin?

Von Jens Schneider

Bisher war Berlin als Hauptstadt mit Hindernissen bekannt - obwohl es nach London (8,5 Millionen Einwohner) die zweitgrößte Stadt der Europäischen Union ist. In Deutschland galt Berlin mit seinen derzeit 3,56 Millionen Einwohnern als unerfülltes Versprechen, als Stadt der geplatzten Träume. Statt nach der Wiedervereinigung wie von Politikern erwartet auf bald sechs Millionen Einwohner zu wachsen, stagnierte die Metropole und erarbeitete sich einen zweifelhaften Ruhm als Schulden- und Pannenkönigin. Verpatzte Olympia-Bewerbung, die Never-ending-Story um den Flughafen-Neubau BER, zuletzt das Flüchtlings-Chaos am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso).

Berlin? Unrettbar.

Jetzt erlebt die Hauptstadt einen Boom, der die Politik, die Verwaltung und viele Berliner zuweilen überrollt - und manche überfordert. Die Stadt kommt ihrem eigenen Wachstum nicht hinterher. In besonders beliebten Stadtteilen fühlen sich Alteingesessene fremd zwischen Touristen und Neu-Berlinern. Und es geht erst richtig los. Der Senat geht auf Basis einer neuen Bevölkerungsprognose davon aus, dass Berlin in den nächsten zehn bis 15 Jahren die Grenze von vier Millionen Einwohnern übersteigen könnte, vielleicht sogar noch früher. Zuletzt wuchs die Bevölkerung jährlich um 45.000 Menschen - Flüchtlinge nicht eingerechnet.

Schon heute spüren die Berliner die neue Attraktivität ihrer Stadt an allen Ecken und Enden: Grundstückspreise sind so hoch wie nie, Mieten steigen in kurzer Zeit extrem, auf Ämtern bekommen Bürger kaum Termine. Es wird voller und enger. Denn gleichzeitig kommen mehr Touristen an die Spree als je zuvor, 32 Millionen allein 2015, für junge Unternehmer ist Berlin inzwischen der Ort, an dem man sein muss: In die deutschen Hauptstadt fließt mehr Risiko-Kapital in Start-up-Unternehmen als in der Hipster-Metropole London. Erfolgreiche Gründer von Start Ups freuen sich, dass Berlin so attraktiv auch für Talente aus Ägypten oder Amerika, Spanien oder Italien ist.

Die Infrastruktur ist runtergefahren

Die Hauptstadt boomt, auch die Wirtschaft zieht an. Das Land ist zwar noch immer hoch verschuldet, aber die Schulden sind von einst 63 Milliarden Euro sind unter 60 Milliarden gesunken. Aber Berlin ist nur bedingt wachstumsbereit, nach Jahren des Sparens. Es fehlt das Personal im öffentlichen Dienst, um den Boom zu bewältigen. Die Infrastruktur ist runtergefahren. Der hat der Senat der Stadt reagiert, schafft Tausende neue Stellen, für Lehrer, für die Verkehrsbetriebe, bei der Polizei. Jährlich sollen bis zu 20.000 neue Wohnungen entstehen. Zum Vergleich: In Hamburg besteht die große Wohnungsbau-Offensive aus 6000 Einheiten jährlich.

"Wir müssen umdenken. Sonst schaffen wir es nicht", sagt Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung, über den Aufschwung Berlins. "Aber wir rennen der Entwicklung hinterher." Kritiker vermissen Konzepte und warnen, dass der Senat zu spät reagiert. Die Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek: "Wir müssen aufpassen, dass Berlin sich auch entwickeln kann und die Anziehungskraft nicht umschlägt und Stagnation daraus wird."

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