Silvester: Champagner:Das missverstandene Getränk

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Champagner wird in Deutschland nur dann getrunken, wenn es etwas zu feiern gibt - dabei wäre er durchaus auch für andere Momente geeignet.

Plädoyer von Jürgen Schmieder

Von der Gruppe Sailor gibt es ein Lied, das "A Glass of Champagne" heißt und in dem ein Mann versucht, eine hübsche Frau für sich zu gewinnen. Er schwärmt von ihrem Gesicht, er jammert, wie lange er auf ein Rendezvous hat warten müssen. Als Getränk für diesen Anlass kommt freilich nur ein Glas Champagner infrage. Sailor ist eine britische Popband, sie kennt sich aus mit alkoholischen Getränken, wie der Song "One Drink Too Many" beweist. Wäre Sailor eine deutsche Band, dann ließen sich beide Lieder ganz wunderbar miteinander kombinieren - weil hierzulande schon ein Glas Champagner genug ist.

Champagner ist mehr als nur ein Getränk zum Anstoßen. (Foto: Foto: oh)

Eine Flasche Champagner kauft der Durchschnitts-Deutsche pro Jahr - und er teilt sie laut Statistik zu einem besonderen Anlass mit fünf anderen Personen. Champagner, das ist in Deutschland ein Vier-Tages-Getränk zur Würdigung besonderer Momente: am Geburtstag, zur Geburt des Kindes, auf einer Hochzeit und an Silvester. Zum Vergleich: Der Franzose trinkt pro Jahr durchschnittlich drei Flaschen. Der Schaumwein aus der Champagne ist hierzulande ein missverstandenes Getränk.

"Man darf nicht vergessen, dass Champagner Wein ist - Wein mit Blasen", sagt Dominique Demarville, Kellermeister im Champagnerhaus Veuve Clicquot Ponsardin. "Ein kraftvoller Champagner mit formidabler Struktur und Länge ist ein hervorragender Begleiter zu gutem Essen." Der Blanc de Blancs etwa ist klassischer Begleiter zu Austern, Forelle und Sushi, der Rosé oder Brut wird zu hellem Fleisch und Käse getrunken, der Blanc de Noirs eignet sich gar für Wild und anderen kräftigen Gerichten. Selbst für die Nachspeise gibt es einen passenden Champagner, einen lieblichen Sec etwa.

Beleidigung für den Koch

Im Buch Les Soupers de la Cour, eine Sammlung von Rezepten am französischen Königshof von 1755, wird Champagner als Getränk für rund ein Fünftel der Gerichte empfohlen, im Drei-Sterne-Restaurant "Schwarzwaldstube" gibt es Menues, zu denen ausschließlich Champagner empfohlen wird.

Barkepper Charles Schumann widmet in seinem Buch American Bar den Champagner-Cocktails gleich mehrere Seiten, der von ihm erfundene Cocktail "French 68" etwa wird mit Champagner aufgefüllt. Allerdings warnt Schumann davor, ein Essen mit Champagner abzuschließen: "Ich finde, dies ist eine Beleidigung für den Koch."

"Der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland ist vor allem regional begründet", sagt Demarville. "Champagner ist nun einmal ein französisches Produkt, während in Deutschland ganz hervorragende Schaumweine produziert werden. Aber es ist das Ziel von Champagnerhäusern wie Veuve Clicuot, die Menschen in Deutschland zu überzeugen, dass Champagner mehr ist als nur ein Getränk für einen grandiosen Moment im Leben." Dies funktioniere allein über Qualität und Konstanz. "Wenn sich jemand Champagner kauft, dann muss er jedes einzelne Mal so überzeugen und zum Gericht passen, dass der Kunde gerne wieder einen kauft."

Im zweiten Abschnitt lesen Sie: Warum es nur eine Entschuldigung für das Anstoßen gibt und die Deutschen lieber Sekt kaufen.

Leichte Cocktails
:Feiern ohne Kater

Wer den Silvesterabend weder abstinent noch volltrunken beenden will, hat eine Alternative: Cocktails mit wenig Alkohol. Es gibt sie - und sie schmecken sogar.

Die Erkennungsmerkmale eines guten Champagners ähneln sich jenen für Weißwein. "Er muss durch Frische, Leichtigkeit und Finesse überzeugen", sagt Demarville.

Dominique Demarville, Kellermeister bei Veuve Clicquot Posardin. (Foto: Foto: oh)

Ein Grund für den Verzicht auf Champagner sind freilich die teils exorbitanten Preise. Unter 15 Euro ist kaum eine Flasche zu bekommen, nach oben gibt es scheinbar keine Grenzen. Eine 0,75-Liter-Flasche des Grande Cuvée der Edelmarke Krug etwa kostet 150 Euro. Prosecco und Sekt sind da meist deutlich günstiger, und Deutschland gilt als der weltgrößte Sektmarkt. Mehr als 450 Millionen Flaschen wurden hierzulande im Jahr 2007 getrunken. Es bleibt die Frage, warum viele Deutsche bereit sind, für Wein viel Geld auszugeben und beim Schaumwein zu sparen.

Am Stil festhalten!

An Silvester werden die Deutschen eine Flasche Champagner öffnen und mit Freunden anstoßen - dabei ist genau das bei Benimm-Experten verpönt, einfaches Zuprosten genügt. "Wenn sie auf den 80. Geburtstag ihrer Großmutter anstoßen, dann ist das schon in Ordnung", Anke Wilberg von der "Agentur für zeitgemäße Umgangsformen" Ansonsten sei Zurückhaltung gefordert. Ein weiterer Fehler: "Viele Menschen halten das Glas nicht am Stiel fest", sagt Anke Wilberg.

Ein Vorsatz für das neue Jahr - neben den üblichen Kandidaten - wäre deshalb zu versuchen, Champagner zu verstehen, ihn nicht nur als nötige Füllung für das Glas zum Anstoßen zu sehen und es wie die legendäre Champagner-Produzentin Lily Bollinger zu sehen: "Ich trinke Champagner, wenn ich froh bin, und wenn ich traurig bin. Manchmal trinke ich davon, wenn ich allein bin; und wenn ich Gesellschaft habe, dann darf er nicht fehlen. Wenn ich keinen Hunger habe, mache ich mir mit ihm Appetit, und wenn ich hungrig bin, lasse ich ihn mir schmecken. Sonst aber rühre ich ihn nicht an, außer wenn ich Durst habe."

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