Serie Kinderwelten: München, Deutschland:Henri kocht sein Essen selbst

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Henri Bahne, 12, aus München, Deutschland (Foto: Johannes Simon)

Der zwölfjährige Henri ist im vergangenen Jahr vom Gymnasium auf die Realschule gewechselt. Seitdem hat er wieder mehr Zeit zum Spielen und kann Werkunterricht nehmen. Das ist wichtig, weil er später Bootsbauer werden will.

Von Nadia Pantel

Spielen? Lernen? Arbeiten? Wie wächst ein Kind auf? Das hing bislang davon ab, wo es zur Welt kam. Das ändert sich gerade, denn in vielen Teilen der Welt wächst der Wohlstand. Wir haben fünf Kinder aus fünf Kontinenten gebeten, ihren Alltag zu fotografieren. Teil 4 der Serie: Henri, 12, aus München.

Wenn nicht gleich etwas passiert, wird der dreibeinige Riesenroboter seine Eisenkralle genau auf Henris Kopf stellen. Nur Lukas kann ihn retten: "Jetzt schieß doch! Nicht mit A - du musst Z drücken!" Lukas' Daumen hämmert auf einen kleinen weißen Knopf. Weiße Lichtblitze, der Roboter weicht etwas zurück. Nur noch zehn Minuten, dann muss er besiegt sein, dann ist die Playstation-Zeit um.

"Geht doch mal nach draußen" ist an diesem matschig grauen Sonntag in einem Neubaugebiet vor den Toren Münchens nicht die attraktivste Idee. Henri Bahne, 12, macht trotzdem eine kleine Sightseeing-Tour. Da ist zum Beispiel die Riesenpfütze, gleich hinter dem Reihenhaus, in dem er als Einzelkind mit seinen Eltern lebt. "Früher war die noch größer", sagt Henri. Ein paar Hundert Meter weiter ist die nächste Pfütze: der See. Wenn es friert, laufen die Kinder darauf Schlittschuh. Letztes Jahr sind einige dabei eingebrochen und mussten gerettet werden. "Mit dem Hubschrauber!" Das graublaue Haus (Kindergarten), die kindsgroße Metallblume (haben Jugendliche kaputt gemacht) oder der Grashügel (kann man runterrollen): Es gibt nichts hier, zu dem Henri nicht etwas erzählen könnte. Ist die Geschichte lustig, hat er ein Grübchen auf der rechten Wange. Ist sie richtig lustig, hat er links und rechts Grübchen. Meistens hat er zwei Grübchen.

Später will Henri Bootsbauer werden

Ein grauer Flachbau. Das Gymnasium. "Das ist total hässlich, und es regnet rein!", sagt Henri. Sein Freund Lukas, der ihn vorhin vor dem Roboter gerettet hat und jetzt auf einem Mountainbike neben ihm herfährt, geht dort in die sechste Klasse. Henri ist im vergangenen Jahr auf die Realschule gewechselt. "Da erklären die alles besser." Und er kann Werkunterricht nehmen. Das ist wichtig, weil er später Bootsbauer werden will. "Viele sagen, bei Werken muss man nichts tun, aber das stimmt nicht. Es reicht da nämlich nicht, wenn man was im Kopf hat, man muss auch was in den Händen haben."

Was er gut kann? "So soziale Sachen, die man fürs Leben braucht. Kochen, Regale zusammenbauen, Lego und segeln." Was er nicht so gut kann? "Ich habe eine Aufmerksamkeitsschwäche. Also, das hat jetzt kein Arzt gesagt, aber ich kann mich nicht so gut konzentrieren." Henri redet, schaut in die Luft und drückt Plüschhund Wuff an der Pfote herum. Schlafi, sein Lieblingskuscheltier, liegt auf dem Hochbett über ihm. Jeden Morgen um 6.15 Uhr darf Schlafi noch liegen bleiben und Henri muss aufstehen. Um 6.58 Uhr nimmt er den Schulbus. Wenn er um 14 Uhr nach Hause zurückkommt, kocht er als Erstes. Seine Eltern arbeiten dann noch, bei Großfirmen in der Stadt.

"Vielleicht ist das der größte Unterschied zu meiner Kindheit", sagt die 44-jährige Anja Bahne, Henris Mutter, "ich war eigentlich nie allein zu Hause." Unter der Woche haben sie sehr wenig gemeinsame Zeit als Familie. Henris Vater nickt und versucht, sich gerade hinzusetzen, obwohl sich sein Sohn an ihn gehängt hat: "Trotzdem steht Henri viel mehr im Mittelpunkt als ich als Kind. Meine Mutter hat von der Nachbarin erfahren, dass ich Abi gemacht habe. Wir wissen über jede einzelne Hausaufgabe Bescheid." Dass Henri jetzt auf die Realschule geht, habe alles entspannt. Sie wollten Henri nicht mehr das Spielen verbieten müssen, damit er mehr lernt. "Oder, Henri?" Grübchen rechts, Grübchen links. Ob sie manchmal streiten? "Das geht bald los", sagt der Vater, "da sind schon Pubertätspickel auf der Stirn." Henri dreht sich schnell weg, als sein Vater ihm in die Haare fassen möchte.

© SZ vom 29.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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