Schule:Wo die Erdbeeren auf Bäumen wachsen

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Einen Schulaustausch ins Ausland macht man normalerweise in der Oberstufe. Ada ist acht Jahre alt und geht in die dritte Klasse. Für drei Monate wohnt sie auf einer winzigen Insel vor Sizilien. Hier erzählt sie von ihrem Grundschulinselabenteuer.

Protokoll:  Georg Cadeggianini

"Meine Schule hier ist klein, wirklich mini. Ich habe genau zwei Mitschülerinnen und sechs Mitschüler. Das war's. Also auf der ganzen Schule - und wir haben hier alles bis zur 8. Klasse. Ich weiß, das geht nicht ganz auf. Manche Klassen gibt es eben gar nicht. Egal, meistens sitzen wir eh alle zusammen. Alle Kinder von der Insel. Vielleicht ist es die kleinste Schule Europas?

Ich wohne auf Panarea. Das ist eine klitzekleine Insel vor Sizilien. Wenn man sich anstrengt, kommt man in anderthalb Stunden von einem Ende zum anderen. Wenn man auf der Karte sucht: Irgendwo zwischen italienischer Stiefelspitze und dem Ball, der davor liegt, also Sizilien. Mitten im Meer. Ich wohne hier für drei Monate bei Freunden von uns. Meine Mama ist Italienerin. Deswegen verstehe ich die Lehrerinnen. Ja, wir haben tatsächlich mehrere: eine für die Hauptfächer, eine für Englisch und einen für Religion.

Die einzige glatte Fläche ist der Helikopterlandeplatz: Hier fährt Ada Inliner. Ja, Meer, Aussicht... Vor allem: "Es rollt so gut da." (Foto: Alvise Predieri)

Es ist komisch, hier zu leben. Es gibt keine Autos, dafür Steine, die schwimmen können. Die schwemmt es von den Vulkaninseln rundherum an. Sie sind ganz leicht und man kann sie bearbeiten wie diese Steine aus der Kunststunde. Hier wachsen Erdbeeren auf Bäumen, die heißen Corbezzoli, und das Leitungswasser kommt mit einem Schiff. Das ist merkwürdig: Wasser, das übers Wasser kommt. Dann liegt der Tanker im Hafen, schwer beladen, so tief, dass man denkt, er geht gleich unter. Jedes Haus hier hat unterirdisch einen großen Bottich. Da kommt das Wasser aus dem Schiff rein - und muss reichen, bis es wiederkommt.

Wenn es zu stürmisch ist, kann das Schiff nicht anlegen. Dann gibt es keine Cornflakes, keine Mozzarella und auch keine Lehrerinnen. (Foto: Alvise Predieri)

Überhaupt muss hier alles per Schiff hergebracht werden: Cornflakes, Mozzarella, sogar die Lehrerinnen. Die fahren übers Wochenende nach Hause, nach Sizilien. Wenn es dann stürmt und die Schiffe mal wieder nicht fahren, gibt es keine neuen Cornflakes, keine Mozzarella, keine Lehrerinnen. Dann haben wir sturmfrei.

Ganz rot und fest müssen sie sein! Dann ist der Name durchaus angebracht: Corbezzolo heißt übersetzt Erdbeerbaum. (Foto: Alvise Predieri)

Hier ist es noch warm. Ich gehe fast jeden Tag im Meer schwimmen, überall blühen Pflanzen. Am Anfang habe ich mir so meinen Schulweg gemerkt: An dem Zaun mit den giftigen blauen Blüten so groß wie Lebkuchen muss ich rechts (meine Oma, der ich Bilder davon geschickt habe, hat nachgeschaut, wie sie heißen: Wicken). Die nächste Ecke ist grün überwuchert, mit kleinen weißen Blüten, die sehr stark riechen, süß, aber nicht nur. So, als hätte man irgendwas auf der Ablage vor dem Badezimmerspiegel umgeworfen (Jasmin). Dann an der lustigen lilarot blütenüberladenen Pflanze vorbei (Bougainvillea). Am Feigenbaum links, der zwar gerade keine Feigen dran hat, aber trotzdem irgendwie so riecht. Vorbei am Inselfriedhof. Manchmal gehen wir da auch morgens noch kurz rein. Da liegt der Opa von meiner Freundin. Der hat da nur Plastikblumen. Wir bringen ihm dann eine richtige Blüte mit, von unterwegs. Von dort sind es nur noch 30 gerannte Sekunden zur Schule. Auf dem Pausenhof steht eine große Palme.

Was ich hier gelernt habe? Ein bisschen Mathe, viel Italienisch. Dass es hier keine Ausreden gibt, wenn man zu spät kommt. U-Bahn nicht gefahren? Fahrrad platt? Geht alles nicht. Ich habe gelernt, von Dach zu Dach zu springen, wilden Fenchel zu sammeln, Backgammon zu spielen, die beste Limo der Welt zu machen - mit geklauten Zitronen vom Nachbarn (aber die darf man pflücken, weil im Winter eh niemand da ist und die das erlaubt haben). Und: Ich kann mich besser im Dunkeln zurecht finden. Denn Licht gibt es hier nicht viel. Keine Autos heißt eben auch: Keine Straßenbeleuchtung. Wenn wir unten am Hafen sind, die Erwachsenen noch ein bisschen vor der einzigen Bar sitzen bleiben und dem Stromboli beim Feuerspucken zuschauen, dann spielen wir Fußball unter der Lichterkette der Bar. Auf dem Weg nach Hause ist es dann richtig dunkel. Die Sterne helfen einem - und der Duft der Blüten."

© SZ vom 27.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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