Soziale Medien:Achtung, Durchsage

Soziale Medien: Der Sprecher brabbelt los, erzählt von der Arbeit, vom Freund der Schwester, vom Hund der Mitbewohnerin. Das kann dauern.

Der Sprecher brabbelt los, erzählt von der Arbeit, vom Freund der Schwester, vom Hund der Mitbewohnerin. Das kann dauern.

(Foto: Shutterstock/Collage:SZ)

Sprachnachrichten werden einem ungefragt hinterlassen und verlangen danach, gehört und beantwortet zu werden - kurz: Sie sind lästig. Jetzt gibt es sie auch noch auf Instagram. Muss das sein?

Von Julian Erbersdobler

Es ist doch so: Sprachnachrichten sind wie unangekündigter Besuch. Sie kommen aus dem Nichts und rauben einem Zeit, die man gerne anders verbringen würde, als sein Telefon waagrecht an die Ohrmuschel zu halten. Seit wenigen Tagen gibt es die Funktion neben Whatsapp und Facebook auch auf Instagram. Muss das sein?

Ganz früher gab es die Höhlenmalerei, da war die Welt noch in Ordnung. Jemand hat ein Bison gezeichnet, ein anderer hat es gesehen und sich seinen Teil dazu gedacht. Irgendwann war die Wand voll mit Bisons, dann musste eine neue Höhle her. Kommunikation hatte immer auch Grenzen. Deutlich später kam die SMS. Auch hier wurde mit allen Mitteln gearbeitet, Inhalte zu verdichten. Hab dich lieb? Viel zu lang! "Hdl" schrieb man dann am Ende einer Nachricht. Die Profis kürzten sogar das schlanke Wörtchen "und" ab, ließen ihm nur noch ein "u". Aber genau darin lag auch der Zauber der frühen SMS: Man musste sich vorher schon überlegen, was man eigentlich schreibt und nachher noch mal checken, ob es nicht auch kürzer und präg-nanter geht.

Es war ein Kampf um jedes Leerzeichen, jedes Komma, jeden Punkt. Das tat manchmal weh, weil man seinen eigenen Text verstümmeln musste. Aber am Ende war man stolz auf das geschaffene Werk. Eine SMS war immer auch Arbeit. 160 Zeichen, das war nicht viel, aber meistens genug. Damals gab es auch noch keinen Schnickschnack, keine Smileys mit Heiligenschein, keine kotzenden Einhörner.

Es gab nur den Text, Buchstabe an Buchstabe. Wem das nicht genug war, der konnte ein lachendes Gesicht basteln, Doppelpunkt, Bindestrich, Klammer zu. Und nur in wirklich dringenden Notfällen (einem akuten Anflug von Frühlingsgefühlen im Winter zum Beispiel) hat man zwei SMS verschickt. Zum doppelten Preis. Aber das war es einem dann auch wert, ein kleines Investment.

Die meiste Arbeit hat der Empfänger, nicht der Sender

Bei Sprachnachrichten ist das anders. Der Absender drückt auf das Mikrofon-Symbol und brabbelt los, erzählt von der Arbeit, vom Freund der Schwester, vom Hund der Mitbewohnerin. Das kann dauern. Und auf der anderen Seite muss sich das auch irgendjemand anhören. Am besten mit Block und Stift in der Hand, um die wichtigen Details nicht zu verpassen. Die meiste Arbeit hat der Empfänger, nicht der Sender.

Ganz egal, ob es sich um einen Monolog oder nur um zwei Sätze handelt. Sprachnachrichten fressen Zeit. Es gibt keine Maximallänge. Und auch niemanden, der mal dazwischengrätschen kann, wenn derjenige auch noch erzählt, welchen Roman er seiner Schwiegermutter unter den Christbaum legen wird, falls es doch nicht das Duftöl wird. Was antwortet man auf eine ausufernde Sprachnachricht? Daumen nach oben? Niemals! Dann kommt die nächste Aufnahme gleich hinterher.

Aber im Ernst: Warum ruft man sich nicht mehr an? Wie früher, als einer etwas erzählt hat und der andere reagieren konnte. Dialog! Zwei Menschen, zwei Stimmen, der Klassiker. Wem das zu langweilig ist, der kann ja mal wieder sein altes Nokia 3310 suchen. Der Akku hält bis zu einer Woche, da bleibt genug Zeit, um die richtigen 160 Zeichen zu finden. Gerne auch mit lachendem Gesicht am Ende.

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