Sarah Palin:Die Marge Simpson des US-Wahlkampfs

Lesezeit: 3 min

Kurze Röcke, dicke Ohrringe: Sarah Palin avanciert zum modischen Idol der imitationsfreudigen Durchschnittsamerikanerin. Aber warum?

Charlotte Frank

Jetzt mal nur so als Gedankenspiel: Stellen wir uns vor, in Deutschland würde plötzlich die rahmenlose Streberbrille zum letzten Schrei, nur weil Andrea Ypsilanti so eine trägt. Oder: Auf einmal bitten Frauen ihren Frisör, ihnen eine Afghanen-Mähne à la von der Leyen auf den Kopf zu sprühen, weil die Familienministerin damit so flott aussieht.

Sarah Palin als Trendsetterin. (Foto: Foto: rtr)

Das käme ungefähr dem gleich, was derzeit in den USA passiert: Sarah Palin, die Kandidatin der Republikaner für das Amt der Vizepräsidentin, hat sich zur Trendsetterin entwickelt. Ausgerechnet Palin, die Frau mit der Ypsilanti-Brille und der Pitbull-Brosche am Revers. Die mit der aufgeplusterten Betonfrisur und mit den roten Lack-High-Heels. Ausgerechnet sie avanciert zum modischen Idol der imitationsfreudigen Durchschnittsamerikanerin. Palin ist das Vorbild, sie ist die All-American-Woman, die Marge Simpson dieses Wahlkampfs.

In Blogs und Internetforen überschlagen sich die Schreiber geradezu, wenn Palin mal wieder einen anderen Lippenstift, einen helleren Strähnchenton oder ein neues Nofretete-Haargebilde auf ihrem Kopf hat. "Was ist das Geheimnis ihrer fancy Frisur?", fragt eine Bloggerin auf www.stylelist.com, eine andere ist ganz hin und weg von dem Gürtel um Palins schlanke Hüften: "Wo gibt es den?", will sie wissen. Auf der Webseite greenislandview.blogspot.com schreibt eine glühende, in politischen Dingen aber offenbar eher unbedarfte Palin-Anhängerin: "Wo geht sie shoppen? Ich will mich so anziehen wie sie, damit tue ich ja auch was Gutes für mein Land."

Und so geht der Sturm auf die Palin-Accessoires los. "Palins Stil löst Kaufrausch aus - Modefirmen kassieren ab", titelte im September sogar das Wall Street Journal. Angefangen hat alles mit den roten Lackpumps der Marke "Naughty Monkey", die die Gouverneurin von Alaska bei ihrer Nominierung auf dem Parteitag in St. Paul trug. "Naughty Monkey", das heißt auf deutsch "frecher Affe", und in etwa so gewollt jugendlich wie dieser Name sahen Palins Schuhe auch aus: neun Zentimeter hoch, knallrot und ein Stückchen zu groß. Dennoch schoss die Nachfrage bei Naughty Monkey in wenigen Tage allein im Internethandel um 50 Prozent nach oben.

Verkaufsschlager: das Modell MP-704

Zu ähnlichen Zuwächsen hat Palin dem Perückenshop WigSalon.com verholfen. Dort ist der mächtige, 60 Dollar teure Haartuff in den Tönen Walnut Brown und Blond Frost ("colors that work for the Sarah Palin look") restlos ausverkauft. Der Lieferrückstand ist so groß, dass WigSalon als Alternative empfiehlt, die Perücke "Raquel Welsh" mit Haarnadeln zum Palin-Look umzufrisieren.

Der größte Profiteur des Palin-Trends dürfte aber der japanische Designer Kazuo Kawasaki sein, der Palins Brillenmodell MP-704 entworfen hat. Kawasaki ist nicht nur Designer, sondern auch Maschinenbauprofessor an der Universität Osaka, und manche Leute sagen, das sehe man Palins Brille auch an. Die ist ja auch eher praktisch als hübsch. Normalerweise produziert Kawasaki von der MP-704 in eineinhalb Jahren 12.000 Stück. Allein in den ersten zehn Tagen nach Palins Nominierung seien 9000 Bestellungen bei ihm eingegangen, sagt er.

Inzwischen hat die Firma Italee Optics, die die Kawasaki-Brillen in den USA vertreibt, ihre Schichten auf einen 24-Stunden-Rhythmus erhöht. Trotzdem müssen sich Kundinnen zwei Monate gedulden, wenn sie eine MP-704 haben wollen.

Im konservativen Amerika gibt und gab es wohl noch keine prominente Politikerin, die ihre weiblichen Reize so bewusst präsentiert hat wie Sarah Palin. Ihre Haare sind länger und ihre Röcke kürzer, ihre Ohrringe größer und ihre Absätze höher als die anderer Politikerinnen. Hillary Clinton etwa pflegte mit ihren geschlechtsneutralen Hosenanzügen und dem androgynen Kurzhaarschnitt jeden Kommentar über ihr Aussehen schon im Keim zu ersticken. Im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten lehnte sie es auch geradezu pikiert ab, der Zeitschrift Vogue ein Interview geben. Schließlich ist die Vogue ein Modeblatt, aber Frau Clinton, das stellte sie damit klar, ging es ja um Politik.

Palin hingegen ließ sich nicht lange bitten, als die Vogue anrief. Schon im Frühjahr, als ihre Ernennung nicht einmal ein vages Gerücht war, traf sie sich zum Interview- und Fototermin mit der Zeitschrift. "Ich werde versuchen, mit Hochsteckfrisur und Oberlehrerbrille so altbacken wie möglich zu wirken", sagte sie damals. Ob das angesichts der Kombination mit High-Heels mit Zehen-Loch, Satinblusen und Mittzwanziger-Mode gelungen ist, ist fraglich. Aber wenigstens wird über Palin geredet - leider auch oft wie in der Los Angeles Times, die schreibt: "Stil darf politische Substanz nicht ersetzen."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

US-Wahlkampf
:Trendsetterin Sarah Palin

Sarah Palin avanciert zum modischen Idol der imitationsfreudigen Durchschnittsamerikanerin.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: