Speedbiken:Rasender Ehrgeiz

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Der Tiroler Markus Stöckl will den Geschwindigkeitsrekord auf dem Rad brechen - der liegt bei Tempo 222.

Stephan Bernhard

Fast jeden Tag setzt sich Markus Stöckl vor seinen Computer, startet Google Earth und fliegt über die Gipfel des Himalaja oder die der Anden - immer auf der Suche nach der perfekten Bergflanke. An anderen Tagen ruft er Expeditions-Bergsteiger an und beschreibt ihnen - bisher erfolglos - den Hang, den er sucht: mindestens 45 Grad steil über eine Länge von 600 Meter, danach flach auslaufend, ohne Felsstufen und mit einer Pistenraupe zu erreichen. "Irgendwo da draußen gibt es ihn", davon ist er überzeugt.

Noch nicht schnell genug: Stöckl will 250 km/h mit dem Rad erreichen. (Foto: Foto: oh)

Was Stöckl sucht, ist eine schneebedeckte Bergflanke, die er planieren und in eine Hochgeschwindigkeitsstrecke verwandeln kann. Stöckl ist Speedbiker und träumt davon, auf seinem Fahrrad schneller Richtung Tal zu rasen als je ein Mensch zuvor. Dafür muss er den Rekord des Franzosen Eric Barone brechen, der 1999 im französischen Skiort Les Arcs mit 222 Kilometern pro Stunde den Hang hinunterraste; damals war Les Arcs das Ziel etlicher Extrem-Mountainbiker, die sich dort mit ihren windschnittigen Spezialrädern zu offiziellen Rennen trafen.

Stöckl war als Außenseiter schon dabei. Von Geldmangel geplagt, nahm er die Rennstrecke mit geliehenem Helm und Serienbike in Angriff. 187 km/h lautete Stöckls Bestmarke, weit abgeschlagen hinter den Ergebnissen der Stars, die jenseits von Tempo 200 lagen.

Die tote Szene

Heute wäre alles anders. Inzwischen hat sich Stöckl einen Namen in der Mountainbikeszene gemacht und Sponsoren gefunden, die ihm alles finanzieren würden: Entwicklung eines Speedbikes, Tests im Windkanal, Trainingsfahrten auf Gletscherstrecken. Aber all das hilft Stöckl nicht mehr. "Die Szene ist tot", sagt er nüchtern. "Es gibt keine Rennen und keine Konkurrenten mehr." Schuld daran ist der Bürgermeister von Les Arcs, der die Hochgeschwindigkeitspiste nach einem Unfall vor knapp zehn Jahren für Biker sperrte. Seitdem dürfen hier nur noch Skifahrer auf Rekordjagd gehen. Die erreichen sogar mehr als 250Kilometer pro Stunde.

"Natürlich könnte man auf anderen Pisten Rennen austragen", erklärt Stöckl, "aber meist ist bei Tempo 160 Schluss und der Rekord von Barone nicht zu brechen." Für Fahrer wie Veranstalter fehlt also der Reiz. Deshalb ist Stöckl der letzte seiner Art, der nicht aufgibt - auch wenn er nur alle paar Jahre die Gelegenheit bekommt, sich im Sattel dem Temporausch hinzugeben. So wie im September 2007, als er in eine neue Geschwindigkeitsdimension vorstieß, obwohl die Vorzeichen alles andere als gut aussahen.

"Als ich erfuhr, dass die alte Speedskistrecke La Parva in Chile wieder präpariert war, bin ich sofort nach Südamerika geflogen." Die Frühlingssonne der Südhalbkugel hatte dem Schnee aber schon so zugesetzt, dass die Pistenraupenfahrer nicht mehr jede Unebenheit auf der zwei Kilometer langen Strecke ausgleichen konnten.

"Ich sah schon beim Besichtigen, dass ich auf einigen Wellen abheben und ein paar Meter weit fliegen würde." Stöckl wusste, dass es seine letzte Chance war, als er kurz nach elf Uhr den 45 Grad steilen Hang hinabblickte. Die Sonne brannte auf die Flanke, spätestens in 30 Minuten würde sich die Piste in weichen Nassschnee verwandelt haben.

Zu allem Überfluss beschlug auch noch das Visier seines Helms und der Tiroler hatte das Anti-Beschlag-Mittel vergessen. "Ich wischte das Visier trocken, hielt die Luft an, trat in die Pedale und hoffte, erst im Ziel wieder atmen zu müssen." So hatte Stöckl freie Sicht, als er in den Steilhang fuhr.

Atemlose Schussfahrt

Nach nur einer Umdrehung der Pedalkurbel raste Stöckl bereits mit Tempo 70 in der Falllinie zu Tal. Tief über den Lenker gebeugt, um den Luftwiderstand geringzuhalten. Dabei schwoll das Heulen des Fahrtwindes unter dem Helm ständig an. "Du denkst, du stehst mitten in einem Orkan", beschreibt Stöckl seinen Ritt. Er fixierte die Ziellinie mit den Augen.

Die Geschwindigkeit verwischte jedes Detail. Desto mehr spürte er den Fahrtwind. "Spannend wird es ab Tempo 190, da wird die Luft zum Gegner." Nach zehn Sekunden war Stöckl im Ziel und atmete wieder. "Sofort beschlug das Visier. Aber bremsen konnte ich auch ohne Sicht." 210,4 km/h wurden gemessen - noch nie war jemand auf einem Serienbike schneller gefahren.

Aber Stöckl will mehr. Er will nicht nur den Rekord von Eric Barone brechen, sein Ziel sind 240 oder 250 km/h. "Die Strecke in Chile ist ausgereizt", meint Stöckl und sucht deshalb seine eigene Piste. Einmal hätte es fast geklappt. "Ein Hang in Nepal auf 5500 Meter Höhe sah gut aus, wir hätten aber die Pistenraupen zerlegen und Stück für Stück hinauffliegen müssen. Das hätte das Budget gesprengt."

© SZ vom 06.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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