Sinn und Unsinn:Bayerischer Blues

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Wie kommt man aus dem Burn-out auf die Bestsellerliste? Die Provinz-Erfolgsgeschichte der Krimiautorin Rita Falk.

Von Kathleen Hildebrand

Es war an einem Sonntag, der "Tatort" gerade vorbei, da drohte der Ehemann von Rita Falk: "Wenn du morgen früh nicht anrufst, dann schmeiß ich deine Manuskripte weg." Wochenlang war seine Frau ums Telefon herumgeschlichen, hatte sich nicht getraut, den Hörer in die Hand zu nehmen und endlich diese Literaturagentur anzurufen, die sie im Internet gefunden hatte. Sie war arbeitslos, hing noch halb im Tal eines Burn-outs. Aber in ihrer Schublade lagen zwei fertige Romane. Als Robert Falk, Polizist in Landshut, am nächsten Tag nach Hause kam, hatte die Geschichte der Bestsellerautorin Rita Falk begonnen. Bilanz heute: Zehn Romane, 4,5 Millionen verkaufte Exemplare, 600 000 Hörbücher, drei Verfilmungen. "Schweinskopf al dente" kommt im August in die bayerischen Kinos. Die vierte wurde gerade im Münchner Umland gedreht.

Ihr Mann war Polizist und begleitet sie - wegen ihres schlechten Orientierungssinns

Natürlich trifft man eine Frau, die bayerische Provinzkrimis mit Titeln wie "Dampfnudelblues", "Schweinskopf al dente" und "Leberkäsjunkie" schreibt, am besten in einem bayerischen Wirtshaus. Sie sitzt auch schon da und winkt, im lauten Augustinerkeller, einem Traditionslokal in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Leuchtet einem mit hellblond gefärbten Haaren entgegen. Ringelpulli, dunkle Hose, kaum Make-up. Eine Frau, die in der Münchner Innenstadt nicht weiter auffällt, aber sicher auch nicht in dem kleinen Ort bei Landsberg in Oberbayern, wo sie heute mit ihrem Mann Robert wohnt. Der ist auch dabei, wie eigentlich immer, wenn Rita Falk unterwegs ist. Bei der Polizei hat er nach 36 Dienstjahren gekündigt, denn: "Alleine findet sie ja nirgends hin", sagt er, "wenn ich sie einmal kurz aus den Augen lasse, läuft sie in die falsche Richtung und ist weg." Rita Falk guckt ungerührt, sie hat das schon oft gehört und weiß, dass es stimmt. Dann lächelt sie und sagt: "Ich habe keinen Orientierungssinn. Es ist wirklich schlimm."

Leider hat Rita Falk auch keinen Hunger, bestellt also weder Dampfnudeln noch Schweinskopf. "Ich hatte gerade schon eine Butterbreze." Eine Butterbreze. Wie unzünftig. Ihrem Krimi-Kommissar, dem Eberhofer Franz, würde die im Leben nicht reichen. Der holt sich morgens, vor Dienstbeginn im fiktiven Niederkaltenkirchen, erst mal drei Semmeln, schön dick mit Leberkäs belegt, bei seinem Kumpel, dem Metzger Simmerl, und malt sich mit der Senftube Herzchen auf die Leberkässcheiben. Franz Eberhofer wurschtelt sich so durchs Leben. Er wohnt zu Hause auf dem elterlichen Bauernhof, liebt den Schweinebraten seiner Oma, trinkt abends gern ein Bier in der Dorfkneipe und kann mit seiner Freundin Susi nur schwer kommunizieren, weshalb er mit schöner Regelmäßigkeit von ihr verlassen wird. Nebenher löst er absurde Mordfälle. Franz Eberhofer sagt oft "Arschloch" und fragt "Spinnst du?". Er ist derb, schießt auch mal auf einen Plattenspieler, wenn er seine Ruhe haben will. Und wenn er einen Scherz macht, dann steht in der nächsten Zeile: "Ich muss grinsen." Man kann Rita Falks Bücher nicht missverstehen und wahrscheinlich ist das einer der Gründe für ihren Erfolg.

Zehn Bücher in acht Jahren? "Ich war immer fleißig", sagt sie, auch damals als Mädchen für alles in dem Landshuter Büro, in dem sie arbeitete. Vor acht Jahren war das, bevor sie mit Mitte vierzig die Rita Falk wurde. Sie war so fleißig, dass ihr Chef die beiden Kolleginnen entlassen konnte. So fleißig, dass sie ein ganzes Jahr durcharbeitete und auch nach diesem Jahr nur eine Woche Urlaub nahm, weil der Chef ihr mehr nicht geben wollte. "Wenn Sie Montag nicht hier sind", habe er gesagt, "dann kriegen Sie die Kündigung."

"Natürlich hätte man gegen die Kündigung klagen können. Aber ich hab einfach die Kraft nicht gehabt."

Rita Falk saß am Montag also wieder an ihrem Schreibtisch, war fleißig. Und brach am Donnerstag zusammen. Erschöpfung. Burn-out. Ende. Nach vier Wochen Krankschreibung lag die Kündigung in ihrem Briefkasten. "Natürlich hätte man dagegen klagen können", sagt sie jetzt. "Aber ich hab einfach die Kraft nicht gehabt." Als Rita Falk wieder Kraft hatte, beschäftigten sie längst ganz andere Dinge. Sie schrieb, und zwar nicht nur Bewerbungen. Ohne Kündigung hätte es keinen "Dampfnudelblues" gegeben, ohne Burn-out keine "Winterkartoffelknödel".

Aber wie geht das, wie kommt man aus dem Burn-out auf die Bestsellerliste? Und wie verändert sich ein deutsches Durchschnittsleben am Landshuter Stadtrand mit drei Kindern, Mann und Hund, wenn die Mama plötzlich berühmt ist, zu Lesungen durchs Land reist und Dreharbeiten besucht? "Ich habe schon immer nebenher geschrieben, zur Entspannung. Gedichte, Kurzgeschichten, Tagebuch. Das Schreiben hat mich in eine andere Welt gebeamt", sagt sie. Plötzlich, so ganz ohne Arbeit, hatte sie Zeit. Und schrieb etwas Größeres, nämlich ihren ersten Roman. "Hannes" ist die Geschichte eines verunglückten Jungen im Wachkoma. Eine ernste Geschichte, ganz anders als der Klamauk mit dem Eberhofer Franz. Als ihre "Testleser" - ihre Freundinnen, ihr Mann - ihr sagten, dass sie das Manuskript an Verlage schicken solle, tat sie das. Drei sagten ab. Das Buch sei zu schwere Kost für ein Debüt. Die anderen reagierten gar nicht erst.

Rita Falk war pragmatisch genug, es einfach noch mal zu versuchen. Wenn niemand schwere Kost will, dachte sie sich, dann schreib ich eben was Lustiges. Polizeigeschichten hörte sie jeden Tag am Esstisch, wenn ihr Mann den Kindern von seinem Tag in der Dienststelle erzählte. Also wurde es ein Krimi - also schuf sie den Eberhofer Franz. In den Verfilmungen, die greller, schneller und einen Tick absurder sind als die Bücher, spielt ihn Sebastian Bezzel, der Kollege von Eva Mattes aus dem Bodensee-"Tatort", mit sympathischer Lahmarschigkeit. An ihn dachte sie schon beim Schreiben und war begeistert, als er tatsächlich die Rolle übernahm. Warum aber ermittelt in Niederkaltenkirchen eigentlich keine Franziska? "Damals habe ich keine Sekunde überlegt, ob ich nicht aus Frauenperspektive schreiben will", sagt Rita Falk. "Es war einfach so. Aber heute glaube ich, dass das eine Art Schutz für mich war. Ich gebe wahnsinnig viel von mir selber preis beim Schreiben. Die Männersicht war da ein guter Puffer."

Rita Falks Bücher erzählen von Menschen, die sich über ihre Chefs aufregen

Gerade hat Rita Falk Band acht der Eberhofer-Reihe fertig geschrieben. "Weißwurstconnection" erscheint im November. Am 25. Juli ist "Winterkartoffelknödel" in der ARD zu sehen, eine Art Premiere, denn im Kino liefen die Filme bisher nur in Bayern. "Ich mache weiter, solange es die Leute interessiert", sagt Falk. "Es macht ja keinen Spaß, Bücher zu schreiben, die keiner lesen will." Doch davon kann noch lange keine Rede sein, auch ihre ernsten Bücher werden jetzt gedruckt. "Hannes" erschien 2012, "Funkenflieger" zwei Jahre später.

Auch sonst ist Rita Falks Leben heute ein ganz anderes. Sie wohnt mit ihrem Mann in einem alten Schulhaus auf dem Land in Oberbayern. Es liegt so abgeschieden, dass es dort nicht einmal eine Kneipe gibt. Nebenan dafür eine angepachtete Wiese für die Tiere, denn diesen Traum hat Rita Falk sich erfüllt: Sie hat Pferde und Esel, Hühner, Katzen, Hunde. "So einem Tier ist es vollkommen wurscht, ob man grad wieder einen Bestseller geschrieben hat oder nicht", sagt sie. "Das interessiert sich nur dafür, ob es jetzt was zu fressen kriegt oder nicht." Sie genießt das, denn mittlerweile kennt sie es auch anders. Auch wenn es "schon eine Nummer" sei, wenn der eigene Name im Abspann eines Kinofilms auftaucht: Ganz leicht ist auch dieses Leben nicht. "Es gibt Leute, die sich mit der Rita Falk umgeben wollen. Aber nicht mit mir als Person. Man muss jetzt schon zweimal gucken."

Wie es zu diesem ungeheuren Erfolg kommen konnte, das stellt Literaturkritiker vor Rätsel. "Ein Mysterium", nannte es die Zeit, die FAZ fand "bei bloßer Lektüre keine Hinweise", die ihn erklären könnten.

Rita Falks Bücher erzählen von Menschen, die sich über ihre Chefs aufregen und über ihre Partner ärgern. Aber nie so sehr, dass sie kündigen oder endgültig gehen. Sie fühlen auf mittlerer Affektstufe, machen mitteloriginelle Witze, die Handlung schleicht voran wie ein Tag im Büro. Und in den Urlaub geht's nach Teneriffa. In Niederkaltenkirchen gibt es brutale Morde, Immobilienspekulanten und Rassismus. Aber die grundsätzliche Ordnung dieser kleinen provinziellen Welt bleibt immer intakt. Die Frauen kochen und spülen hinterher ab, ohne zu murren. Sie wollen geheiratet werden. Die Männer sind ein bisschen deppert, aber im Grunde anständige Kerle wie der Franz. "Ein sympathischer Macho", sagt Rita Falk. Sie sagt auch: "Natürlich ist das alles überspitzt, aber auf dem Land ticken die Uhren wirklich noch anders."

Es ist offenbar gerade diese behagliche, nicht zu viel fordernde Normalität, die Rita-Falk-Fans dazu bringt, sich den Titel ihres aktuellen Buchs, "Leberkäsjunkie", auf den Unterarm tätowieren zu lassen und in sehnsüchtigen Leserbriefen zu fragen, wann denn der nächste Urlaub in Niederkaltenkirchen anstehe. "Rita Falk trifft den Humor von ganz verschiedenen Menschen in allen Regionen von Deutschland", sagt ihre Lektorin und Entdeckerin Bianca Dombrowa vom dtv-Verlag. Niederkaltenkirchen liege nicht nur in Bayern, sondern überall. Der Prototyp der Provinz. "Die einen mögen die derben Ausdrücke. Andere wollen wissen, wie es mit der Susi und dem Franz weitergeht und wieder andere lieben die Oma, die immer so lecker kocht." Leberkäs fürs Volk also, statt dekadentem Opium.

Rita Falks Romane sind Fluchten in eine übersichtliche, heimelige Welt, aber eine ohne Geranien in den Balkonkästen. Niederkaltenkirchen ist angeschmuddelt genug, dass sich niemand schämen muss, weil er kitschige Idyllenheftchen liest, um aus der globalisierten Wirklichkeit abzutauchen. Rita Falk will das echte Niederbayern zeigen, sagt sie. "Und da liegt eben mal ein Stapel Autoreifen im Vorgarten rum." Merkwürdig ist nur, dass man Rita Falk selbst von dieser Wurschtigkeit gar nichts anmerkt. Sie nippt an ihrer Rhabarberschorle, spricht leise, ein wenig durch die Nase, und hält ihren Mann ein paar Mal zurück, bevor der sich dann doch bei der Kellnerin über die ausbleibenden Weißwürste beschwert. Rita Falk ist nicht die patente Ulknudel vom Land, für die man sie nach dem Lesen ihrer Bücher halten könnte. Vielleicht liegt das daran, dass sie weiß, was Traurigkeit ist.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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